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London, 14. Mai 1602 15 страница






»Lavinia Rutland. Londons schö nste Witwe.«

»Aber kein Mitleid bitte«, warf Primelblume ein.»Sie lä sst sich schon lä nger vom Herzog von Lancashire trö sten, sehr zum Missvergnü gen der Herzogin, und parallel dazu hat sie eine Vorliebe fü r aufstrebende Politiker entwickelt. Interessiert sich Euer Bruder fü r Politik? «

»Ich glaube, das spielt im Moment keine Rolle«, sagte Lady Brompton.»Lavinia sieht aus, als habe sie gerade ein Geschenk zum Auspacken bekommen.«Wieder musterte sie Gideon von Kopf bis Fuß.»Nun, gerü chteweise war die Rede von schwä chlicher Konstitution und teigiger Statur. Wie ü beraus erfreulich, dass das nicht zutrifft.«Plö tzlich trat ein erschrockener Ausdruck auf ihr Gesicht.»Oh, Ihr habt ja noch gar nichts zu trinken! «

Lady Bromptons Cousine sah sich um und stupste einen jungen Mann in die Seite, der in der Nä he stand.»Mr Merchant? Macht Euch ein wenig nü tzlich und besorgt uns ein paar Glä ser von Lady Bromptons Spezialpunsch. Und bringt Euch selber auch ein Glas mit. Wir mö chten Euch heute noch singen hö ren.«

»Das hier ist ü brigens die zauberhafte Miss Penelope Gray, das Mü ndel des Viscount of Batten«, sagte Lady Brompton.»Ich wü rde Euch einander grü ndlicher vorstellen, aber sie ist ohne jedes Vermö gen und Ihr seid ein Mitgiftjä ger - es lohnt sich also nicht, hier meiner Passion des Verkuppelns nachzukommen.«

Mr Merchant, der einen Kopf kleiner war als ich, wie im Ü brigen viele hier im Saal, sah nicht besonders beleidigt aus. Er verbeugte sich galant und sagte mit einem intensiven Blick in meinen Ausschnitt:»Das heiß t aber nicht, dass ich den Reizen einer so zauberhaften jungen Dame gegenü ber blind wä re.«

»Das freut mich fü r Euch«, sagte ich unsicher und darü ber brachen Lady Brompton und ihre Cousine in lautes Gelä chter aus.

»Oh, nein, Lord Brompton und Miss Fairfax nä hern sich dem Pianoforte! «, sagte Mr Merchant und rollte mit den Augen.»Ich ahne Bö ses.«

»Schnell! Unsere Geträ nke! «, befahl Lady Brompton.»Das kann kein Mensch nü chtern ertragen.«

Der Punsch, an dem ich erst nur zö gernd nippte, schmeckte wunderbar. Sehr nach Frü chten, ein bisschen nach Zimt und nach etwas anderem. Mein Magen wurde davon angenehm warm. Fü r einen Moment war ich ganz entspannt und begann, den prachtvoll ausgeleuchteten Raum mit diesen vielen gut gekleideten Leuten zu genieß en, aber dann griff mir Mr Merchant von hinten ins Dekollete und ich hä tte beinahe den Punsch verschü ttet.

»Eines der entzü ckenden kleinen Rö schen war verrutscht«, behauptete er, wobei er ziemlich anzü glich grinste. Ich starrte ihn unschlü ssig an. Giordano hatte mich nicht auf eine solche Situation vorbereitet und so wusste ich auch nicht, was die Etikette im Fall eines Rokoko-Grapschers vorsah. Hilfe suchend sah ich zu Gideon hinü ber, aber er war so vertieft in sein Gesprä ch mit der jungen Witwe, dass er das gar nicht bemerkte. Wä ren wir in meinem Jahrhundert gewesen, hä tte ich Mr Merchant gesagt, er solle seine schmutzigen Griffel gefä lligst bei sich behalten, sonst wü rde bei ihm gleich was ganz anderes verrutschen als ein Rö schen. Aber unter den gegebenen Umstä nden schien mir diese Reaktion ein wenig - unhö flich. Also lä chelte ich ihn an und sagte:»Oh, vielen Dank, sehr freundlich. Das hatte ich gar nicht bemerkt.«

Mr Merchant verneigte sich.»Immer zu Euren Diensten, Madam.«Unfassbar, wie dreist er war. Aber in Zeiten, in denen Frauen kein Wahlrecht besaß en, musste man sich ja nicht wundern, wenn es ihnen gegenü ber auch sonst an Respekt fehlte.

