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Durch die Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Universität (TH) Karlsruhe






 

Hochverehrte Festversammlung! Die Fakultä t fü r Geistes- und Sozialwissenschaften ehrt heute den derzeit fü hrenden offiziellen Reprä sentanten der russischen Philosophie, Herrn Prof. Stiopin, indem sie ihm die hö chste akademische Anerkennung, die sie vergeben kann, den Ehrendoktortitel, Doctor philosophiae als honoris causa, verleiht.

Prof. Dr. Dres. h.c. Stiopin ist nicht nur ordentliches Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften, sondern auch Inhaber zweier Lehrstü hle in Moskau, nä mlich an der Lomonossow-Universitä t (fü r Philosophische Anthropologie) und an der neugegrü ndeten Staatlichen Universitä t fü r Humanwissenschaften Geistes- und Sozialwissenschaften, deren Grü ndungsrektor er ist. Er ist zudem Vizeprä sident der Russischen Gesellschaft fü r Philosophie und zugleich in seinem Lande der einfluß reichste offizielle Reprä sentant der Philosophie. Er hat einen Ehrendoktor auch in diesem Jahr von der Internationalen Universitä t fü r Rechtswissenschaft und Politik in Hongkong erhalten.

Herr Kollege Stiopin ist ein international anerkannter und durch viele Verö ffentlichungen zur Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie und -geschichte, zur Kulturphilosophie und Anthropologie, zur Gesellschaftsphilosophie ausgewiesener Wissenschaftler, wie der Dekan, Prof. Dr. Thum schon sagte. Aber er ist nicht nur dies, sondern auch eine couragierte Persö nlichkeit, darauf werde ich noch eingehen.

Gestatten Sie mir jedoch zunä chst, Grü ß e und Glü ckwü nsche von der internationalen Dachgesellschaft fü r Philosophie, der Fé dé ration Internationale des Socié té s de Philosophie, als deren Vizeprä sident zu ü berbringen. Die FISP ist besonders erfreut ü ber solche internationalen und interkulturellen Beziehungen in der Philosophie, zumal, wenn sie verbunden sind mit praxiszugewandten Auspizien insbesondere unter interdisziplinä rer, ja, interfakultä rer Thematik; und dafü r ist Herr Stiopin eine der qualifiziertesten Persö nlichkeiten in der russischen Fö deration.

 

Aber lassen Sie mich mit einer Anekdote ü ber den Beginn der Zusammenarbeit des Karlsruher Instituts fü r Philosophie mit der Moskauer Akademie und deren Institut fü r Philosophie beginnen: Es ist ü ber zehn Jahre her, daß eine Technikphilosophie-Tagung in der Russischen Akademie der Wissenschaften im dortigen Institut fü r Philosophie stattfand. Ich erinnere mich noch, daß eine weiß e Lenin-Bü ste vor einem groß en roten Samtteppich imponierte; man blickte stä ndig auf den weissen Lenin und durch das Fenster auf die trü be, leicht neblig-weiß verschleierte und verschneite Landschaft drauß en: es war also im Winter. Es war die Zeit der beginnenden Perestroika. Einer unserer deutschen, damals noch bekennenden oder in beilaufendem Gehorsam operierenden, sich anpassenden, Salonsozialisten stellte einige diesbezü gliche Thesen auf, schwelgte etwas von den theoretisch groß en Vorteilen des Sozialismus. Uns wurde das bereits ein wenig zu viel, wir rutschten verlegen auf unseren roten Samtstü hlen hin und her. Da sprang plö tzlich ein jü ngerer Wissenschaftler - es stellte sich heraus, daß er auf den Namen Gorochov hö rte - auf und rief: " Zuviel Sozialismus! ". Stellen Sie sich das in jener Zeit vor! Wohlgemerkt am Beginn der Perestroika. Da beschloß ich, daß wir versuchen wollten, eine dauerhafte und ernsthafte Kooperation zu entwickeln.

