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Im Westen nichts Neues

Erich Maria Remarque

 

 

Die Geschichte des ersten Weltkrieges, erzä hlt aus der Sicht eines einfachen Soldaten: Der neunzehnjä hrige Paul Bä umer kommt als ahnungsloser Kriegsfreiwilliger von der Schulbank an die Front — und erlebt statt der erwarteten Kriegsbegeisterung und Abenteuer die ganze Brutalitä t des Gemetzels und das sinnlose Sterben seiner Kameraden. In diesem langjä hrigen literarischen Bestseller beschwö rt Remarque die Schrecken des Ersten Weltkrieges mit zupackender Lebendigkeit und einer Sprache, die fü r jede Generation wieder neu spricht.

 

Dieses Buch soll weder eine Anklage

noch ein Bekenntnis sein.

Es soll nur den Versuch machen,

ü ber eine Generation zu berichten,

die vom Kriege zerstö rt wurde —

auch wenn sie seinen Granaten entkam.

 

 

1.

 

Wir liegen neun Kilometer hinter der Front. Gestern wurden wir abgelö st; jetzt haben wir den Magen voll weiß er Bohnen mit Rindfleisch und sind satt und zufrieden. Sogar fü r abends hat jeder noch ein Kochgeschirr voll fassen kö nnen; dazu gibt es auß erdem doppelte Wurst- und Brotportionen — das schafft. So ein Fall ist schon lange nicht mehr dagewesen: der Kü chen­bulle mit seinem roten Tomatenkopf bietet das Essen direkt an; jedem, der vorbeikommt, winkt er mit seinem Lö ffel zu und fü llt ihm einen krä ftigen Schlag ein. Er ist ganz verzweifelt, weil er nicht weiß, wie er seine Gulaschkanone leerkriegen soll. Tjaden und Mü ller haben ein paar Waschschü sseln auf getrieben und sie sich bis zum Rand gestrichen voll geben lassen, als Reserve. Tjaden macht das aus Freß sucht, Mü ller aus Vorsicht. Wo Tjaden es lä ß t, ist allen ein Rä tsel. Er ist und bleibt ein magerer Hering.

Das Wichtigste aber ist, daß es auch doppelte Rauch­portionen gegeben hat. Fü r jeden zehn Zigarren, zwanzig Zigaretten und zwei Stü ck Kautabak, das ist sehr anstä ndig. Ich habe meinen Kautabak mit Katczinsky gegen seine Zigaretten getauscht, das macht fü r mich vierzig Zigaretten. Damit langt man schon einen Tag.

Dabei steht uns diese ganze Bescherung eigentlich nicht zu. So splendid sind die Preuß en nicht. Wir haben sie nur einem Irrtum zu verdanken.

Vor vierzehn Tagen muß ten wir nach vorn, um abzulö sen. Es war ziemlich ruhig in unserm Abschnitt, und der Furier hatte deshalb fü r den Tag unserer Rü ckkehr das normale Quantum Lebensmittel erhalten und fü r die hundertfü nfzig Mann starke Kompanie vorgesorgt. Nun aber gab es gerade am letzten Tage bei uns ü berraschend viel Langrohr und dicke Brocken, englische Artillerie, die stä ndig auf unsere Stellung trommelte, so daß wir starke Verluste hatten und nur mit achtzig Mann zurü ckkamen. Wir waren nachts eingerü ckt und hatten uns gleich hingehauen, um erst einmal anstä ndig zu schlafen; denn Katczinsky hat recht: es wä re alles nicht so schlimm mit dem Krieg, wenn man nur mehr Schlaf haben wü rde. Vorne ist es doch nie etwas damit, und vierzehn Tage jedesmal sind eine lange Zeit.

Es war schon Mittag, als die ersten von uns aus den Baracken krochen. Eine halbe Stunde spä ter hatte jeder sein Kochgeschirr gegriffen, und wir versammelten uns vor der Gulaschmarie, die fettig und nahrhaft roch. An der Spitze natü rlich die Hungrigsten: der kleine Albert Kropp, der von uns am klarsten denkt und deshalb erst Gefreiter ist; — Mü ller V, der noch Schulbü cher mit sich herumschleppt und vom Notexamen trä umt; im Trommelfeuer bü ffelt er physikalische Lehrsä tze; — Leer, der einen Vollbart trä gt und groß e Vorliebe fü r Mä dchen aus den Offizierspuffs hat; er schwö rt darauf, daß sie durch Armeebefehl verpflichtet wä ren, seidene Hemden zu tragen und bei Gä sten vom Hauptmann aufwä rts vorher zu baden; — und als vierter ich, Paul Bä umer. Alle vier neunzehn Jahre alt, alle vier aus derselben Klasse in den Krieg gegangen. Dicht hinter uns unsere Freunde. Tjaden, ein magerer Schlosser, so alt wie wir, der grö ß te Fresser der Kompanie. Er setzt sich schlank zum Essen hin und steht dick wie eine schwangere Wanze wieder auf; — Haie Westhus, gleich alt, Torfstecher, der bequem ein Kommiß brot in eine Hand nehmen und fragen kann: Ratet mal, was ich in der Faust habe; — Detering, ein Bauer, der nur an seinen Hof und an seine Frau denkt; — und endlich Stanislaus Katczinsky, das Haupt unserer Gruppe, zä h, schlau, gerissen, vierzig Jahre alt, mit einem Gesicht aus Erde, mit blauen Augen, hä ngenden Schultern und einer wunderbaren Witterung fü r dicke Luft, gutes Essen und schö ne Druckposten. Unsere Gruppe bildete die Spitze der Schlange vor der Gulaschkanone. Wir wurden ungeduldig, denn der ahnungslose Kü chenkarl stand noch immer und wartete. Endlich rief Katczinsky ihm zu:»Nun mach deinen Bouillonkeller schon auf, Heinrich! Man sieht doch, daß die Bohnen gar sind.«

Der schü ttelte schlä frig den Kopf:»Erst mü ß t ihr alle dasein.«

Tjaden grinste:»Wir sind alle da.«

Der Unteroffizier merkte noch nichts.»Das kö nnte euch so passen! Wo sind denn die andern? «

»Die werden heute nicht von dir verpflegt! Feldlazarett und Massengrab.«

Der Kü chenbulle war erschlagen, als er die Tatsachen erfuhr. Er wankte.

»Und ich habe fü r hundertfü nfzig Mann gekocht.«

Kropp stieß ihm in die Rippen.»Dann werden wir endlich mal satt. Los, fang an! «

Plö tzlich aber durchfuhr Tjaden eine Erleuchtung. Sein spitzes Mausegesicht fing ordentlich an zu schimmern, die Augen wurden klein vor Schlauheit, die Backen zuckten, und er trat dichter heran:»Menschenskind, dann hast du ja auch fü r hundertfü nfzig Mann Brot empfangen, was? «Der Unteroffizier nickte verdattert und geistesabwesend, Tjaden packte ihn am Rock.»Und Wurst auch? «

Der Tomatenkopf nickte wieder.

Tjadens Kiefer bebten.»Tabak auch? «

»Ja, alles.«

Tjaden sah sich strahlend um.»Donnerwetter, das nennt man Schwein haben! Das ist dann ja alles fü r uns! Da kriegt jeder ja — wartet mal — tatsä chlich, genau doppelte Portionen! «

Jetzt aber erwachte die Tomate wieder zum Leben und erklä rte:»Das geht nicht.«

Doch nun wurden auch wir munter und schoben uns heran.

»Warum geht das denn nicht, du Mohrrü be? «fragte Katczinsky.

»Was fü r hundertfü nfzig Mann ist, kann doch nicht fü r achtzig sein.«

»Das werden wir dir schon zeigen«, knurrte Mü ller.

»Das Essen meinetwegen, aber Portionen kann ich nur fü r achtzig Mann ausgeben«, beharrte die Tomate.

Katczinsky wurde ä rgerlich.»Du muß t wohl mal abgelö st werden, was? Du hast nicht fü r achtzig Mann, sondern fü r die 2. Kompanie Furage empfangen, fertig. Die gibst du aus! Die 2. Kompanie sind wir.«

Wir rü ckten dem Kerl auf den Leib. Keiner konnte ihn gut leiden, er war schon ein paarmal schuld daran gewesen, daß wir im Graben das Essen viel zu spä t und kalt bekommen lü tten, weil er sich bei etwas Granatfeuer mit seinem Kessel nicht nahe genug herantraute, so daß unsere Essenholer einen viel weiteren Weg machen muß ten als die der andern Kompanien. Da war Bulke von der ersten ein besserer Bursche. Er war zwar fett wie ein Winterhamster, aber er schleppte, wenn es darauf ankam, die Tö pfe selbst bis zur vordersten Linie.

