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Die Harzreise






(Auszug)[1]

 

Die Sonne ging auf. Die Nebel flohen, wie Gespenster beim dritten Hahnenschrei. Ich stieg wieder bergauf und bergab, und vor mir schwebte die schö ne Sonne, immer neue Schö nheiten beleuchtend. Der Geist des Gebirges begü nstigte mich ganz offenbar; er wuß te wohl, daß so ein Dichtermensch viel Hü bsches wiedererzä hlen kann, und er ließ mich diesen Morgen seinen Harz sehen, wie ihn gewiß nicht jeder sah. Aber auch mich sah der Harz, wie mich nur wenige gesehen, in meinen Augenwimpern flimmerten ebenso kostbare Perlen wie in den Grä sern des Tals. Morgentau der Liebe feuchtete meine Wangen, die rauschenden Tannen verstanden mich, ihre Zweige taten sich voneinander, bewegten sich herauf und herab, gleich stummen Menschen, die mit den Hä nden ihre Freude bezeigen, und in der Ferne klang's wunderbar geheimnisvoll, wie Glockengelä ute einer verlornen Waldkirche. Man sagt, das seien die Herdenglö ckchen, die im Harz so lieblich, klar und rein gestimmt sind.

Nach dem Stand der Sonne war es Mittag, als ich auf eine solche Herde stieß, und der Hirt, ein freundlich blonder junger Mensch, sagte mir, der groß e Berg, an dessen Fuß ich stä nde, sei der alte, weltberü hmte Brocken. Viele Stunden ringsum liegt kein Haus, und ich war froh genug, daß mich der junge Mensch einlud, mit ihm zu essen. Wir setzten uns nieder zu einem Dé jeuner dоnatoire, das aus Kä se und Brot bestand; die Schä fchen erhaschten die Krumen, die lieben, blanken Kü hlein sprangen um uns herum und klingelten schelmisch mit ihren Glö ckchen und lachten uns an mit ihren groß en, vergnü gten Augen. Wir tafelten recht kö niglich; ü berhaupt schien mir mein Wirt ein echter Kö nig, und weil er bis jetzt der einzige Kö nig ist, der mir Brot gegeben hat, so will ich ihn auch kö niglich besingen.

[…]

Wir nahmen freundschaftlich Abschied, und frö hlich stieg ich den Berg hinauf. Bald empfing mich eine Waldung himmelhoher Tannen, fü r die ich, in jeder Hinsicht, Respekt habe. Diesen Bä umen ist nä mlich das Wachsen nicht so ganz leicht gemacht worden, und sie haben es sich in der Jugend sauer werden lassen. Der Berg ist hier mit vielen groß en Granitblö cken ü bersä et, und die meisten Bä ume muß ten mit ihren Wurzeln diese Steine umranken oder sprengen und mü hsam den Boden suchen, woraus sie Nahrung schö pfen kö nnen. Hier und da liegen die Steine, gleichsam ein Tor bildend, ü bereinander, und oben darauf stehen die Bä ume, die nackten Wurzeln ü ber jene Steinpforte hinziehend und erst am Fuß e derselben den Boden erfassend, so daß sie in der freien Luft zu wachsen scheinen. Und doch haben sie sich zu jener gewaltigen Hö he emporgeschwungen, und mit den umklammerten Steinen wie zusammengewachsen, stehen sie fester als ihre bequemen Kollegen im zahmen Forstboden des flachen Landes. So stehen auch im Leben jene groß en Mä nner, die durch das Ü berwinden frü her Hemmungen und Hindernisse sich erst recht gestä rkt und befestigt haben. Auf den Zweigen der Tannen kletterten Eichhö rnchen, und unter denselben spazierten die gelben Hirsche. Wenn ich solch ein liebes, edles Tier sehe, so kann ich nicht begreifen, wie gebildete Leute Vergnü gen daran finden, es zu hetzen und zu tö ten. Solch ein Tier war barmherziger als die Menschen und sä ugte den schmachtenden Schmerzenreich der heiligen Genoveva.

Allerliebst schossen die goldenen Sonnenlichter durch das dichte Tannengrü n. Eine natü rliche Treppe bildeten die Baumwurzeln. Ü berall schwellende Moosbä nke; denn die Steine sind fuß hoch von den schö nsten Moosarten, wie mit hellgrü nen Sammetpolstern, bewachsen. Liebliche Kü hle und trä umerisches Quellengemurmel. Hier und da sieht man, wie das Wasser unter den Steinen silberhell hinrieselt und die nackten Baumwurzeln und Fasern bespü lt. Wenn man sich nach diesem Treiben hinabbeugt, so belauscht man gleichsam die geheime Bildungsgeschichte der Pflanzen und das ruhige Herzklopfen des Berges. An manchen Orten sprudelt das Wasser aus den Steinen und Wurzeln stä rker hervor und bildet kleine Kaskaden. Da lä ß t sich gut sitzen. Es murmelt und rauscht so wunderbar, die Vö gel singen abgebrochene Sehnsuchtslaute, die Bä ume flü stern wie mit tausend Mä dchenzungen, wie mit tausend Mä dchenaugen schauen uns an die seltsamen Bergblumen, sie strecken nach uns aus die wundersam breiten, drollig gezackten Blä tter, spielend flimmern hin und her die lustigen Sonnenstrahlen, die sinnigen Krä utlein erzä hlen sich grü ne Mä rchen, es ist alles wie verzaubert, es wird immer heimlicher und heimlicher, ein uralter Traum wird lebendig, die Geliebte erscheint – ach, daß sie so schnell wieder verschwindet!


Heinrich Heine






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