 

In der Tat waren in der Akademie der Wissenschaften vielfach eher systemkritische Intellektuelle zu finden, die von den Universitä ten in die Akademie sozusagen " entsorgt" wurden - vielleicht um die universitä re Jugend nicht zu " verfü hren" (eine uralte Strategie von machthabern gegen " Stechfliegen" der Freiheit und Humanitä t (vgl. Sokrates!). Dort jedoch konnten sie sogar freier forschen. Zu diesen Wissenschaftlern gehö rte auch unser heute geehrter Prof. Stiopin Er hatte nä mlich 1968, als er noch in Minsk war, gegen den Einmarsch der Roten Armee in die Tschechei protestiert und verlor seine Assistenzprofessur. Er wurde sozusagen " in die Produktion" geschickt, wie es heiß t; 'in die Produktion' hieß in diesem Falle aber fü r ihn glü cklicherweise: er wurde in die Physik abgestellt, er sollte Physik betreiben und forschen, denn er besaß auch ein Diplom fü r Physik. So war er fü r ein Jahr in die physikalische, theoretische Produktion " abgestellt", erhielt dann aber spä ter, bei gewissen teilpolitischen Ä nderungen, seine Assistenzprofesssur in Minsk wieder. Dies wirft glaube ich mehr Licht auf seine Person, seine Integritä t, seine moralische Unbeugsamkeit und vor allem seine Zivilcourage als viele Referate ü ber wissenschaftliche Qualifikationen.

Er hat spä ter dann im erwä hnten Sinne versucht, auch in Moskau, in der Akademie der Wissenschaften, zu " ü berwintern", kö nnte man sagen. Er stieg in der Akademie zum Leiter Vorsitzender der Abteilung fü r Geschichte der Wissenschaften und Technik auf, und wurde dann - ich komme darauf noch zurü ck - zum Direktor des Instituts fü r Philosophie an der Russischen Akademie der Wissenschaften gewä hlt - und gerade kü rzlich wieder gewä hlt.

In der erwä hnten Perestroika-Zeit, genauer im Februar 1990, wurde vom sowjetischen Fernsehen eine Sendung ausgestrahlt, die regelmä ß ig philosophische Gesprä che wiedergab. Damals wurde ein neues Lehrbuch der Philosophie, das Stiopin zusammen mit anderen Autoren (im sog. " Autorenkollektiv") verfaß t hatte, eingefü hrt. Das Lehrbuch thematisierte zwei zentrale Themen der Perestroika, nä mlich den Menschen als hö chsten Wert in der Gesellschaft und die Anerkennung der allgemein-menschlichen Werte wieder zu beleben. Auf die Frage, weshalb der erste Teil des Lehrbuchs der Philosophiegeschichte gewidmet ist, sagte Stiopin:

 

" Die ewigen Probleme sollten wieder bewuß t gemacht werden - mit der Folgerung: Es ist unzulä ssig, wenn jeder, der mit einer wissenschaftlichen Weltanschauung ausgerü stet ist, sich als hö herwertig einstufen kann gegenü ber Platon, Leibniz, Kant und Solovjov. Das Vorurteil, daß der Marxismus ü ber irgendeinen allgemeinen Schlü ssel fü r alle Probleme verfü gt, hat unserer Philosophie nicht wenig Schaden zugefü gt. Und nicht nur ihr. Das Ziel, dieses Vorurteil zu zerstö ren, hat sich das Autorenkollektiv als Aufgabe vorgestellt."

 

Stiopin wurde dann wenig spä ter zu eine Art von wissenschaftlichem Berater von Gorbatschov berufen. Er vertrat aber auch oft die russische Philosophie im Ausland, z. B. beim Weltkongreß fü r Philosophie in Brighton 1988, wo ich ihn zuerst kennenlernte, noch vor der erwä hnten Technikphlosophie-Tagung ein Jahr darauf. Ich traf ihn dann auch wieder 1993 beim Weltkongreß fü r Philosophie in Moskau, als ich selbst in das Comité Directeur der Weltgesellschaft gewä hlt wurde, und seitdem haben wir mehr als ein halbes Dutzend von gemeinsamen deutsch-russischen Kolloquien ü ber Technikphilosphie, philosophische Anthropologie, wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorie, ü ber auß erwissenschaftliches Denken, ü ber Religionsphilosophie usw. erlebt. Daraus ist eine Reihe von meist russischen Publikationen hervorgegangen, Sammelbä nde, die z. T. auch parallel in Deutsch erschienen sind. (Leider haben wir damals diese weitgehend von der VW-Stiftung finanzierten Kolloquien nicht ü ber die Kasse unserer Universitä t abwickeln kö nnen, sonst hä tte die – spä ter relevant gewordene - Drittmitteleinwerbungsquote unserer Fakultä t sehr viel gü nstiger " abgeschnitten", aber die Abrechnung lief eben ü ber eine andere Universitä t:)