Wir waren gerade in der richtigen Stimmung, und es hä tte bestimmt Kleinholz gegeben, wenn nicht unser Kompaniefü hrer aufgetaucht wä re. Er erkundigte sich nach dem Streitfall und sagte vorlä ufig nur:»Ja, wir haben gestern starke Verluste gehabt —«

Dann guckte er in den Kessel.»Die Bohnen scheinen gut zu sein.«

Die Tomate nickte.»Mit Fett und Fleisch gekocht.«

Der Leutnant sah uns an. Er wuß te, was wir dachten. Auch

sonst wuß te er noch manches, denn er war zwischen uns groß geworden und als Unteroffizier zur Kompanie gekommen. Er hob den Deckel noch einmal vom Kessel und schnupperte. Im Weggehen sagte er:»Bringt mir auch einen Teller voll. Und die Portionen werden alle verteilt. Wir kö nnen sie brauchen.«

Die Tomate machte ein dummes Gesicht. Tjaden tanzte um sie herum.

»Das schadet dir gar nichts! Als ob ihm das Proviantamt gehö rt, so tut er. Und nun fang an, du alter Speckjä ger, und verzä hle dich nicht —«

»Hä ng dich auf! «fauchte die Tomate. Sie war geplatzt, so etwas ging ihr gegen den Verstand. Sie begriff die Welt nicht mehr. Und als wollte sie zeigen, daß nun schon alles egal sei, verteilte sie pro Kopf freiwillig noch ein halbes Pfund Kunsthonig.

 

 

* * *

 

Der Tag ist wirklich gut heute. Sogar Post ist da, fast jeder hat ein paar Briefe und Zeitungen. Nun schlendern wird zu der Wiese hinter den Baracken hinü ber. Kropp hat den runden Deckel eines Margarinefasses unterm Arm. Am rechten Rande der Wiese ist eine groß e Massenlatrine erbaut, ein ü berdachtes, stabiles Gebä ude. Doch das ist was fü r Rekruten, die noch nicht gelernt haben, aus jeder Sache Vorteil zu ziehen. Wir suchen etwas Besseres. Ü berall verstreut stehen nä mlich noch kleine Einzelkä sten fü r denselben Zweck. Sie sind viereckig, sauber, ganz aus Holz getischlert, rundum geschlossen, mit einem tadellosen, bequemen Sitz. An den Seitenflä chen befinden sich Handgriffe, so daß man sie transportieren kann. Wir rü cken drei im Kreise zusammen und nehmen gemü tlich Platz. Vor zwei Stunden werden wir hier nicht wieder aufstehen.

Ich weiß noch, wie wir uns anfangs genierten als Rekruten in der Kaserne, wenn wir die Gemeinschaftslatrine benutzen muß ten. Tü ren gibt es da nicht, es sitzen zwanzig Mann nebeneinander wie in der Eisenbahn. Sie sind mit einem Blick zu ü bersehen; — der Soldat soll eben stä ndig unter Aufsicht sein.

Wir haben inzwischen mehr gelernt, als das biß chen Scham zu ü berwinden. Mit der Zeit wurde uns noch ganz anderes gelä ufig.

Hier drauß en ist die Sache aber geradezu ein Genuß. Ich weiß nicht mehr, weshalb wir frü her an diesen Dingen immer scheu vorbeigehen muß ten, sie sind ja ebenso natü rlich wie Essen und Trinken. Und man brauchte sich vielleicht auch nicht besonders darü ber zu ä uß ern, wenn sie nicht so eine wesentliche Rolle bei uns spielten und gerade uns neu gewesen wä ren — den ü brigen waren sie lä ngst selbstverstä ndlich.

Dem Soldaten ist sein Magen und seine Verdauung ein vertrauteres Gebiet als jedem anderen Menschen. Drei Viertel seines Wortschatzes sind ihm entnommen, und sowohl der Ausdruck hö chster Freude als auch der tiefster Entrü stung findet hier seine kernige Untermalung. Es ist unmö glich, sich auf eine andere Art so knapp und klar zu ä uß ern. Unsere Familien und unsere Lehrer werden sich schö n wundern, wenn wir nach Hause kommen, aber es ist hier nun einmal die Universalsprache.

Fü r uns haben diese ganzen Vorgä nge den Charakter der Unschuld wiedererhalten durch ihre zwangsmä ß ige Ö ffentlichkeit. Mehr noch: sie sind uns so selbstverstä ndlich, daß ihre gemü tliche Erledigung ebenso gewertet wird wie meinetwegen ein schö n durchgefü hrter, bombensicherer Grand ohne viere. Nicht umsonst ist fü r Geschwä tz aller Art das Wort»Latrinenparole«entstanden; diese Orte sind die Klatschecken und der Stammtischersatz beim Kommiß. Wir fü hlen uns augenblicklich wohler als im noch so weiß gekachelten Luxuslokus. Dort kann es nur hygienisch sein; hier aber ist es schö n.

Es sind wunderbar gedankenlose Stunden. Ü ber uns steht der blaue Himmel. Am Horizont hä ngen hellbestrahlte gelbe Fesselballons und die weiß en Wö lkchen der Flakgeschosse. Manchmal schnellen sie wie eine Garbe hoch, wenn sie einen Flieger verfolgen.

Nur wie ein sehr fernes Gewitter hö ren wir das gedä mpfte Brummen der Front. Hummeln, die vorü bersummen, ü bertö nen es schon.

Und rund um uns liegt die blü hende Wiese. Die zarten Rispen der Grä ser wiegen sich, Kohlweiß linge taumeln heran, sie schweben im weichen, warmen Wind des Spä tsommers, wir lesen Briefe und Zeitungen und rauchen, wir setzen die Mü tzen ab und legen sie neben uns, der Wind spielt mit unseren Haaren, er spielt mit unseren Worten und Gedanken. Die drei Kä sten stehen mitten im leuchtenden, roten Klatschmohn. — Wir legen den Deckel des Margarinefasses auf unsere Knie. So haben wir eine gute Unterlage zum Skatspielen. Kropp hat die Karten bei sich. Nach jedem Nullouvert wird eine Partie Schieberamsch eingelegt. Man konnte ewig so sitzen.

Die Tö ne einer Ziehharmonika klingen von den Baracken her. Manchmal legen wir die Karten hin und sehen uns an. Einer sagt dann:»Kinder, Kinder —«, oder:»Das hä tte schiefgehen kö nnen —«, und wir versinken einen Augenblick in Schweigen. In uns ist ein starkes, verhaltenes Gefü hl, jeder spü rt es, das braucht nicht viele Worte. Leicht hä tte es sein kö nnen, daß wir heute nicht auf unsern Kä sten sä ß en, es war verdammt nahe daran. Und darum ist alles neu und stark — der rote Mohn und das gute Essen, die Zigaretten und der Sommerwind.

Kropp fragt:»Hat einer von euch Kemmerich noch mal gesehen? «

»Er liegt in St. Joseph«, sage ich.

Mü ller meint, er habe einen Oberschenkeldurchschuß, einen guten Heimatpaß.

Wir beschließ en, ihn nachmittags zu besuchen.

Kropp holt einen Brief hervor.»Ich soll euch grü ß en von Kantorek.«

Wir lachen. Mü ller wirft seine Zigarette weg und sagt:»Ich wollte, der wä re hier.«

 

 

* * *

 

Kantorek war unser Klassenlehrer, ein strenger, kleiner Mann in grauem Schoß rock, mit einem Spitzmausgesicht. Er hatte ungefä hr dieselbe Statur wie der Unteroffizier Himmelstoß, der»Schrecken des Klosterberges«. Es ist ü brigens komisch, daß das Unglü ck der Welt so oft von kleinen Leuten herrü hrt, sie sind viel energischer und unverträ glicher als groß gewachsene. Ich habe mich stets gehü tet, in Abteilungen mit kleinen Kompaniefü hrern zu geraten; es sind meistens verfluchte Schinder. Kantorek hielt uns in den Turnstunden so lange Vorträ ge, bis unsere Klasse unter seiner Fü hrung geschlossen zum Bezirkskommando zog und sich meldete. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er uns durch seine Brillenglä ser anfunkelte und mit ergriffener Stimme fragte:»Ihr geht doch mit, Kameraden? «

Diese Erzieher haben ihr Gefü hl so oft in der Westentasche parat; sie geben es ja auch stundenweise aus. Doch darü ber machten wir uns damals noch keine Gedanken. Einer von uns allerdings zö gerte und wollte nicht recht mit. Das war Josef Behm, ein dicker, gemü tlicher Bursche. Er ließ sich dann aber ü berreden, er hä tte sich auch sonst unmö glich gemacht. Vielleicht dachten noch mehrere so wie er; aber es konnte sich niemand gut ausschließ en, denn mit dem Wort»feige«waren um diese Zeit sogar Eltern rasch bei der Hand. Die Menschen hatten eben alle keine Ahnung von dem, was kam. Am vernü nftigsten waren eigentlich die armen und einfachen Leute; sie hielten den Krieg gleich fü r ein Unglü ck, wä hrend die bessergestellten vor Freude nicht aus noch ein wuß ten, obschon gerade sie sich ü ber die Folgen viel eher hä tten klarwerden kö nnen. Katczinsky behauptet, das kä me von der Bildung, sie mache dä mlich. Und was Kat sagt, das hat er sich ü berlegt.