Das Geplauder und das Lachen verstummten nach und nach, als Miss Fairfax, eine dü nnnasige Person in einem schilfgrü nen Kleid, zum Pianoforte trat, sich niederließ, ihre Rö cke ordnete und in die Tasten griff. Sie spielte nicht mal schlecht. Das Einzige, das ein wenig stö rte, war ihr Gesang. Er war unglaublich... hoch. Noch ein klitzekleines bisschen hö her und man hä tte sie fü r eine Hundepfeife halten kö nnen.

»Erfrischend, nicht wahr? «Mr Merchant sorgte dafü r, dass mein Glas wieder aufgefü llt wurde. Zu meiner Verblü ffung (und irgendwie auch Erleichterung) grapschte er Lady Brompton ebenfalls ganz unverblü mt an den Busen, unter dem Vorwand, sie habe dort ein Haar. Lady Brompton schien das nicht weiter zu stö ren, sie schalt ihn lediglich einen Lü stling und schlug ihm mit ihrem Fä cher auf die Finger (Aha! Dafü r waren die Fä cher also wirklich gemacht!), und dann nahmen sie und ihre Cousine mich mit zu einem blau geblü mten Sofa, das in der Nä he der Fenster stand. Sie platzierten mich in ihrer Mitte.

»Hier seid Ihr vor klebrigen Fingern sicher«, sagte Lady Brompton und tä tschelte mü tterlich mein Knie.»Nur Eure Ohren sind noch in Gefahr.«

»Trinkt! «, riet mir die Cousine leise.»Ihr werdet es brauchen! Miss Fairfax hat gerade erst angefangen.«

Das Sofa fü hlte sich ungewohnt hart an und die Rü ckenlehne war so ausladend, dass man sich unmö glich dagegenlehnen konnte, es sei denn, ich wollte mitsamt meiner vielen Rö cke in seinen Untiefen versinken. Ganz offensichtlich waren Sofas im 18. Jahrhundert nicht zum Herumgammeln gebaut worden.

»Ich weiß nicht - ich bin Alkohol nicht gewö hnt«, sagte ich zö gernd. Meine einzige Erfahrung mit Alkohol lag genau zwei Jahre zurü ck. Es war auf einer Pyjamaparty bei Cynthia gewesen. Einer ganz harmlosen Party. Ohne Jungs, dafü r mit Chips und»High-School-Musical«-DVDs. Und einer Salatschü ssel voller Vanilleeis, Orangensaft und Wodka... Das Gemeine an dem Wodka war, dass man ihn wegen all des Vanilleeises gar nicht herausschmecken konnte, und offensichtlich hatte dieses Zeug auf jeden eine andere Wirkung. Wä hrend Cynthia nach drei Glä sern die Fenster aufriss und laut»Zac Efron, ich liebe dich! «durch Chelsea brü llte, hatte Leslie mit dem Kopf ü ber der Kloschü ssel gehangen und sich ü bergeben, Peggy hatte Sarah eine Liebeserklä rung gemacht (»du bisso sssö n, heirate miss«) und Sarah hatte einen Heulkrampf bekommen, ohne zu wissen, warum. Bei mir war es am schlimmsten gewesen. Ich war auf Cynthias Bett herumgesprungen und hatte in einer Art Endlos-Schleife Breaking free gegrö lt. Als Cynthias Vater ins Zimmer gekommen war, hatte ich ihm Cynthias Haarbü rste als Mikro hingehalten und gerufen:»Sing mit, Glatzkopf! Schwing deine Hü ften.«Auch wenn ich es mir am nä chsten Tag absolut nicht mehr erklä ren konnte.

Nach dieser etwas peinlichen Geschichte hatten Leslie und ich beschlossen, von nun an einen weiten Bogen um Alkohol zu machen (und ein paar Monate lang auch um Cynthias Vater), und wir hatten uns seitdem konsequent an diesen Vorsatz gehalten. Auch wenn es manchmal seltsam war, sich als Einziger nü chtern unter lauter Saufnasen aufzuhalten. Wie jetzt zum Beispiel.

Von der gegenü berliegenden Seite des Raumes fü hlte ich wieder den Blick des Grafen von Saint-Germain auf mir ruhen und mein Nacken kribbelte unangenehm.