Ohne Herrn Stiopin - der Dekan erwä hnte es schon - ist natü rlich erst recht die Grü ndung des Deutsch-Russischen Kollegs an der Universitä t Karlsruhe nicht denkbar. Ich denke, Herr Kollege Spinner, der sich dankenswerter Weise der Organisation des Deutsch-Russischen Kollegs angenommen hat, wird sicherlich noch auf dieses Kolleg eingehen. Dessen Koordinator ist ü brigens Herr Prof. Gorochov, der seit lä ngerer Zeit Gastprofessor in Karlsruhe ist. Jedenfalls kann man sagen, daß ohne Prof. Stiopin weder das Deutsch-Russische Kolleg noch die gestern hier in Karlsruhe (zusammen mit der Gorbatschov-Stiftung) gegrü ndete Internationale Akademie fü r nachhaltige Entwicklung und Technologien noch der Besuch von Gorbatschov in Karlsruhe im letzten Jahr mö glich gewesen wä ren.

Die Deutsche Vereinigung kann man ja begleiten mit dem Spruch " Gorbi sei Dank! ". Hier in Karlsruhe mü ß te es heiß en " Stiopi(n) sei Dank! " Und man muß wohl noch ergä nzend hinzufü gen, auch " Gorochov sei Dank". Der letztere hat sich mit einer unendlichen Hingabe dem Aufbau dieser sich entwickelnden Zusammenarbeit gewidmet, und er engagiert sich hierfü r auch heute noch unermü dlich.

Zum Lebenslauf von Viatcheslav Semionovitch Stiopin – Er ist 1934 in Navliar bei Brjansk geboren. Er legte sein Examen an der Philosphischen Fakultä t der Weiß russischen Staatsuniversitä t in Minsk ab und erwarb auch ein Diplom in Physik (an der Fakultä t fü r Physik derselben Universitä t); er ist also doppelt qualifiziert. Er war dann Assistenzprofessor an der Weiß russischen Technischen Hochschule, ebenfalls in Minsk, wo das eingangs geschilderte Ereignis stattgefunden hat. Spä ter, ab 1974, war er ein " Associate Professor" fü r Philosophie an der Weiß russischen Universitä t in Minsk. Er ist also von der Technischen Hochschule zur Universitä t gewechselt, seit 1979 als " Full Professor". Er arbeitete danach aber vorwiegend in Moskau, zuerst als Direktor des Instituts fü r Geschichte der Naturwissenschaften und Technik, wie ich schon sagte, und seit 1987 und 1988 bis heute - und gerade wiedergewä hlt - ist er Direktor des gesamten Instituts fü r Philosophie der Russischen Akademie der Wissenschaften und gleichzeitig wie erwä hnt Lehrstuhlinhaber an der Moskauer Universitä t und an der Russischen Staatlichen Universitä t fü r Geistes- und Sozialwissenschaften. 1987 wurde er als Korrespondierendes Mitglied, 1994 als aktives Ordentliches Mitglied in die Russische Akademie der Wissenschaften gewä hlt. Der Dekan hat auf seine Hauptarbeitsgebiete schon kurz hingewiesen: Erkenntnistheorie, Methodologie und Geschichte der Wissenschaften, also Wissenschaftstheorie und Sozialwissenschaftstheorie in historischer und sozialwissenschaftlicher Einbettung, darü ber hinaus Sozialphilosophie, Kulturphilosophie, philosophische Anthropologie. Er hat mehr als 250 Arbeiten vorzuweisen, darunter 17 Bü cher, von denen ich vielleicht einige Titel nennen sollte: " Methoden der wissenschaftlichen Erkenntnis und Ideale" (1970), " Ideale und Normen der wissenschaftlichen Forschung" (1981), " Reflexion als Theorie einer Methodologie der wissenschaftlichen Erkenntnis" (1985), alle in Minsk noch verö ffentlicht und " Wissenschaftliche Revolution in der Dynamik der Kultur" (1987). Die neueren Werke handeln also im wesentlichen von der Dynamik der Sozialwissenschaften in der Kultur und von deren Einfluß auf die Wissenschaft und das Weltbild generell. Weitere Titel: " Philosophische Anthropologie und Wissenschaftstheorie" (1992), " Wissenschaftliches Weltbild in der Kultur der technogen(isch)en Zivilisation", also der von der Technik erzeugten bzw. beeinfluß ten Zivilisation (1994) und " Philosophie der Wissenschaft und Technik" (1995), " Das Zeitalter der Verä nderungen und Zukunftsszenarien" (1996). Alle diese Bü cher sind natü rlich in Russisch geschrieben. Er hat auch eine Reihe von Aufsä tzen allerdings auch in englischer und deutscher Sprache verö ffentlicht, die sich mit den genannten Themenbereichen befassen. Ich kann und will darauf im Einzelnen natü rlich hier nicht eingehen.