Sonderbarerweise war Behm einer der ersten, die fielen. Er erhielt bei einem Sturm einen Schuß in die Augen, und wir ließ en ihn fü r tot liegen. Mitnehmen konnten wir ihn nicht, weil wir ü berstü rzt zurü ck muß ten. Nachmittags hö rten wir ihn plö tzlich rufen und sahen ihn drauß en herumkriechen Er war nur bewuß tlos gewesen. Weil er nichts sah und wild vor Schmerzen war, nutzte er keine Deckung aus, so daß er von drü ben abgeschossen wurde, ehe jemand herankam, um ihn zu holen.

Man kann Kantorek natü rlich nicht damit m Zusammenhang bringen; — wo bliebe die Welt sonst, wenn man das schon Schuld nennen wollte. Es gab ja Tausende von Kantoreks, die alle ü berzeugt waren, auf eine fü r sie bequeme Weise das Beste zu tun. Darin liegt aber gerade fü r uns ihr Bankrott. Sie sollten uns Achtzehnjä hrigen Vermittler und Fü hrer zur Welt des Erwachsenseins werden, zur Welt der Arbeit, der Pflicht, der Kultur und des Fortschritts, zur Zukunft. Wir verspotteten sie manchmal und spielten ihnen kleine Streiche, aber im Grunde glaubten wir ihnen. Mit dem Begriff der Autoritä t, dessen Trä ger sie waren, verband sich in unseren Gedanken grö ß ere Einsicht und menschlicheres Wissen. Doch der erste Tote, den wir sahen, zertrü mmerte diese Ü berzeugung. Wir muß ten erkennen, daß unser Alter ehrlicher war als das ihre; sie hatten vor uns nur die Phrase und die Geschicklichkeit voraus. Das erste Trommelfeuer zeigte uns unseren Irrtum, und unter ihm stü rzte die Weltanschauung zusammen, die sie uns gelehrt hatten.

Wä hrend sie noch schrieben und redeten, sahen wir Lazarette und Sterbende; — wä hrend sie den Dienst am Staate als das Grö ß te bezeichneten, wuß ten wir bereits, daß die Todesangst stä rker ist. Wir wurden darum keine Meuterer, keine Deserteure, keine Feiglinge — alle diese Ausdrü cke waren ihnen ja so leicht zur Hand —, wir liebten unsere Heimat genauso wie sie, und wir gingen bei jedem Angriff mutig vor; — aber wir unterschieden jetzt, wir hatten mit einem Male sehen gelernt. Und wir sahen, daß nichts von ihrer Welt ü brig blieb. Wir waren plö tzlich auf furchtbare Weise allein; — und wir muß ten allein damit fertig werden.

 

 

* * *

 

Bevor wir zu Kemmerich aufbrechen, packen wir seine Sachen ein; er wird sie unterwegs gut brauchen kö nnen. Im Feldlazarett ist groß er Betrieb; es riecht wie immer nach Karbol, Eiter und Schweiß. Man ist aus den Baracken manches gewohnt, aber hier kann einem doch flau werden. Wir fragen uns nach Kemmerich durch; er liegt in einem Saal und empfä ngt uns mit einem schwachen Ausdruck von Freude und hilfloser Aufregung. Wä hrend er bewuß tlos war, hat man ihm seine Uhr gestohlen. Mü ller schü ttelt den Kopf:»Ich habe dir ja immer gesagt, daß man eine so gute Uhr nicht mitnimmt.«Mü ller ist etwas tapsig und rechthaberisch. Sonst wü rde er den Mund halten, denn jeder sieht, daß Kemmerich nicht mehr aus diesem Saal herauskommt. Ob er seine Uhr wiederfindet, ist ganz egal, hö chstens, daß man sie nach Hause schicken kö nnte.

»Wie geht’s denn, Franz? «fragt Kropp.

Kemmerich lä ß t den Kopf sinken.»Es geht ja — ich habe bloß so verfluchte Schmerzen im Fuß.«

Wir sehen auf seine Decke. Sein Bein liegt unter einem Drahtkorb, das Deckbett wö lbt sich dick darü ber. Ich trete Mü ller gegen das Schienbein, denn er brä chte es fertig, Kemmerich zu sagen, was uns die Sanitä ter drauß en schon erzä hlt haben: daß Kemmerich keinen Fuß mehr hat. Das Bein ist amputiert.

Er sieht schrecklich aus, gelb und fahl, im Gesicht sind schon die fremden Linien, die wir so genau kennen, weil wir sie schon hundertmal gesehen haben. Es sind eigentlich keine Linien, es sind mehr Zeichen. Unter der Haut pulsiert kein Leben mehr; es ist bereits herausgedrä ngt bis an den Rand des Kö rpers, von innen arbeitet sich der Tod durch, die Augen beherrscht er schon. Dort liegt unser Kamerad Kemmerich, der mit uns vor kurzem noch Pferdefleisch gebraten und im Trichter gehockt hat; — er ist es noch, und er ist es doch nicht mehr, verwaschen, unbestimmt ist sein Bild geworden, wie eine fotografische Platte, auf der zwei Aufnahmen gemacht worden sind. Selbst seine Stimme klingt wie Asche. Ich denke daran, wie wir damals abfuhren. Seine Mutter, eine gute, dicke Frau, brachte ihn zum Bahnhof. Sie weinte ununterbrochen, ihr Gesicht war davon gedunsen und geschwollen. Kemmerich genierte sich deswegen, denn sie war am wenigsten gefaß t von allen, sie zerfloß fö rmlich in Fett und Wasser. Dabei hatte sie es auf mich abgesehen, immer wieder ergriff sie meinen Arm und flehte mich an, auf Franz drauß en achtzugeben. Er hatte allerdings auch ein Gesicht wie ein Kind und so weiche Knochen, daß er nach vier Wochen Tornistertragen schon Plattfü ß e bekam. Aber wie kann man im Felde auf jemand achtgeben!»Du wirst ja nun nach Hause kommen«, sagt Kropp,»auf Urlaub hä ttest du mindestens noch drei, vier Monate warten mü ssen.«

Kemmerich nickt. Ich kann seine Hä nde nicht gut ansehen, sie sind wie Wachs. Unter den Nä geln sitzt der Schmutz des Grabens, er sieht blauschwarz aus wie Gift. Mir fä llt ein, daß diese Nä gel weiterwachsen werden, lange noch, gespenstische Kellergewä chse, wenn Kemmerich lä ngst nicht mehr atmet. Ich sehe das Bild vor mir: sie krü mmen sich zu Korkenziehern und wachsen und wachsen, und mit ihnen die Haare auf dem zerfallenden Schä del, wie Gras auf gutem Boden, genau wie Gras, wie ist das nur mö glich —?

Mü ller bü ckt sich.»Wir haben deine Sachen mitgebracht, Franz.«

Kemmerich zeigt mit der Hand.»Legt sie unters Bett.«Mü ller tut es. Kemmerich fä ngt wieder von der Uhr an. Wie soll man ihn nur beruhigen, ohne ihn miß trauisch zu machen!

Mü ller taucht mit einem Paar Fliegerstiefel wieder auf. Es sind herrliche englische Schuhe aus weichem, gelbem Leder, die bis zum Knie reichen und ganz hinauf geschnü rt werden, eine begehrte Sache. Mü ller ist von ihrem Anblick begeistert, er hä lt ihre Sohlen gegen seine eigenen klobigen Schuhe und fragt:»Willst du denn die Stiefel mitnehmen, Franz? «

Wir denken alle drei das gleiche: selbst wenn er gesund wü rde, kö nnte er nur einen gebrauchen, sie wä ren fü r ihn also wertlos. Aber wie es jetzt steht, ist es ein Jammer, daß sie hierbleiben; — denn die Sanitä ter werden sie natü rlich sofort wegschnappen, wenn er tot ist. Mü ller wiederholt:»Willst du sie nicht hier lassen? «Kemmerich will nicht. Es sind seine besten Stü cke.»Wir kö nnen sie ja umtauschen«, schlä gt Mü ller wieder vor,»hier drauß en kann man so was brauchen.«Doch Kemmerich ist nicht zu bewegen. Ich trete Mü ller auf den Fuß; er legt die schö nen Stiefel zö gernd wieder unter das Bett. Wir reden noch einiges und verabschieden uns dann.

»Mach’s gut, Franz.«

Ich verspreche ihm, morgen wiederzukommen. Mü ller redet ebenfalls davon; er denkt an die Schnü rschuhe und will deshalb auf dem Posten sein.

Kemmerich stö hnt. Er hat Fieber. Wir halten drauß en einen Sanitä ter an und reden ihm zu, Kemmerich eine Spritze zu geben.