»Man sagt, er verstü nde sich in der Kunst des Gedankenlesens«, wisperte Lady Brompton neben mir, und da beschloss ich, das Alkoholverbot vorü bergehend aufzuheben. Nur fü r heute Abend. Und nur fü r ein paar Schlucke. Um meine Angst vor dem Grafen von Saint Germain zu vergessen. Und vor allem anderen.

Lady Bromptons Spezialpunsch wirkte verblü ffend schnell, nicht nur bei mir. Nach dem zweiten Glas fanden alle den Gesang schon deutlich weniger schrecklich, nach dem dritten begannen wir, mit den Fü ß en im Takt mitzuwippen, und ich war der Ansicht, noch niemals auf so einer netten Party gewesen zu sein. Wirklich - die Leute waren hier viel lockerer, als ich gedacht hatte. Lockerer als im 21. Jahrhundert, wenn man es genau nahm. Und die Beleuchtung war wirklich grandios. Warum war mir vorhin noch nicht aufgefallen, dass die Hunderten von Kerzen dafü r sorgten, dass jeder in diesem Raum einen Teint hatte wie mit Blattgold ü berzogen? Auch der Graf, der mir vom anderen Ende des Raumes von Zeit zu Zeit zulä chelte.

Das vierte Glas brachte meine warnende innere Stimme (»Sei wachsam! Traue niemandem! «) endgü ltig zum Schweigen. Einzig die Tatsache, dass Gideon nur Augen fü r die Frau im grü nen Kleid zu haben schien, stö rte noch mein Wohlbefinden.

»Jetzt sind unsere Ohren genü gend trainiert«, befand Lady Brompton schließ lich, erhob sich Beifall klatschend und ging nach vorne zum Spinett.»Meine liebe, liebe Miss Fairfax. Das war wieder einmal ganz exquisit«, sagte sie, wobei sie Miss Fairfaix auf beide Wangen kü sste und auf den nä chstbesten Stuhl drü ckte.»Aber nun bitte ich alle um einen herzlichen Applaus fü r Mr Merchant und Lady Lavinia, nein, nein, keine Widerrede, ihr beiden, wir wissen, dass ihr heimlich zusammen geü bt habt.«

Lady Bromptons Cousine neben mir kreischte wie ein durchgeknallter Boygroup-Teenie-Fan, als sich der Busen-grapscher ans Spinett setzte und ein schwungvolles Arpeggio anschlug. Die schö ne Lady Lavinia schenkte Gideon ein strahlendes Lä cheln und rauschte in ihren grü nen Rö cken nach vorne. Ich konnte sehen, dass sie nicht mehr ganz so jung war, wie ich gedacht hatte. Aber sie sang toll! Wie Anna Netrebko, die wir vor zwei Jahren im Royal Opera House in Covent Garden gehö rt hatten. Naja, vielleicht nicht ganz so toll wie die Netrebko, aber auf jeden Fall war es die reine Freude, ihr zuzuhö ren. Wenn man auf schwü lstige italienische Opernarien stand. Was ich normalerweise nicht tat, ehrlich gesagt, aber dank des Punsches nun doch. Und italienische Opernarien waren offensichtlich die absoluten Stimmungsbringer im 18. Jahrhundert. Die Leute im Raum wurden richtig ausgelassen. Nur die arme Hundepfei-, ä h Miss Fairfax machte ein sä uerliches Gesicht.

»Kann ich dich mal fü r einen Augenblick entfü hren? «Gideon war von hinten an das Sofa herangetreten und lä chelte auf mich herunter. Klar, jetzt wo die grü ne Dame anderweitig beschä ftigt war, war ich ihm wieder eingefallen.»Der Graf wü rde sich freuen, wenn du ihm ein wenig Gesellschaft leistest.«

Oh. Richtig, da war ja noch was. Ich holte tief Luft, nahm mein Glas und kippte den Inhalt beherzt meine Kehle hinunter. Als ich aufstand, verspü rte ich ein angenehmes Schwindelgefü hl im Kopf. Gideon nahm mir das leere Glas aus der Hand und stellte es auf einem der kleinen Tische mit diesen sü ß en Fü ß chen ab.

»War da etwa Alkohol drin? «, flü sterte er.