Gestatten Sie mir, acht zentrale Punkte und neue Erkenntnisse seiner Arbeit(en) zu erwä hnen:

1. Zur Konstruktivitä t der wissenschaftlichen Erkenntnis: Die prinzipielle Konstruktivitä t wird von ihm als ein grundlegendes methodologisches Konzept betont. (Dies entspricht stark meiner Idee Schemainterpretationen und des methodologischen Schemainterpretationskonstruktionismus.) Er hat dabei insbesondere hervorgehoben eine konstruktive Einfü hrung hypothetischer abstrakter Objekte, das, was man heute im wesentlichen die Konstruktion theoretischer Entitä ten nennt, insbesondere natü rlich in der theoretischen Physik. Auch unsere Konzepte von nicht beobachtbaren Mikroobjekten sind zunä chst solche theoretischen Entitä ten. So war es mit den Atomen um die Jahrhundertwende, mit den Elementarteilchen bzw. den Quarks etwa heute auch. Das ä hnelt natü rlich sehr den Ansä tzen westlicher Wissenschaftler wie Rom Harré oder anderen oder wie gesagt dem Interpretationskonstruktionismus.

2. Stiopin hat aber auch auf die Relationen zwischen diesen abstrakten Objekten abgehoben und versuchte im Gegensatz oder in Erweiterung der Kuhnschen Ideen der Paradigmata als der Grundmuster der entsprechenden jeweiligen wissenschaftlichen Theorien und der Wissenschaftlergemeinschaften das einzufü hren, was er eine " konstruktive Substantiierung" von Schemata und Paradigmata nennt. Der Gebrauch von Metaphern, Analogien, Bildern von Schemata wird dabei analysiert; und er kritisiert und erweitert dieses Modell von Thomas S. Kuhn, das ja eigentlich von diesem von dem frü hen genialen polnischen Wissenschaftstheoretiker Ludwig Fleck ü bernommen worden ist (was erst vor einigen Jahrzehnten herausgekommen ist) oder das auch z. T. von Paul Feyerabend mit entwickelt worden ist. Das ist also hervorzuheben.

3. Er kam dann in Erweiterung oder Verä nderung, Ergä nzung der Kuhnschen Ideen zu einem Konzept dessen, was er " paradigmatische Transplantationen" nennt, nä mlich neuartige wissenschaftliche Revolutionen ohne die entsprechenden Kuhnschen Krisen der Normalwissenschaft. Also auch durch die bloß er wechselseitige Interaktion, die Wechselwirkung verschiedener Wissenschaften, ergeben sich wissenschaftliche Umbrü che in einer – oder beiden bzw. mehreren -der entsprechenden Disziplinen. Das ist eine alte Idee, die Gottl-Ottlilienfeld schon in Bezug auf die Wirtschaftsö konomie und Entwicklung der Wissenschaften 1916 und 1923 gehabt hat. Aber Stiopin war einer der ersten, der speziell die wissenschaftstheoretische Philosophie in dieser Weise bereichert hat, weil er auch noch vor der Entwicklung etwa des historizistischen Konstruktivismus, des sog. " starken Programms" der Edinburgh-School in der Soziologie, die Einflü sse der Wertdynamik, der sozialen Entsprechungen und Werte postulierte und auch zu analysieren versuchte.

4. Das fü hrte ihn natü rlich zur Berü cksichtigung von Systemaspekten in der Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte. Er stü tzte seine Arbeiten immer auf historisches Material.

5. Diese Thematik ist also wie Ideale, Werte, Normen, soziale Strukturen und die entsprechende Dynamik unser Weltbild - und zwar insbesondere das wissenschaftliche Weltbild, aber spä ter dann auch allgemeiner - beeinflussen.