Er lehnt ab.»Wenn wir jedem Morphium geben wollten, mü ß ten wir Fä sser voll haben —«

»Du bedienst wohl nur Offiziere«, sagt Kropp gehä ssig. Rasch lege ich mich ins Mittel und gebe dem Sanitä ter zunä chst mal eine Zigarette. Er nimmt sie. Dann frage ich:»Darfst du denn ü berhaupt eine machen? «

Er ist beleidigt.»Wenn ihr’s nicht glaubt, was fragt ihr mich —«

Ich drü cke ihm noch ein paar Zigaretten in die Hand.»Tu uns den Gefallen —«

»Na, schö n«, sagt er. Kropp geht mit hinein, er traut ihm nicht und will zusehen. Wir warten drauß en.

Mü ller fä ngt wieder von den Stiefeln an.»Sie wü rden mir tadellos passen. In diesen Kä hnen laufe ich mir Blasen ü ber Blasen. Glaubst du, daß er durchhä lt bis morgen nach dem Dienst? Wenn er nachts abgeht, haben wir die Stiefel gesehen — «

Albert kommt zurü ck.»Meint ihr —? «fragt er.

»Erledigt«, sagt Mü ller abschließ end.

Wir gehen zu unsern Baracken zurü ck. Ich denke an den Brief, den ich morgen schreiben muß an Kemmerichs Mutter. Mich friert. Ich mö chte einen Schnaps trinken. Mü ller rupft Grä ser aus und kaut daran. Plö tzlich wirft der kleine Kropp seine Zigarette weg, trampelt wild darauf herum, sieht sich um, mit einem aufgelö sten und verstö rten Gesicht, und stammelt:»Verfluchte Scheiß e, diese verfluchte Scheiß e.«

Wir gehen weiter, eine lange Zeit. Kropp hat sich beruhigt, wir kennen das, es ist der Frontkoller, jeder hat ihn mal. Mü ller fragt ihn:»Was hat dir der Kantorek eigentlich geschrieben? «

Er lacht:»Wir wä ren die eiserne Jugend.«Wir lachen alle drei ä rgerlich. Kropp schimpft; er ist froh, daß er reden kann. — Ja, so denken sie, so denken sie, die hunderttausend Kantoreks! Eiserne Jugend. Jugend! Wir sind alle nicht mehr als zwanzig Jahre. Aber jung? Jugend? Das ist lange her.

Wir sind alte Leute.

 

 

2.

 

Es ist fü r mich sonderbar, daran zu denken, daß zu Hause, in einer Schreibtischlade, ein angefangenes Drama»Saul«und ein Stoß Gedichte liegen. Manchen Abend habe ich darü ber verbracht, wir haben ja fast alle so etwas Ä hnliches gemacht; aber es ist mir so unwirklich geworden, daß ich es mir nicht mehr richtig vorstellen kann. Seit wir hier sind, ist unser frü heres Leben abgeschnitten, ohne daß wir etwas dazu getan haben. Wir versuchen manchmal, einen Ü berblick und eine Erklä rung dafü r zu gewinnen, doch es gelingt uns nicht recht. Gerade fü r uns Zwanzigjä hrige ist alles besonders unklar, fü r Kropp, Mü ller, Leer, mich, fü r uns, die Kantorek als eiserne Jugend bezeichnet. Die ä lteren Leute sind alle fest mit dem Frü heren verbunden, sie haben Grund, sie haben Frauen, Kinder, Berufe und Interessen, die schon so stark sind, daß der Krieg sie nicht zerreiß en kann. Wir Zwanzigjä hrigen aber haben nur unsere Eltern und manche ein Mä dchen. Das ist nicht viel — denn in unserm Alter ist die Kraft der Eltern am schwä chsten, und die Mä dchen sind noch nicht beherrschend. Auß er diesem gab es ja bei uns nicht viel anderes mehr; etwas Schwä rmertum, einige Liebhabereien und die Schule; weiter reichte unser Leben noch nicht. Und davon ist nichts geblieben.

Kantorek wü rde sagen, wir hä tten gerade an der Schwelle des Daseins gestanden. So ä hnlich ist es auch. Wir waren noch nicht eingewurzelt. Der Krieg hat uns weggeschwemmt. Fü r die andern, die ä lteren, ist er eine Unterbrechung, sie kö nnen ü ber ihn hinausdenken. Wir aber sind von ihm ergriffen worden und wissen nicht, wie das enden soll. Was wir wissen, ist vorlä ufig nur, daß wir auf eine sonderbare und schwermü tige Weise verroht sind, obschon wir nicht einmal oft mehr traurig werden.

 

 

* * *

 

Wenn Mü ller gern Kemmerichs Stiefel haben will, so ist er deshalb nicht weniger teilnahmsvoll als jemand, der vor Schmerz nicht daran zu denken wagte. Er weiß nur zu unterscheiden. Wü rden die Stiefel Kemmerich etwas nutzen, dann liefe Mü ller lieber barfuß ü ber Stacheldraht, als groß zu ü berlegen, wie er sie bekommt. So aber sind die Stiefel etwas, das gar nichts mit Kemmerichs Zustand zu tun hat, wä hrend Mü ller sie gut verwenden kann. Kemmerich wird sterben, einerlei, wer sie erhä lt. Warum soll deshalb Mü ller nicht dahinter her sein, er hat doch mehr Anrecht darauf als ein Sanitä ter! Wenn Kemmerich erst tot ist, ist es zu spä t. Deshalb paß t Mü ller eben jetzt schon auf. Wir haben den Sinn fü r andere Zusammenhä nge verloren, weil sie kü nstlich sind. Nur die Tatsachen sind richtig und wichtig fü r uns. Und gute Stiefel sind selten.

 

 

* * *

 

Frü her war auch das anders. Als wir zum Bezirkskommando gingen, waren wir noch eine Klasse von zwanzig jungen Menschen, die sich, manche zum ersten Male, ü bermü tig gemeinsam rasieren ließ, bevor sie den Kasernenhof betrat. Wir hatten keine festen Plä ne fü r die Zukunft, Gedanken an Karriere und Beruf waren bei den wenigsten praktisch bereits so bestimmt, daß sie eine Daseinsform bedeuten konnten; — dafü r jedoch steckten wir voll Ungewisser Ideen, die dem Leben und auch dem Kriege in unseren Augen einen idealisierten und fast romantischen Charakter verliehen.

Wir wurden zehn Wochen militä risch ausgebildet und in dieser Zeit entscheidender umgestaltet als in zehn Jahren Schulzeit. Wir lernten, daß ein geputzter Knopf wichtiger ist als vier Bä nde Schopenhauer. Zuerst erstaunt, dann erbittert und schließ lich gleichgü ltig erkannten wir, daß nicht der Geist ausschlaggebend zu sein schien, sondern die Wichsbü rste, nicht der Gedanke, sondern das System, nicht die Freiheit, sondern der Drill. Mit Begeisterung und gutem Willen waren wir Soldaten geworden; aber man tat alles, um uns das auszutreiben. Nach drei Wochen war es uns nicht mehr unfaß lich, daß ein betreß ter Briefträ ger mehr Macht ü ber uns besaß als frü her unsere Eltern, unsere Erzieher und sä mtliche Kulturkreise von Plato bis Goethe zusammen. Mit unseren jungen, wachen Augen sahen wir, daß der klassische Vaterlandsbegriff unserer Lehrer sich hier vorlä ufig realisierte zu einem Aufgeben der Persö nlichkeit, wie man es dem geringsten Dienstboten nie Zugemutet haben wü rde. Grü ß en, Strammstehen, Parademarsch, Gewehrprä sentieren, Rechtsum, Linksum, Hackenzusammenschlagen, Schimpfereien und tausend Schikanen: wir hatten uns unsere Aufgabe anders gedacht und fanden, daß wir auf das Heldentum wie Zirkuspferde vorbereitet wurden. Aber wir gewö hnten uns bald daran. Wir begriffen sogar, daß ein Teil dieser Dinge notwendig, ein anderer aber ebenso ü berflü ssig war. Der Soldat hat dafü r eine feine Nase.

 

 

* * *

 

 

Zu dreien und vieren wurde unsere Klasse ü ber die Korporalschaften verstreut, zusammen mit friesischen Fischern, Bauern, Arbeitern und Handwerkern, mit denen wir uns schnell anfreundeten. Kropp, Mü ller, Kemmerich und ich kamen zur neunten Korporalschaft, die der Unteroffizier Himmelstoß fü hrte.

Er galt als der schä rfste Schinder des Kasernenhofes, und das war sein Stolz. Ein kleiner, untersetzter Kerl, der zwö lf Jahre gedient hatte, mit fuchsigem, aufgewirbeltem Schnurrbart, im Zivilberuf Briefträ ger. Auf Kropp, Tjaden, Westhus und mich hatte er es besonders abgesehen, weil er unsern stillen Trotz spü rte.