»Nein, das war nur Punsch«, flü sterte ich zurü ck. Ups, der Boden war hier aber irgendwie ein bisschen uneben.»Ich trinke grundsä tzlich keinen Alkohol, weiß t du? Eins meiner eisernen Prinzipien. Man kann auch ohne Alkohol Spaß haben.«

Gideon hob eine Augenbraue und hielt mir seinen Arm hin.»Ich freue mich, dass du dich gut amü sierst.«

»Ja, das beruht auf Gegenseitigkeit«, versicherte ich ihm. Puh, diese Fuß bö den im 18. Jahrhundert waren wirklich irgendwie wackelig. Das war mir vorhin gar nicht aufgefallen.»Ich meine, sie ist vielleicht ein bisschen alt fü r dich, aber das muss dich ja nicht stö ren. Auch nicht, dass sie was mit dem Herzog von Woauchimmer hat. Nein, wirklich, tolle Party. Die Leute hier sind viel netter, als ich gedacht habe. So kontaktfreudig und kö rperbetont.« Ich sah zu dem klavierspielenden Grapscher und dem Netrebko-Verschnitt hinü ber.»Und... sie singen offensichtlich gern. Sehr sympathisch. Man mö chte sofort aufspringen und mitmachen.«

»Untersteh dich«, flü sterte Gideon, wä hrend er mich zu dem Sofa fü hrte, auf dem der Graf saß. Als er uns nä her kommen sah, erhob er sich mit der mü helosen Geschmeidigkeit eines sehr viel jü ngeren Mannes und krä uselte seine Lippen zu einem erwartungsvollen Lä cheln.

Also gut, dachte ich und hob mein Kinn. Tun wir mal so, als wü sste ich nicht, dass du laut Google ü berhaupt kein richtiger Graf bist. Tun wir so, als hä ttest du wirklich eine Grafschaft und wä rst kein Hochstapler ungewisser Herkunft.

Tun wir so, als hä ttest du mich beim letzten Mal nicht gewü rgt. Und tun wir so, als wä re ich stocknü chtern.

Ich ließ Gideon los, griff in die schwere rote Seide, breitete meine Rö cke aus und versank in einer tiefen Reverenz, aus der ich erst wieder emportauchte, als der Graf mir seine beringte und juwelenbesetzte Hand entgegenstreckte.

»Mein liebes Kind«, sagte er und in seinen schokoladenbraunen Augen glitzerte es amü siert, wä hrend er mir die Hand tä tschelte.»Ich bewundere deine Eleganz. Nach vier Glä sern von Lady Bromptons Spezialpunsch kö nnen andere nicht mal mehr ihren Namen lallen.«

Oh, er hatte mitgezä hlt. Ich senkte schuldbewusst den Blick. Eigentlich waren es fü nf Glä ser gewesen. Aber die waren es wirklich wert gewesen! Ich jedenfalls trauerte dem beklemmenden Gefü hl diffuser Ä ngste kein bisschen hinterher. Und ich vermisste auch meine Minderwertigkeitskomplexe nicht. Nein, ich mochte mein betrunkenes Ich. Auch wenn es ein bisschen wackelig auf den Beinen war.

»Merci pour le compliment«, murmelte ich.

»Entzü ckend! «, sagte der Graf.

»Es tut mir leid, ich hä tte besser aufpassen mü ssen«, sagte Gideon.

Der Graf lachte leise.»Mein lieber Junge, du warst anderweitig beschä ftigt. Und in erster Linie geht es uns doch heute Abend darum, uns zu amü sieren, nicht wahr? Zumal Lord Alastair, dem ich diese liebenswerte junge Dame unbedingt vorstellen wollte, bis jetzt noch nicht erschienen ist. Ich habe mir aber sagen lassen, dass er hierher unterwegs ist.«

»Allein? «, fragte Gideon.

Der Graf lä chelte.»Das spielt keine Rolle.«

Die Anna Netrebko fü r Arme und der Busengrapscher beendeten ihre Arie mit einem furiosen letzten Akkord und der Graf ließ meine Hand los, um Beifall zu klatschen.»Ist sie nicht wunderbar? Ein wirklich groß es Talent und so schö n dazu.«

»Ja«, sagte ich leise und klatschte ebenfalls in die Hä nde, bemü ht, nicht Backe-backe-Kuchen zu mimen.»Da gehö rt schon einiges zu, die Kronleuchter so zum Klirren zu bringen.«Das Klatschen brachte mein empfindliches Gleichgewicht durcheinander und ich taumelte leicht.