6. Er kam schließ lich sogar zu einer Art von " post-nichtklassischer" Wissenschaftskonzeption; er ü berlegte, daß die klassische, an der theoretischen klassischen Physik orientierte Wissenschaft des Mechanismus und Determinismus durch eine nicht-klassische Wissenschaft - wie wir sie seit der letzten Jahrhundertwende kennen – z. B. Relativitä tstheorie, Quantenmechanik - ergä nzt bzw. ersetzt wurde, wobei das entsprechende experimentierende Subjekt, zumindest in der Quantenmechanik, eine bestimmte entscheidende Rolle gewann. Und fü r ihn gilt nun in dieser post-nichtklassischen Wissenschaft (eine etwas eigentü mliche Terminologie), daß auch soziale Werte und historische Entwicklungen zu einer Art von Subjekt-Objekt- und Mittelverschrä nkung fü hrte, also einer Gesamtverschrä nkung des wissenschaftlichen erkennenden Subjekts des Dargestellten und (seiner Meinung nach ja weitgehend konstruktiv beschriebenen) Objekts und eben der entsprechenden einzufü hrenden operationalen oder operativen Mittel. Das ist eine techni(zisti)sche Begrü ndung des Wissenschaftsprozesses in sozialer Einbettung. So ä hnlich vertreten es heute etwa Ronald Gierie oder Ian Hacking auch, seit Mitte der 80er Jahre. Da ist Stiopin ein Vorreiter gewesen (wie Fleck vor Kuhn). Die Grundidee ist wohl, daß Wissen in gewisser Weise immer in einer Art Verschrä nkung von Praxis, experimentellen Methoden einerseits und eben theoretischen Gesichtspunkten, aber auch unter dem Einfluß von Wertgesichtspunkten andererseits gewonnen wird. Man muß dabei natü rlich verschiedene Schichten unterscheiden. Natü rlich gehen soziale Werte nicht in die Objektsprache der wissenschaftlichen, insbesondere nicht der physikalischen Theorien ein. Aber welche Ü berlegungen gewonnen und welche Methoden hervorgehoben werden, das ist natü rlich auf der Metaschicht durchaus auch beeinfluß t von sozialen Dynamiken. Stiopin versuchte als einer der ersten Philosophen Gesichtspunkte der Synergetik von Haken zu verwenden - oder etwa " kooperative Effekte", wie er sie nannte, d. h., er versuchte schon vor dem Boom der Chaostheorie Konzepte komplexer (nichtlinearer) dynamischer Systeme anzuwenden, - natü rlich auf einer philosophischen, deutenden Basis. Dabei war ihm durchaus klar, daß dort z. T. probabilistische Systeme vorliegen – oder gar solche, die nicht einmal unter probabilistischen Maß daten zu konzipieren sind. Das ist jedoch der Stand der Diskussion bis heute noch. Es gibt gegenwä rtig noch keine wirklich umfassende Theorie der nicht -deterministischen Systeme, z. B. mit chaotischen Phä nomenen. Die Chaostheorie ist ja bekanntlich eine Theorie der deterministischen Systeme. Eine Theorie mit fraktalen Attraktoren auf probabilistischer Basis muß also erst noch entwickelt werden. Jedenfalls ist hier der Ü bergang zu einer Theorie der Systemzusammenhä nge ganz ä hnlich wie meine seit Anfang der 70er Jahre geforderte Konzeption der informations- und systemtechnologischen Gesellschaft bzw. der Wissenschaft(sdisziplinen) und des " informations- und systemtechnologischen Zeitalters". Freilich betont Stiopin stä rker die Einbettung in soziale Normen, Werte und Zusammenhä nge.

7. Das Problem der " kulturellen Universialien" stellt sich dort besonders eindringlich: insbesondere natü rlich jenes der kulturellen Universalien technischer Provenienz, in der technogen(etisch)en Gesellschaft bzw. bei der wissenschaftlichen Erklä rung. Stiopin versuchte so etwas wie Typen von Universalien fü r spezifische Kulturen, aber auch fü r die Kultur allgemein, wenigstens zu postulieren. Er meint, daß die traditionellen philosophischen Kategorien " Reflexe" ü ber solche " kulturvariierenden Konzepte" seien, aber auch auf einer allgemeinen kultur-sozial-philosophischen und anthropologischen Grundlage zu ergreifen und zu begreifen sind. Sie realisieren sich, wie er sagt, in allen Bereichen. Die Generalisierung ü ber die Einzelstrukturen und -kulturen hinweg ist also eine wichtige Funktion, die zu einer Selektion der sozialen Erfahrungen in unserem Alltag fü hrt. Ferner: die " kategoriale Struktur von Bewuß tsein" - er hat das ausgegliedert etwa am Beispiel der Geschichte des Raumbewuß tseins, wie sie vom Mittelalter ü ber die Renaissance bis hin zur Relativitä tstheorie aufgezeigt werden kann. Schließ lich: das gemeinsame " Weltbild der Zukunft" lä ß t sich vielleicht gerade unter diesem Gesichtspunkt der informations- und systemtechnologischen Konzeptionen unter Rü cksicht auch auf komplexe Systemdynamiken und entsprechenden Modellen entwickeln. Das ist natü rlich noch recht viel tentativ und hypothetisch. Doch Stiopin fordert ausdrü cklich eine " universale Integration unserer Kultur auf unserem Planeten unter diesen bzw. entsprechenden Gesichtspunkten. Die Rolle der komplexen Systemdynamiken in ihrer Einbettung sowohl mit der sozialen Problematik als auch mit der technischen Entwicklung sollte dann konzeptionell zum Verstehen einer " Integration von Natur, Technik, Kultur und Geist" fü hren. Es ist natü rlich eine Diskussion der Zukunft, ob dieses nun eine historisch zufä llige Entwicklung ist, die unserer Weltgemeinschaft auf diesem Planeten kennzeichnet, oder ob es so etwas gibt wie eine allgemeine Struktur aller mö glichen technogenen Zivilisationen. Das ist also noch offen.