Ich habe an einem Morgen vierzehnmal sein Bett gebaut. Immer wieder fand er etwas daran auszusetzen und riß es herunter. Ich habe in zwanzigstü ndiger Arbeit — mit Pausen natü rlich — ein Paar uralte, steinharte Stiefel so butterweich geschmiert, daß selbst Himmelstoß nichts mehr daran auszusetzen fand; — ich habe auf seinen Befehl mit einer Zahnbü rste die Korporalschaftsstube sauber geschrubbt; — Kropp und ich haben uns mit einer Handbü rste und einem Fegeblech an den Auftrag gemacht, den Kasernenhof vom Schnee reinzufegen, und wir hä tten durchgehalten bis zum Erfrieren, wenn nicht zufä llig ein Leutnant aufgetaucht wä re, der uns fortschickte und Himmelstoß mä chtig anschnauzte. Die Folge war leider nur, daß Himmelstoß um so wü tender auf uns wurde. Ich habe vier Wochen hintereinander jeden Sonntag Wache geschoben und ebensolange Stubendienst gemacht; — ich habe in vollem Gepä ck mit Gewehr auf losem, nassem Sturzacker»Sprung auf, marsch, marsch«und»Hinlegen«geü bt, bis ich ein Dreckklumpen war und zusammenbrach; — ich habe vier Stunden spä ter Himmelstoß mein tadellos gereinigtes Zeug vorgezeigt, allerdings mit blutig geriebenen Hä nden; — ich habe mit Kropp, Westhus und Tjaden ohne Handschuhe bei scharfem Frost eine Viertelstunde»Stillgestanden«geü bt, die bloß en Finger am eisigen Gewehrlauf, lauernd umschlichen von Himmelstoß, der auf die geringste Bewegung wartete, um ein Vergehen festzustellen; — ich bin nachts um zwei Uhr achtmal im Hemd vom obersten Stock der Kaserne heruntergerannt bis auf den Hof, weil meine Unterhose einige Zentimeter ü ber den Rand des Schemels hinausragte, auf dem jeder seine Sachen aufschichten muß te. Neben mir lief der Unteroffizier vom Dienst, Himmelstoß, und trat mir auf die Zehen; — ich habe beim Bajonettieren stä ndig mit Himmelstoß fechten mü ssen, wobei ich ein schweres Eisengestell und er ein handliches Holzgewehr hatte, so daß er mir bequem die Arme braun und blau schlagen konnte; allerdings geriet ich dabei einmal so in Wut, daß ich ihn blindlings ü berrannte und ihm einen derartigen Stoß vor den Magen gab, daß er umfiel. Als er sich beschweren wollte, lachte ihn der Kompaniefü hrer aus und sagte, er solle doch aufpassen; er kannte seinen Himmelstoß und schien ihm den Reinfall zu gö nnen. — Ich habe mich zu einem perfekten Kletterer auf die Spinde entwickelt; — ich suchte allmä hlich auch im Kniebeugen meinen Meister; — wir haben gezittert, wenn wir nur seine Stimme hö rten, aber kleingekriegt hat uns dieses wildgewordene Postpferd nicht.

Als Kropp und ich im Barackenlager sonntags an einer Stange die Latrineneimer ü ber den Hof schleppten und Himmelstoß, blitzblank geschniegelt, zum Ausgehen bereit, gerade vorbeikam, sich vor uns hinstellte und fragte, wie uns die Arbeit gefiele, markierten wir trotz allem ein Stolpern und gossen ihm den Eimer ü ber die Beine. Er tobte, aber das Maß war voll.

»Das setzt Festung«, schrie er.

Kropp hatte genug.»Vorher aber eine Untersuchung, und da werden wir auspacken«, sagte er.

»Wie reden Sie mit einem Unteroffizier! «brü llte Himmelstoß,»sind Sie verrü ckt geworden? Warten Sie, bis Sie gefragt werden! Was wollen Sie tun? «

»Ü ber Herrn Unteroffizier auspacken! «sagte Kropp und nahm die Finger an die Hosennaht.

Himmelstoß merkte nun doch, was los war, und schob ohne ein Wort ab. Bevor er verschwand, krakehlte er zwar noch:»Das werde ich euch einträ nken«, — aber es war vorbei mit seiner Macht. Er versuchte es noch einmal in den Sturzä ckern mit»Hinlegen«und»Sprung auf, marsch, marsch«. Wir befolgten zwar jeden Befehl; denn Befehl ist Befehl, er muß ausgefü hrt werden. Aber wir fü hrten ihn so langsam aus, daß Himmelstoß in Verzweiflung geriet.

Gemü tlich gingen wir auf die Knie, dann auf die Arme und so fort; inzwischen hatte er schon wü tend ein anderes Kommando gegeben. Bevor wir schwitzten, war er heiser. Er ließ uns dann in Ruhe. Zwar bezeichnete er uns immer noch als Schweinehunde. Aber es lag Achtung darin. Es gab auch viele anstä ndige Korporale, die vernü nftiger waren; die anstä ndigen waren sogar in der Ü berzahl. Aber vor allem wollte jeder seinen guten Posten hier in der Heimat so lange behalten wie mö glich, und das konnte er nur, wenn er stramm mit den Rekruten war. Uns ist dabei wohl jeder Kasernenhofschliff zuteil geworden, der mö glich war, und oft haben wir vor Wut geheult. Manche von uns sind auch krank dadurch geworden. Wolf ist sogar an Lungenentzü ndung gestorben. Aber wir wä ren uns lä cherlich vorgekommen, wenn wir klein beigegeben hä tten. Wir wurden hart, miß trauisch, mitleidlos, rachsü chtig, roh — und das war gut; denn diese Eigenschaften fehlten uns gerade. Hä tte man uns ohne diese Ausbildungszeit in den Schü tzengraben geschickt, dann wä ren wohl die meisten von uns verrü ckt geworden. So aber waren wir vorbereitet fü r das, was uns erwartete. Wir zerbrachen nicht, wir paß ten uns an; unsere zwanzig Jahre, die uns manches andere so schwer machten, halfen uns dabei. Das Wichtigste aber war, daß in uns ein festes, praktisches Zusammengehö rigkeitsgefü hl erwachte, das sich im Felde dann zum Besten steigerte, was der Krieg hervorbrachte: zur Kameradschaft!

 

 

* * *

 

Ich sitze am Bette Kemmerichs. Er verfä llt mehr und mehr. Um uns ist viel Radau. Ein Lazarettzug ist angekommen, und die transportfä higen Verwundeten werden ausgesucht. An Kemmerichs Bett geht der Arzt vorbei, er sieht ihn nicht einmal an.

»Das nä chstemal, Franz«, sage ich.

Er hebt sich in den Kissen auf die Ellbogen.»Sie haben mich amputiert.«

Das weiß er also doch jetzt. Ich nicke und antworte:»Sei froh, daß du so weggekommen bist.«

Er schweigt.

Ich rede weiter:»Es konnten auch beide Beine sein, Franz. Wegeler hat den rechten Arm verloren. Das ist viel schlimmer. Du kommst ja auch nach Hause.«

Er sieht mich an.»Meinst du? «

»Natü rlich.«

Er wiederholt:»Meinst du? «

»Sicher, Franz. Du muß t dich nur erst von der Operation erholen.«

Er winkt mir, heranzurü cken. Ich beuge mich ü ber ihn, und er flü stert:»Ich glaube es nicht.«

»Rede keinen Quatsch, Franz, in ein paar Tagen wirst du es selbst einsehen. Was ist das schon groß: ein amputiertes Bein; hier werden ganz andere Sachen wieder zurechtgepflastert.«

Er hebt eine Hand hoch.»Sieh dir das mal an, diese Finger.«

»Das kommt von der Operation. Futtere nur ordentlich, dann wirst du schon aufholen. Habt ihr anstä ndige Verpflegung? «

Er zeigt auf eine Schü ssel, die noch halb voll ist. Ich gerate in Erregung.»Franz, du muß t essen. Essen ist die Hauptsache. Das ist doch ganz gut hier.«

Er wehrt ab. Nach einer Pause sagt er langsam:»Ich wollte mal Oberfö rster werden.«

»Das kannst du noch immer«, trö ste ich.»Es gibt jetzt groß artige Prothesen, du merkst damit gar nicht, daß dir etwas fehlt. Sie werden an die Muskeln angeschlossen. Bei Handprothesen kann man die Finger bewegen und arbeiten, sogar schreiben. Und auß erdem wird da immer noch mehr erfunden werden.«

Er liegt eine Zeitlang still. Dann sagt er:»Du kannst meine Schnü rschuhe fü r Mü ller mitnehmen.«Ich nicke und denke nach, was ich ihm Aufmunterndes sagen kann. Seine Lippen sind weggewischt, sein Mund ist grö ß er geworden, die Zä hne stechen hervor, als wä ren sie aus Kreide. Das Fleisch zerschmilzt, die Stirn wö lbt sich stä rker, die Backenknochen stehen vor. Das Skelett arbeitet sich durch. Die Augen versinken schon. In ein paar Stunden wird es vorbei sein.

Er ist nicht der erste, den ich so sehe; aber wir sind zusammen aufgewachsen, da ist es doch immer etwas anders. Ich habe die Aufsä tze von ihm abgeschrieben. Er trug in der Schule meistens einen braunen Anzug mit Gü rtel, der an den Ä rmeln blankgewetzt war. Auch war er der einzige von uns, der die groß e Riesenwelle am Reck konnte. Das Haar flog ihm wie Seide ins Gesicht, wenn er sie machte. Kantorek war deshalb stolz auf ihn. Aber Zigaretten konnte er nicht vertragen. Seine Haut war sehr weiß, er hatte etwas von einem Mä dchen.