Gideon fing mich auf.»Ich fasse das nicht«, sagte er bö se, die Lippen ganz nah an meinem Ohr.»Wir sind keine zwei Stunden hier und du bist total betrunken! Was um Himmels willen hast du dir dabei gedacht? «

»Du hast total gesagt, das petze ich aber Giordano«, kicherte ich. Im allgemeinen Tumult konnte es niemand sonst hö ren.»Auß erdem ist es jetzt zu spä t, um zu meckern. Das Kind ist bereits in den Spezialpunsch gefallen, wü rde ich mal sagen.«Ein Schluckauf unterbrach mich.»Hopsa, 'tschuldigung.«Ich sah mich um.»Die anderen sind aber noch viel betrunkener als ich, also keine falsche moralische Entrü stung, bitte. Ich habe alles unter Kontrolle. Du kannst mich auch ruhig wieder loslassen, ich stehe hier wie ein Fels in der Brandung.«

»Ich warne dich«, flü sterte Gideon, aber dann ließ er mich tatsä chlich los.

Sicherheitshalber stellte ich mich ein bisschen breitbeiniger hin. Unter dem weiten Rock konnte man das ja nicht sehen.

Der Graf hatte uns amü siert zugeschaut, seine Miene zeigte nichts anderes als groß vä terlichen Stolz. Ich warf ihm einen verstohlenen Blick zu und erntete dafü r ein Lä cheln, das mir ganz warm ums Herz werden ließ. Warum hatte ich bloß so viel Angst vor ihm gehabt? Nur mit Mü he konnte ich mir in Erinnerung rufen, was Lucas erzä hlt hatte: dass dieser Mann seinem eigenen Vorfahren die Kehle durchgeschnitten hatte...

Lady Brompton war wieder nach vorne geeilt und dankte Mr Merchant und Lady Lavinia fü r ihre Darbietung. Dann - bevor Miss Fairfax sich erneut erheben konnte - bat sie um einen krä ftigen Applaus fü r den heutigen Ehrengast, den weit gereisten, geheimnisumwitterten, berü hmten Grafen von Saint Germain.»Er hat mir versprochen, heute etwas auf seiner Violine zu spielen«, sagte sie und Lord Brompton kam mit einem Geigenkasten herbeigelaufen, so schnell, wie es seine dicke Wampe erlaubte. Das punschselige Publikum tobte vor Begeisterung. Wirklich, das war eine obercoole Party.

Der Graf lä chelte, wä hrend er die Violine aus dem Kasten nahm und zu stimmen begann.»Niemals wü rde es mir einfallen, Euch zu enttä uschen, Lady Brompton«, sagte er mit weicher Stimme.»Aber meine alten Finger sind nicht mehr so flink wie einst, als ich mit dem berü chtigten Giacomo Casanova am franzö sischen Hof Duette spielte... und die Gicht quä lt mich in diesen Tagen ein wenig.«

Ein kollektives Raunen und Aufseufzen ging durch den Raum.

»... und deshalb mö chte ich die Violine heute Abend an meinen jungen Freund hier weitergeben«, fuhr der Graf fort. Gideon sah ein bisschen erschrocken aus und schü ttelte den Kopf. Aber als der Graf seine Augenbraue hochzog und »Bitte! « sagte, nahm er das Instrument und den Bogen mit einer kleinen Verbeugung entgegen und ging damit nach vorne ans Spinett.

Der Graf griff nach meiner Hand.»Und wir beide setzen uns auf das Sofa und genieß en das Konzert, ja? Oh, kein Grund zu zittern. Nimm Platz, mein Kind. Du weiß t es nicht, aber seit gestern Nachmittag sind wir die allerbesten Freunde, du und ich. Denn wir hatten ein wirklich, wirklich inniges Gesprä ch und konnten alle Differenzen beseitigen.«

Hä?

»Gestern Nachmittag? «, wiederholte ich.