8. Stiopin hat sich dann auch noch insbesondere der (philosophisch-)anthropologischen Fragestellung gewidmet. Er meint, daß zur menschlichen Kondition, zur condition humaine, praktisch eine " natü rlich-kü nstliche Verschrä nkung " von biologischen Programmen und sozialen Mustern gehö rt - er spricht sogar von " sozialen Genen ". Dabei benutzt er im Anschluß an Wilson und Dennett Meme -Konzepte und versucht damit, die Integrationen fü r die erwä hnten Verschrä nkungen abzubilden oder wiederzugeben. Auch das ist natü rlich mit gewissen interpretationistischen Ansä tzen verwand. Soweit – natü rlich verkü rzt und in Auswahl – seine wesentlichen Beiträ ge zum Fach.

Stiopin meint beilä ufig, " der wichtigste Beitrag des Menschen" sei die " Umgestaltung der Welt" und " die Umgestaltung der Objekte", und dabei verä nderte der Mensch sich notwendigerweise auch selber. Der Mensch verä ndert sich mit seiner Technik, mit seinen Objektä nderungen, die er einerseits hervorgebracht hat, andererseits in seiner Welt jeweils auch vorfindet. Gerade auch angesichts der neuen technischen Herausforderung oder der Herausforderung der Neuen Technologien wird noch eine Menge von Arbeit gerade auch von Philosophen in dieser Richtung nö tig sein - insbesondere unter Wahrung der Humanitä t. Das Letztere erscheint mir wie auch Stiopin besonders wichtig. In dubio pro humanitate - auch das ist ein Leitspruch, den ich Herrn Stiopin zurechnen wü rde. In dubio pro humanitate concreta sive practica. Das bedeutet eine humanitä re und humanistische Philosophie, die auch praktisch werden soll. Nun, diese Humanitä t ist natü rlich nicht so zu verstehen wie heute teilweise in Russlands Umbruchsphase. Uns so mö chte ich wieder mit einer selbsterlebten anekdote schließ en, die mir das durch eine russische Matrone ebenso nachdrü cklich wie eindrü cklich illustrierte: Etwa vor 10 Jahren war es, als jene Babuschka am Kreml, wenn man dort oben die Kirchen besichtigen wollte (nachdem man als Auslä nder schon 10 $ unten am Haupteingang bezahlt hatte – hundertmal so viel wie die russischen Besucher!), nochmals abkassieren wollte. Sie sagte ebenso enthü llend wie scheinbar " treffend" (?): " Wir leben jetzt in der Demokratie, und da kann jeder nehmen was er will! ". Ob die Babuschka, ob Mü tterchen Russland die Probleme und Gefahren der auch uns nicht ganz fremden Selbstbedienungsmentalitä t in Politik, Demokratie und sonstigen Selbstbedienungsbereichen so etwas wohl verstanden haben? Die Probleme, ja, die sozialen Fallen harren noch der eindringlichen Analyse und Behandlung, der informationellen und internationalen, der interdisziplinä ren, der sozial-praktischen und natü rlich insbesondere auch der sozialen kulturphilosophischen Bearbeitung. Daher braucht Mü tterchen Ruß land und brauchen wir ebenso nicht nur in der Philosophie die deutsch-russische Freundschaft. Es lebe die deutsch-russische Wissenschaftler-Freundschaft:

" Druschba nauki"!

 






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