Ich blicke auf meine Stiefel. Sie sind groß und klobig, die Hose ist hineingeschoben; wenn man aufsteht, sieht man dick und krä ftig in diesen breiten Rö hren aus. Aber wenn wir baden gehen und uns ausziehen, haben wir plö tzlich wieder schmale Beine und schmale Schultern. Wir sind dann keine Soldaten mehr, sondern beinahe Knaben, man wü rde auch nicht glauben, daß wir Tornister schleppen kö nnen. Es ist ein sonderbarer Augenblick, wenn wir nackt sind; dann sind wir Zivilisten und fü hlen uns auch beinahe so.

Franz Kemmerich sah beim Baden klein und schmal aus wie ein Kind. Da liegt er nun, weshalb nur? Man sollte die ganze Welt an diesem Bette vorbeifü hren und sagen: Das ist Franz Kemmerich, neunzehneinhalb Jahre alt, er will nicht sterben. Laß t ihn nicht sterben! Meine Gedanken gehen durcheinander. Diese Luft von Karbol und Brand verschleimt die Lungen, sie ist ein trä ger Brei, der erstickt.

Es wird dunkel. Kemmerichs Gesicht verbleicht, es hebt sich von den Kissen und ist so blaß, daß es schimmert. Der Mund bewegt sich leise. Ich nä here mich ihm. Er flü stert:»Wenn ihr meine Uhr findet, schickt sie nach Hause.«Ich widerspreche nicht. Es hat keinen Zweck mehr. Man kann ihn nicht ü berzeugen. Mir ist elend vor Hilflosigkeit. Diese Stirn mit den eingesunkenen Schlä fen, dieser Mund, der nur noch Gebiß ist, diese spitze Nase! Und die dicke weinende Frau zu Hause, an die ich schreiben muß. Wenn ich nur den Brief schon weg hä tte. Lazarettgehilfen gehen herum mit Flaschen und Eimern. Einer kommt heran, wirft Kemmerich einen forschenden Blick zu und entfernt sich wieder. Man sieht, daß erwartet, wahrscheinlich braucht er das Bett. Ich rü cke nahe an Franz heran und spreche, als kö nnte ihn das retten:»Vielleicht kommst du in das Erholungsheim am Klosterberg, Franz, zwischen den Villen. Du kannst dann vom Fenster aus ü ber die Felder sehen bis zu den beiden Bä umen am Horizont. Es ist jetzt die schö nste Zeit, wenn das Korn reift, abends in der Sonne sehen die Felder dann aus wie Perlmutter. Und die Pappelallee am Klosterbach, in dem wir Stichlinge gefangen haben! Du kannst dir dann wieder ein Aquarium anlegen und Fische zü chten, du kannst ausgehen und brauchst niemand zu fragen, und Klavierspielen kannst du sogar auch, wenn du willst.«Ich beuge mich ü ber sein Gesicht, das im Schatten liegt. Er atmet noch, leise. Sein Gesicht ist naß, er weint. Da habe ich ja schö nen Unsinn angerichtet mit meinem dummen Gerede!

»Aber Franz«— ich umfasse seine Schulter und lege mein Gesicht an seins.»Willst du jetzt schlafen? «Er antwortet nicht. Die Trä nen laufen ihm die Backen herunter. Ich mö chte sie abwischen, aber mein Taschentuch ist zu schmutzig.

Eine Stunde vergeht. Ich sitze gespannt und beobachte jede seiner Mienen, ob er vielleicht noch etwas sagen mö chte. Wenn er doch den Mund auftun und schreien wollte! Aber er weint nur, den Kopf zur Seite gewandt. Er spricht nicht von seiner Mutter und seinen Geschwistern, er sagt nichts, es liegt wohl schon hinter ihm; — er ist jetzt allein mit seinem kleinen neunzehnjä hrigen Leben und weint, weil es ihn verlä ß t.

Dies ist der fassungsloseste und schwerste Abschied, den ich je gesehen habe, obwohl es bei Tiedjen auch schlimm war, der nach seiner Mutter brü llte, ein bä renstarker Kerl, und der den Arzt mit aufgerissenen Augen angstvoll mit einem Seiten­gewehr von seinem Bett fernhielt, bis er zusammenklappte.

Plö tzlich stö hnt Kemmerich und fä ngt an zu rö cheln. Ich springe auf, stolpere hinaus und frage:»Wo ist der Arzt? Wo ist der Arzt? «

Als ich den weiß en Kittel sehe, halte ich ihn fest.»Kommen Sie rasch, Franz Kemmerich stirbt sonst.«

Er macht sich los und fragt einen dabeistehenden Lazarettgehilfen:»Was soll das heiß en? «

Der sagt:»Bett 26, Oberschenkel amputiert.«Er schnauzt:»Wie soll ich davon etwas wissen, ich habe heute fü nf Beine amputiert«, schiebt mich weg, sagt dem Lazarettgehilfen:»Sehen Sie nach«, und rennt zum Operationssaal.

Ich bebe vor Wut, als ich mit dem Sanitä ter gehe. Der Mann sieht mich an und sagt:»Eine Operation nach der andern, seit morgens fü nf Uhr — doll, sage ich dir, heute allein wieder sechzehn Abgä nge — deiner ist der siebzehnte. Zwanzig werden sicher noch voll —«

Mir wird schwach, ich kann plö tzlich nicht mehr. Ich will nicht mehr schimpfen, es ist sinnlos, ich mö chte mich fallen lassen und nie wieder aufstehen.

Wir sind am Bette Kemmerichs. Er ist tot. Das Gesicht ist noch naß von den Trä nen. Die Augen stehen halb offen, sie sind gelb wie alte Hornknö pfe. — Der Sanitä ter stö ß t mich in die Rippen.

»Nimmst du seine Sachen mit? «

Ich nicke.

Er fä hrt fort:»Wir mü ssen ihn gleich wegbringen, wir brauchen das Bett. Drauß en liegen sie schon auf dem Flur.«

Ich nehme die Sachen und knö pfe Kemmerich die Erkennungsmarke ab. Der Sanitä ter fragt nach dem Soldbuch. Es ist nicht da. Ich sage, daß es wohl auf der Schreibstube sein mü sse, und gehe. Hinter mir zerren sie Franz schon auf eine Zeltbahn.

Vor der Tü r fü hle ich wie eine Erlö sung das Dunkel und den Wind. Ich atme, so sehr ich es vermag, und spü re die Luft warm und weich wie nie in meinem Gesicht. Gedanken an Mä dchen, an blü hende Wiesen, an weiß e Wolken fliegen mir plö tzlich durch den Kopf. Meine Fü ß e bewegen sich in den Stiefeln vorwä rts, ich gehe schneller, ich laufe. Soldaten kommen an mir vorü ber, ihre Gesprä che erregen mich, ohne daß ich sie verstehe. Die Erde ist von Krä ften durchflossen, die durch meine Fuß sohlen in mich ü berströ men. Die Nacht knistert elektrisch, die Front gewittert dumpf wie ein Trommelkonzert. Meine Glieder bewegen sich geschmeidig, ich fü hle meine Gelenke stark, ich schnaufe und schnaube. Die Nacht lebt, ich lebe. Ich spü re Hunger, einen grö ß eren als nur vom Magen. — Mü ller steht vor der Baracke und erwartet mich. Ich gebe ihm die Schuhe. Wir gehen hinein, und er probiert sie an. Sie passen genau. — Er kramt in seinen Vorrä ten und bietet mir ein schö nes Stü ck Zervelatwurst an. Dazu gibt es heiß en Tee mit Rum.

 

 

3.

 

Wir bekommen Ersatz. Die Lü cken werden ausgefü llt, und die Strohsä cke in den Baracken sind bald belegt. Zum Teil sind es alte Leute, aber auch fü nfundzwanzig Mann junger Ersatz aus den Feldrekrutendepots werden uns ü berwiesen. Sie sind fast ein Jahr jü nger als wir. Kropp stö ß t mich an:»Hast du die Kinder gesehen? «

Ich nicke. Wir werfen uns in die Brust, lassen uns auf dem Hof rasieren, stecken die Hä nde in die Hosentaschen, sehen uns die Rekruten an und fü hlen uns als steinaltes Militä r.