»Von mir aus betrachtet«, sagte der Graf.»Fü r dich liegt diese Begegnung noch in der Zukunft.«Er lachte.»Ich habe es gern kompliziert, merkst du? «

Ich starrte ihn perplex an. In diesem Augenblick begann Gideon zu spielen und ich vergaß ganz, was ich fragen wollte. Oh mein Gott! Mö glicherweise lag es am Punsch, aber - wow! So eine Violine war wirklich sexy. Schon die Art, wie Gideon sie in die Hand nahm und unter sein Kinn legte! Mehr hä tte er gar nicht mehr tun mü ssen, ich war schon hin und weg. Seine langen Wimpern warfen Schatten auf seine Wangen und die Haare fielen ihm ins Gesicht, als er den Bogen ansetzte und damit ü ber die Saiten strich. Wä hrend die ersten Tö ne den Raum erfü llten, blieb mir fast die Luft weg, so zart und schmelzend waren sie, und plö tzlich war mir zum Weinen zumute. Violinen hatten bisher ziemlich weit unten auf der Liste meiner Lieblingsinstrumente gestanden, eigentlich mochte ich sie nur im Film, zur Untermalung besonderer Momente. Aber das hier war einfach unglaublich schö n, und zwar alles: die bittersü ß e Melodie und der Junge, der sie dem Instrument entlockte. Alle im Raum lauschten atemlos und Gideon spielte ganz versunken, so, als wä re sonst niemand da.

Ich merkte erst, dass ich weinte, als der Graf mir an die Wange fasste und eine Trä ne sanft mit seinem Finger auffing. Erschrocken fuhr ich zusammen.

Er lä chelte auf mich hinunter und in seinen dunkelbraunen Augen war ein warmer Glanz zu erkennen.»Dafü r musst du dich nicht schä men«, sagte er leise.»Wä re es anders, wä re ich sehr enttä uscht.«

Ich war selber verblü fft, dass ich zurü cklä chelte (wirklich! Wie konnte ich nur! Das war der Mann, der mich gewü rgt hatte!).

»Was ist das fü r eine Melodie? «, fragte ich.

Der Graf hob die Schultern.»Ich weiß es nicht. Ich nehme an, sie wird erst noch komponiert werden.«

Im Saal brach infernalischer Beifall aus, als Gideon endete. Er verbeugte sich lä chelnd und wehrte sich erfolgreich gegen eine Zugabe, weniger erfolgreich allerdings gegen eine Umarmung der schö nen Lady Lavinia. Sie hä ngte sich an seinen Arm und ihm blieb nichts anderes ü brig, als sie mit zu unserem Sofa zu schleppen.

»War er nicht groß artig? «, rief Lady Lavinia.»Aber als ich diese Hä nde gesehen habe, wusste ich gleich, dass sie zu Auß ergewö hnlichem fä hig sind.«

»Darauf wette ich«, murmelte ich. Ich wä re gern vom Sofa aufgestanden, schon damit Lady Lavinia nicht so auf mich hinunterschauen konnte, aber ich schaffte es nicht. Der Alkohol hatte meine Bauchmuskeln auß er Gefecht gesetzt.

»Ein wunderbares Instrument, Marquis«, sagte Gideon zum Grafen und reichte ihm die Violine.

»Eine Stradivari. Vom Meister persö nlich fü r mich gebaut«, erwiderte der Graf trä umerisch.»Ich mö chte gern, dass du sie bekommst, mein Junge. Heute Abend ist wohl der richtige Augenblick fü r eine feierliche Ü bergabe.«

Gideon errö tete leicht. Vor Freude, vermutete ich.»Das... kann ich nicht...«Er sah dem Grafen in die dunklen Augen, dann schlug er seinen Blick nieder und setzte hinzu:»Es ist mir eine groß e Ehre, Marquis.«

»Die Ehre ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte der Graf ernst.

»Meine Gü te«, murmelte ich. Die zwei hatten sich anscheinend echt lieb.

»Seid Ihr auch so musikalisch wie Euer Ziehbruder, Miss Gray? «, fragte Lady Lavinia.

Nein, vermutlich nicht. Aber allemal so musikalisch wie du, dachte ich.»Ich singe nur gern«, sagte ich.

Gideon sah mich warnend an.

»Singen! «, rief Lady Lavinia.»Wie ich und unsere liebe Miss Fairfax.«

»Nein«, sagte ich bestimmt.»Ich komme weder in solch hohe Tonlagen wie Miss Fairfax«- ich war schließ lich keine Fledermaus -»noch verfü ge ich ü ber so viel Lungenvolumen wie Ihr. Aber ich singe gern.«

»Fü r heute Abend dü rften wir genug musiziert haben«, sagte Gideon.