Katczinsky schließ t sich uns an. Wir wandern durch die Pferdestä lle und kommen zu den Ersatzleuten, die gerade Gasmasken und Kaffee empfangen. Kat fragt einen der jü ngsten:»Habt wohl lange nichts Vernü nftiges zu futtern gekriegt, was? «

Der verzieht das Gesicht.»Morgens Steckrü benbrot — mittags Steckrü bengemü se, abends Steckrü benkoteletts und Steckrü bensalat.«

Katczinsky pfeift fachmä nnisch.»Brot aus Steckrü ben? Da habt ihr Glü ck gehabt, sie machen es auch schon aus Sä gespä nen. Aber was meinst du zu weiß en Bohnen, willst du einen Schlag haben? «

Der Junge wird rot.»Verkohlen brauchst du mich nicht.«Katczinsky antwortet nichts als:»Nimm dein Kochgeschirr.«

Wir folgen neugierig. Er fü hrt uns zu einer Tonne neben seinem Strohsack. Sie ist tatsä chlich halb voll weiß er Bohnen mit Rindfleisch. Katczinsky steht vor ihr wie ein General und sagt:»Auge auf, Finger lang! Das ist die Parole bei den Preuß en.«

Wir sind ü berrascht. Ich frage:»Meine Fresse, Kat, wie kommst du denn dazu? «

»Die Tomate war froh, als ich ihr’s abnahm. Ich habe drei Stü ck Fallschirmseide dafü r gegeben. Na, weiß e Bohnen schmecken kalt doch tadellos.«

Er gibt gö nnerhaft dem Jungen eine Portion auf und sagt:»Wenn du das nä chstemal hier antrittst mit deinem Kochgeschirr, hast du in der linken Hand eine Zigarre oder einen Priem. Verstanden? «

Dann wendet er sich zu uns.»Ihr kriegt natü rlich so.«

 

 

* * *

 

Katczinsky ist nicht zu entbehren, weil er einen sechsten Sinn hat. Es gibt ü berall solche Leute, aber niemand sieht ihnen von vornherein an, daß es so ist. Jede Kompanie hat einen oder zwei davon. Katczinsky ist der gerissenste, den ich kenne. Von Beruf ist er, glaube ich, Schuster, aber das tut nichts zur Sache, er versteht jedes Handwerk. Es ist gut, mit ihm befreundet zu sein. Wir sind es, Kropp und ich, auch Haie Westhus gehö rt halb und halb dazu. Er ist allerdings schon mehr ausfü hrendes Organ, denn er arbeitet unter dem Kommando Kats, wenn eine Sache geschmissen wird, zu der man Fä uste braucht. Dafü r hat er dann seine Vorteile.

Wir kommen zum Beispiel nachts in einen vö llig unbekannten Ort, ein trü bseliges Nest, dem man gleich ansieht, daß es ausgepowert ist bis auf die Mauern. Quartier ist eine kleine, dunkle Fabrik, die erst dazu eingerichtet worden ist. Es stehen Betten darin, vielmehr nur Bettstellen, ein paar Holzlatten, die mit Drahtgeflecht bespannt sind. Drahtgeflecht ist hart. Eine Decke zum Unterlegen haben wir nicht, wir brauchen unsere zum Zudecken. Die Zeltbahn ist zu dü nn.

Kat sieht sich die Sache an und sagt zu Haie Westhus:»Komm mal mit.«Sie gehen los, in den vö llig unbekannten Ort hinein. Eine halbe Stunde spä ter sind sie wieder da, die Arme hoch voll Stroh. Kat hat einen Pferdestall gefunden und damit das Stroh. Wir kö nnten jetzt warm schlafen, wenn wir nicht noch einen so entsetzlichen Kohldampf hä tten.

Kropp fragt einen Artilleristen, der schon lä nger in der Gegend ist:»Gibt es hier irgendwo eine Kantine? «Der lacht:»Hat sich was! Hier ist nichts zu holen. Keine Brotrinde holst du hier.«»Sind denn keine Einwohner mehr da? «Er spuckt aus.»Doch, ein paar. Aber die lungern selbst um jeden Kü chenkessel herum und betteln.«Das ist eine bö se Sache. Dann mü ssen wir eben den Schmachtriemen enger schnallen und bis morgen warten, wenn die Furage kommt. Ich sehe jedoch, wie Kat seine Mü tze aufsetzt, und frage:»Wo willst du hin, Kat? «

»Mal etwas die Lage spannen.«Er schlendert hinaus. Der Artillerist grinst hö hnisch.»Spann man! Verheb dich nicht dabei.«

Enttä uscht legen wir uns hin und ü berlegen, ob wir die eisernen Portionen anknabbern sollen. Aber es ist uns zu riskant. So versuchen wir ein Auge voll Schlaf zu nehmen.

Kropp bricht eine Zigarette durch und gibt mir die Hä lfte. Tjaden erzä hlt von seinem Nationalgericht, groß en Bohnen mit Speck. Er verdammt die Zubereitung ohne Bohnenkraut. Vor allem aber soll man alles durcheinander kochen, um Gottes willen nicht die Kartoffeln, die Bohnen und den Speck getrennt. Jemand knurrte, daß er Tjaden zu Bohnenkraut verarbeiten wü rde, wenn er nicht sofort still wä re. Darauf wird es ruhig in dem groß en Raum. Nur ein paar Kerzen flackern in den Flaschenhä lsen, und ab und zu spuckt der Artillerist aus.

Wir duseln ein biß chen, als die Tü r aufgeht und Kat erscheint. Ich glaube zu trä umen: er hat zwei Brote unter dem Arm und in der Hand einen blutigen Sandsack mit Pferdefleisch.

Dem Artilleristen fä llt die Pfeife aus dem Munde. Er betastet das Brot.»Tatsä chlich, richtiges Brot, und noch warm.«

Kat redet nicht weiter darü ber. Er hat eben Brot, das andere ist egal. Ich bin ü berzeugt, wenn man ihn in der Wü ste aussetzte, wü rde er in einer Stunde ein Abendessen aus Datteln, Braten und Wein zusammenfinden. Er sagt kurz zu Haie:»Hack Holz.«40 Dann holt er eine Bratpfanne unter seinem Rock hervor und zieht eine Handvoll Salz und sogar eine Scheibe Fett aus der Tasche; — er hat an alles gedacht. Haie macht auf dem Fuß boden ein Feuer. Es prasselt durch die kahle Fabrikhalle. Wir klettern aus den Betten. Der Artillerist schwankt. Er ü berlegt, ob er loben soll, damit vielleicht auch etwas fü r ihn abfä llt. Aber Katczinsky sieht ihn gar nicht, so sehr ist er Luft fü r ihn. Da zieht er fluchend ab.

Kat kennt die Art, Pferdefleisch weichzubraten. Es darf nicht gleich in die Pfanne, dann wird es hart. Vorher muß es in wenig Wasser vorgekocht werden. Wir hocken uns mit unsern Messern im Kreis und schlagen uns den Magen voll.

Das ist Kat. Wenn in einem Jahr in einer Gegend nur eine Stunde lang etwas Eß bares aufzutreiben wä re, so wü rde er genau in dieser Stunde, wie von einer Erleuchtung getrieben, seine Mü tze aufsetzen, hinausgehen, geradewegs wie nach einem Kompaß darauf zu, und es finden. Er findet alles; — wenn es kalt ist, kleine Ö fen und Holz, Heu und Stroh, Tische, Stü hle — vor allem aber Fressen. Es ist rä tselhaft, man sollte glauben, er zaubere es aus der Luft. Seine Glanzleistung waren vier Dosen Hummer. Allerdings hä tten wir lieber Schmalz dafü r gehabt.

 

 

* * *

 

Wir haben uns auf der Sonnenseite der Baracken hingehauen. Er riecht nach Teer, Sommer und Schweiß fü ß en.

Kat sitzt neben mir, denn er unterhä lt sich gern. Wir haben heute mittag eine Stunde Ehrenbezeigungen geü bt, weil Tjaden einen Major nachlä ssig gegrü ß t hat. Das will Kat nicht aus dem Kopf. Er ä uß ert:»Paß auf, wir verlieren den Krieg, weil wir zu gut grü ß en kö nnen.«Kropp storcht nä her, barfuß, die Hosen aufgekrempelt. Er legt seine gewaschenen Socken zum Trocknen aufs Gras. Kat sieht in den Himmel, lä ß t einen krä ftigen Laut hö ren und sagt versonnen dazu:»Jedes Bö hnchen gibt ein Tö nchen.«

Die beiden fangen an zu disputieren. Gleichzeitig wetten sie um eine Flasche Bier auf einen Fliegerkampf, der sich ü ber uns abspielt.

Kat lä ß t sich nicht von seiner Meinung abbringen, die er als altes Frontschwein wieder in Reimen von sich gibt:»Gleiche Lö hnung, gleiches Essen, war’ der Krieg schon lä ngst vergessen.«— Kropp dagegen ist ein Denker. Er schlä gt vor, eine Kriegserklä rung solle eine Art Volksfest werden mit Eintrittskarten und Musik wie bei Stiergefechten. Dann mü ß ten in der Arena die Minister und Generä le der beiden Lä nder in Badehosen, mit Knü ppeln bewaffnet, aufeinander losgehen.

Wer ü brigbliebe, dessen Land hä tte gesiegt. Das wä re einfacher und besser als hier, wo die falschen Leute sich bekä mpfen. Der Vorschlag gefä llt. Dann gleitet das Gesprä ch auf den Kasernendrill ü ber.

Mir fä llt dabei ein Bild ein. Glü hender Mittag auf dem Kasernenhof. Die Hitze steht ü ber dem Platz. Die Kasernen wirken wie ausgestorben. Alles schlä ft. Man hö rt nur Trommler ü ben, irgendwo haben sie sich aufgestellt und ü ben, ungeschickt, eintö nig, stumpfsinnig. Welch ein Dreiklang: Mittagshitze, Kasernenhof und Trommelü ben! Die Fenster der Kaserne sind leer und dunkel. Aus einigen hä ngen trocknende Drillichhosen. Man sieht sehnsü chtig hinü ber. Die Stuben sind kü hl. — Oh, ihr dunklen, muffigen Korporalschaftsstuben mit den eisernen Bettgestellen, den gewü rfelten Betten, den Spindschrä nken und den Schemeln davor! Selbst ihr kö nnt das Ziel von Wü nschen werden; hier drauß en seid ihr sogar ein sagenhafter Abglanz von Heimat, ihr Gelasse voll Dunst von abgestandenen Speisen, Schlaf, Rauch und Kleidern!

Katczinsky beschreibt sie mit Farbenpracht und groß er Bewegung. Was wü rden wir geben, wenn wir zu ihnen zurü ck kö nnten! Denn weiter wagen sich unsre Gedanken schon gar nicht — Ihr Instruktionsstunden in der Morgenfrü he —»Worin zerfä llt das Gewehr 98? «— ihr Turnstunden am Nachmittag —»Klavierspieler vortreten. Rechts heraus. Meldet euch in der Kü che zum Kartoffelschä len«— Wir schwelgen in Erinnerun­gen. Kropp lacht plö tzlich und sagt:»In Lö hne umsteigen.«

Das war das liebste Spiel unseres Korporals. Lö hne ist ein Umsteigebahnhof. Damit unsre Urlauber sich dort nicht verlaufen sollten, ü bte Himmelstoß das Umsteigen mit uns in der Kasernenstube. Wir sollten lernen, daß man in Lö hne durch eine Unterfü hrung zum Anschluß zug gelangte. Die Betten stellten die Unterfü hrung dar, und jeder baute sich links davon auf. Dann kam das Kommando:»In Lö hne umsteigen! «, und wie der Blitz kroch alles unter den Betten hindurch auf die andere Seite. Das haben wir stundenlang geü bt. — Inzwischen ist das deutsche Flugzeug abgeschossen worden. Wie ein Komet stü rzt es in einer Rauchfahne abwä rts. Kropp hat dadurch eine Flasche Bier verloren und zä hlt miß mutig sein Geld.

»Der Himmelstoß ist als Briefträ ger sicher ein bescheidener Mann«, sagte ich, nachdem sich Alberts Enttä uschung gelegt hat,»wie mag es nur kommen, daß er als Unteroffizier ein solcher Schinder ist? «

Die Frage macht Kropp wieder mobil.»Das ist nicht nur Himmelstoß allein, das sind sehr viele. Sowie sie Tressen oder einen Sä bel haben, werden sie andere Menschen, als ob sie Beton gefressen hä tten.«

»Das macht die Uniform«, vermute ich.

»So ungefä hr«, sagt Kat und setzt sich zu einer groß en Rede zurecht,»aber der Grund liegt anderswo. Sieh mal, wenn du einen Hund zum Kartoffelfressen abrichtest und du legst ihm dann nachher ein Stü ck Fleisch hin, so wird er trotzdem danach schnappen, weil das in seiner Natur liegt. Und wenn du einem Menschen ein Stü ckchen Macht gibst, dann geht es ihm ebenso; er schnappt danach. Das kommt ganz von selber, denn der Mensch ist an und fü r sich zunä chst einmal ein Biest, und dann erst ist vielleicht noch, wie bei einer Schmalzstulle, etwas Anstä ndigkeit draufgeschmiert. Der Kommiß besteht nun darin, daß immer einer ü ber den andern Macht hat. Das Schlimme ist nur, daß jeder viel zuviel Macht hat; ein Unteroffizier kann einen Gemeinen, ein Leutnant einen Unteroffizier, ein Hauptmann einen Leutnant derartig zwiebeln, daß er verrü ckt wird. Und weil er das weiß, deshalb gewö hnt er es sich gleich schon etwas an. Nimm nur die einfachste Sache: wir kommen vom Exerzierplatz und sind hundemü de. Da wird befohlen: Singen! Na, es wird ein schlapper Gesang, denn jeder ist froh, daß er sein Gewehr noch schleppen kann. Und schon macht die Kompanie kehrt und muß eine Stunde strafexerzieren. Beim Rü ckmarsch heiß t es wieder: ›Singen! ‹, und jetzt wird gesungen. Was hat das Ganze fü r einen Zweck? Der Kompaniefü hrer hat seinen Kopf durchgesetzt, weil er die Macht dazu hat. Niemand wird ihn tadeln, im Gegenteil, er gilt als stramm. Dabei ist so etwas nur eine Kleinigkeit, es gibt doch noch ganz andere Sachen, womit sie einen schinden. Nun frage ich euch: Mag der Mann in Zivil sein, was er will, in welchem Beruf kann er sich so etwas leisten, ohne daß ihm die Schnauze eingeschlagen wird? Das kann er nur beim Kommiß! Seht ihr, und das steigt jedem zu Kopf! Und es steigt ihm umso mehr zu Kopf, je weniger er als Zivilist zu sagen hatte.«

»Es heiß t eben, Disziplin muß sein —«, meint Kropp nachlä ssig.

»Grü nde«, knurrt Kat,»haben sie immer. Mag ja auch sein. Aber es darf keine Schikane werden. Und mach du das mal einem Schlosser oder Knecht oder Arbeiter klar, erklä re das mal einem Muskoten, und das sind doch die meisten hier; der sieht nur, daß er geschunden wird und ins Feld kommt, und er weiß ganz genau, was notwendig ist und was nicht. Ich sage euch, daß der einfache Soldat hier vorn so aushä lt, das ist allerhand! Allerhand ist das! «Jeder gibt es zu, denn jeder weiß, daß nur im Schü tzengraben der Drill aufhö rt, daß er aber wenige Kilometer hinter der Front schon wieder beginnt, und sei es mit dem grö ß ten Unsinn, mit Grü ß en und Parademarsch. Denn es ist eisernes Gesetz: Der Soldat muß auf jeden Fall beschä ftigt werden.

Doch nun erscheint Tjaden, mit roten Flecken im Gesicht. Er ist so aufgeregt, daß er stottert. Strahlend buchstabiert er:»Himmelstoß ist unterwegs nach hier. Er kommt an die Front.«

 

 

* * *

 

 

Tjaden hat eine Hauptwut auf Himmelstoß, weil der ihn im Barackenlager auf seine Weise erzogen hat. Tjaden ist Bettnä sser, nachts beim Schlafen passiert es ihm eben. Himmelstoß behauptet steif und fest, es sei nur Faulheit, und er fand ein seiner wü rdiges Mittel, um Tjaden zu heilen. Er trieb in der benachbarten Baracke einen zweiten Bettnä sser auf, der Kindervater hieß. Den quartierte er mit Tjaden zusammen. In den Baracken standen die typischen Bettgestelle, zwei Betten ü bereinander, die Bettbö den aus Draht. Himmelstoß legte beide nun so zusammen, daß der eine das obere, der andere das darunter befindliche Bett bekam. Der untere war dadurch natü rlich scheuß lich daran. Dafü r wurde am nä chsten Abend gewechselt, der untere kam nach oben, damit er Vergeltung hatte. Das war Himmelstoß ’ Selbsterziehung.

Der Einfall war gemein, aber in der Idee gut. Leider nutzte er nichts, weil die Voraussetzung nicht stimmte: es war keine Faulheit bei den beiden. Das konnte jeder merken, der ihre fahle Haut ansah. Die Sache endete damit, daß immer einer von beiden auf dem Fuß boden schlief. Er hä tte sich leicht dabei erkä lten kö nnen. — Haie hat sich inzwischen auch neben uns niedergelassen. Er blinzelt mir zu und reibt andä chtig seine Tatze. Wir haben zusammen den schö nsten Tag unseres Kommiß lebens erlebt. Das war der Abend, bevor wir ins Feld fuhren. Wir waren einem der Regimenter mit der hohen Hausnummer zugeteilt, vorher aber zur Einkleidung in die Garnison zurü ckbefö rdert worden, allerdings nicht zum Rekrutendepot, sondern in eine andere Kaserne. Am nä chsten Morgen frü h sollten wir abfahren. Abends machten wir uns auf, um mit Himmelstoß abzurechnen. Das hatten wir uns seit Wochen geschworen. Kropp war sogar so weit gegangen, daß er sich vorgenommen hatte, im Frieden das Postfach einzuschlagen, um spä ter, wenn Himmelstoß wieder Briefträ ger war, sein Vorgesetzter zu werden. Er schwelgte in Bildern, wie er ihn schleifen wü rde. Denn

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