Lady Lavinia sah beleidigt aus.

»Natü rlich wä ren wir begeistert, wenn Ihr uns noch einmal die Ehre geben wü rdet«, fü gte Gideon schnell an und warf mir einen finsteren Blick zu. Weil ich so herrlich betrunken war, war es mir dieses eine Mal egal.

»Du hast... wunderbar gespielt«, sagte ich.»Ich musste weinen! Wirklich.«

Er grinste, als habe ich einen Scherz gemacht, und verstaute die Stradivari in ihrem Kasten.

Lord Brompton keuchte mit zwei Punschglä sern zu uns heran und versicherte Gideon, dass er absolut entzü ckt von seiner Virtuositä t sei, und wie bedauerlich es fü r den armen Alastair sein wü rde, diesen unzweifelhaften Hö hepunkt des Abends verpasst zu haben.

»Meint Ihr denn, Alastair wird heute Abend noch den Weg hierherfinden? «, fragte der Graf ein wenig ungehalten.

»Davon bin ich ü berzeugt«, sagte Lord Brompton und reichte mir eins der Glä ser. Ich nahm einen gierigen Schluck. Mann, war das Zeug gut. Man brauchte es nur zu riechen und schon war man high. Bereit, sich eine Haarbü rste zu schnappen, auf ein Bett zu springen und Breaking free zu singen, mit oder ohne Zac Efron!

»Mylord, Ihr mü sst Miss Gray unbedingt ü berreden, etwas fü r uns darzubieten«, sagte Lady Lavinia.»Sie singt so gern.«

Es schwang ein seltsamer Unterton in ihrer Stimme mit, der mich aufhorchen ließ. Irgendwie erinnerte sie mich an Charlotte. Sie sah zwar ganz anders aus, aber irgendwo tief unter diesem hellgrü nen Kleid steckte auf jeden Fall eine Charlotte, davon war ich ü berzeugt. Die Art Mensch, die immer alles daran setzte, dass man anhand der eigenen Mittelmä ß igkeit merkte, wie absolut groß artig und einmalig sie selber war. Pah!

»Na gut«, sagte ich und versuchte noch einmal, mich vom Sofa emporzustemmen. Diesmal klappte es. Ich blieb sogar stehen.»Dann singe ich eben.«

»Wie bitte? «, sagte Gideon und schü ttelte den Kopf.»Auf keinen Fall wird sie singen - ich fü rchte, der Punsch...«

»Miss Gray, Ihr wü rdet uns allen eine groß e Freunde machen, wenn Ihr fü r uns singen wü rdet«, sagte Lord Brompton und zwinkerte so heftig, dass seine fü nfzehn Doppelkinne beträ chtlich ins Wackeln gerieten.»Und wenn der Punsch dafü r verantwortlich sein sollte, dann umso besser. Kommt mit mir nach vorne. Ich werde Euch ankü ndigen.«

Gideon hielt mich am Arm fest.»Das ist keine gute Idee«, sagte er.»Lord Brompton, ich bitte Euch, meine Ziehschwester hat noch nie vor Publikum...«

»Es gibt fü r alles ein erstes Mal«, sagte Lord Brompton und zog mich weiter.»Wir sind doch hier unter uns. Seid kein Spielverderber! «

»Genau. Sei kein Spielverderber«, sagte ich und schü ttelte Gideons Hand ab.»Hast du vielleicht eine Haarbü rste dabei? Ich kann einfach besser singen, wenn ich eine in der Hand habe.«

Gideon sah ein wenig verzweifelt aus.»Auf keinen Fall«, sagte er und folgte mir und Lord Brompton zum Spinett.

Hinter uns hö rte ich den Grafen leise lachen.

»Gwen...«, zischte Gideon.»Hö r bitte auf mit diesem Quatsch.«

»Penelope«, verbesserte ich, leerte das Punschglas in einem Zug und reichte es ihm.»Was meinst du - wird ihnen Over the rainbow gefallen? Oder«, hier kicherte ich, »Hallelujah! «

Gideon stö hnte.»Das kannst du wirklich nicht machen. Komm jetzt mit mir zurü ck! «

»Nein, das ist zu modern, oder? Mal sehen...«In Gedanken ging ich meine ganze Playlist durch, wä hrend Lord Brompton mich mit vollmundigen Vokabeln ankü ndigte. Mr Merchant, der Grapscher, stellte sich zu uns.»Benö tigt die Dame kompetente Begleitung am Spinett? «, fragte er.

»Nein, die Dame benö tigt... etwas ganz anderes«, sagte Gideon und ließ sich auf den Klavierschemel sinken.»Bitte, Gwen...«

»Pen, wennschon«, sagte ich.»Ich weiß, was ich singen werde. Don't cry for me, Argentina. Da kann ich den ganzen Text und Musicals sind irgendwie zeitlos, findest du nicht? Aber vielleicht kennen die Argentinien nicht...«

»Du willst dich doch nicht wirklich vor so vielen Leuten blamieren, oder? «

Es war ein sü ß er Versuch, mir Angst zu machen, aber unter diesen Umstä nden war es vergebens.»Hö r mal«, raunte ich ihm vertraulich zu.»Die Leute machen mir gar nichts aus. Erstens sind sie schon seit zweihundert Jahren tot und zweitens sind doch alle supergut drauf und betrunken - auß er dir natü rlich.«

Gideon lehnte stö hnend seine Stirn gegen seine Handflä che und schlug dabei mit dem Ellenbogen eine Reihe von Tö nen auf dem Spinett an.

»Kennen Sie - ä h kennt Ihr vielleicht Memory? Aus Cats? «, fragte ich Mr Merchant.

»Oh - nein, bedaure«, sagte Mr Merchant.

»Macht nichts, dann singe ich eben á capella«, sagte ich zuversichtlich und wandte mich an das Publikum.»Das Lied heiß t Memory und es geht darin um... eine Katze mit Liebeskummer. Aber im Grunde passt es auch auf uns Menschen. Im weitesten Sinne.«

Gideon hatte den Kopf wieder gehoben und sah mich unglä ubig an.»Bitte...«, sagte er noch einmal.

»Wir erzä hlen einfach niemandem was davon«, sagte ich.»Okay? Das hier bleibt unser Geheimnis.«

»Es ist so weit. Die groß artige, einmalige und wunderschö ne Miss Gray wird nun fü r uns singen! «, rief Lord Brompton.»Zum ersten Mal vor Publikum! «

Ich hä tte aufgeregt sein mü ssen, weil alle Gesprä che verstummten und alle Blicke auf mich gerichtet waren, aber ich war es nicht. Hach, war dieser Punsch himmlisch! Ich musste mir unbedingt das Rezept geben lassen.

Was wollte ich noch mal singen?

Gideon schlug ein paar Tö ne auf dem Spinett an und ich erkannte die ersten Takte. Memory. Ach ja, genau. Ich lä chelte Gideon dankbar an. Wie lieb von ihm mitzumachen. Ich holte tief Luft. Der erste Ton war bei diesem Lied besonders wichtig. Wenn man den versemmelte, konnte man genauso gut wieder aufhö ren. Man musste»Midnight«glasklar und trotzdem unaufdringlich in den Raum setzen.

Ich freute mich, weil es bei mir klang wie bei Barbra Streisand.»Not a sound from the pavement, has the moon lost her memory? She is smiling alone.«

Sieh mal einer an. Gideon konnte offensichtlich auch Klavier spielen. Und nicht mal schlecht. Oh Gott, wenn ich nicht schon so schrecklich in ihn verliebt gewesen wä re, hä tte ich mich spä testens jetzt in ihn verliebt. Er musste nicht mal auf die Tasten gucken, er schaute nur mich an. Und er sah ein bisschen erstaunt aus, wie jemand, der gerade eine verblü ffende Entdeckung gemacht hat. Vielleicht, weil der Mond eine Sie war?

»All alone in the moonlight I can dream at the old days«, sang ich nur fü r ihn. Der Raum hatte eine tolle Akustik, es war fast so, als wü rde ich mit einem Mikro singen. Oder es lag daran, dass nun alle mucksmä uschenstill waren.»Let the memory live again.«Das machte viel mehr Spaß als mit Sing Star. Es war wirklich, wirklich toll. Und auch wenn das alles nur ein schö ner Traum war und jeden Moment Cynthias Vater ins Zimmer kommen und ein riesiges Donnerwetter ü ber uns hereinbrechen wü rde - dieser Augenblick war es einfach wert.






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