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London, 14. Mai 1602 7 страница






Charlotte beschrä nkte sich auf plö tzliche seltsame Fragen (»Wer war 1782 Kö nig von Burundi? «) und permanentes Kopfschü tteln, das mich zusä tzlich verunsicherte.

Nach einer Stunde wurde es Xemerius zu langweilig. Er flatterte vom Kronleuchter, winkte mir zu und verschwand durch die Wand. Ich hä tte ihm gern den Auftrag erteilt, nach Gideon Ausschau zu halten, aber das war gar nicht nö tig, denn nach einer weiteren Viertelstunde Menuett-Folter betrat Gideon zusammen mit Mr George das Alte Refektorium. Sie bekamen gerade noch mit, wie ich, Charlotte und Plusterlippe zusammen mit einem nicht anwesenden vierten Mann eine Figur tanzten, die Plusterlippe»le chain«nannte und bei der ich dem unsichtbaren Tanzpartner die Hand geben musste. Leider gab ich ihm die falsche Hand.

»Rechte Hand, rechte Schulter, linke Hand, linke Schulter«, rief Plusterlippe zornig.»Ist das denn so schwer? Sieh doch, wie Charlotte es macht, so ist es perfekt! «

Die perfekte Charlotte tanzte auch noch weiter, als sie lä ngst gemerkt hatte, dass wir Besuch bekommen hatten, wä hrend ich peinlich berü hrt stehen blieb und am liebsten im Boden versunken wä re.

»Oh«, sagte Charlotte schließ lich, wobei sie so tat, als wü rde sie Mr George und Gideon jetzt erst sehen. Sie versank in einer anmutigen Reverenz, was, wie ich jetzt wusste, eine Art Knicks war, den man beim Menuett-Tanzen am Anfang und am Ende machte und ab und an auch zwischendrin. Es hä tte total bescheuert aussehen mü ssen, zumal sie ja ihre Schuluniform trug, aber stattdessen wirkte es irgendwie... sü ß.

Ich fü hlte mich gleich doppelt schlecht, zum einem wegen des rot-weiß gestreiften Reifrock-Ungetü ms zur Schuluniformbluse (ich sah aus wie einer dieser Kunststoffkegel, die man im Straß enverkehr zur Sicherung einer Baustelle auf die Fahrbahn stellt), zum anderen, weil Plusterlippe keine Zeit verlor, sich ü ber mich zu beklagen.

»... weiß nicht, wo rechts und links ist... ein Ausbund an Plumpheit... schwer von Begriff... unmö gliches Unterfangen... dummes Ding... aus einer Ente kann man keinen Schwan machen... sie kann keinesfalls auf dieser Soiree bestehen, ohne Aufsehen zu erregen... sehen Sie sie sich doch nur an! «

Das tat Mr George, und Gideon ebenfalls, und ich wurde feuerrot. Gleichzeitig spü rte ich Wut in mir aufsteigen. Was genug war, war genug! Hastig knö pfte ich mir den Rock samt des gepolsterten Drahtgestells ab, das Plusterlippe mir um die Hü ften geschnallt hatte, und dabei fauchte ich:»Ich weiß nicht, warum ich im 18. Jahrhundert ü ber Politik reden muss. Das mache ich doch heute auch nicht - ich habe nicht den geringsten Schimmer davon! Ja und? Wenn jemand mich nach dem Marquess von Dingens fragt, sage ich einfach, dass mich Politik nicht die Bohne interessiert. Und falls jemand unbedingt ein Menuett mit mir tanzen will - was ich fü r ausgeschlossen halte, da ich ja im 18. Jahrhundert gar keinen kenne - sage ich, nein danke, sehr freundlich, aber mein Fuß ist verstaucht. Das kann ich auch hervorbringen, ohne meine Zä hne zu zeigen.«

»Sehen Sie nun, was ich meine? «, fragte Plusterlippe und rang wieder seine Hä nde. Schien eine Angewohnheit zu sein.»Nicht mal der Hauch eines guten Willens - dazu erschreckende Unkenntnis und Talentlosigkeit auf allen Gebieten. Und dann bricht sie wie eine Fü nfjä hrige in Gelä chter aus, nur weil man den Namen Lord Sandwich erwä hnt.«

Oh ja, Lord Sandwich. Nicht zu fassen, dass der wirklich so hieß. Der arme Kerl.

»Sie wird sicher...«, begann Mr George, aber Plusterlippe schnitt ihm das Wort ab.

»Im Gegensatz zu Charlotte besitzt das Mä dchen ü berhaupt kein... esplieglerie! «

Ach! Was immer das auch war, wenn Charlotte es hatte, wollte ich es gar nicht haben.

Charlotte hatte die Musik ausgestellt und sich an den Flü gel gesetzt, von wo aus sie Gideon verschwö rerisch zulä chelte. Er lä chelte zurü ck.

Mich dagegen hatte er genau eines Blickes gewü rdigt, der es allerdings in sich gehabt hatte. Und zwar nicht im positiven Sinn. Vermutlich war es ihm peinlich, mit einer Versagerin wie mir in einem Raum zu sein, noch dazu, weil ihm nur zu bewusst zu sein schien, wie groß artig er selbst aussah, in seinen abgewetzten Jeans und einem engen schwarzen T-Shirt. Aus irgendeinem Grund wurde ich noch wü tender. Beinahe hä tte ich mit den Zä hnen geknirscht.

Mr George sah bekü mmert von mir zu Plusterlippe und wieder zurü ck und sagte, die Stirn in sorgenvolle Falten gelegt:»Sie bekommen das schon hin, Giordano. Mit Charlotte haben Sie ja eine fachkundige Assistentin. Auß erdem haben wir noch ein paar Tage Zeit.«

»Und wenn es Wochen wä ren! Die Zeit reicht niemals, um sie auf einen groß en Ball vorzubereiten«, sagte Plusterlippe.»Eine Soiree, ja vielleicht, im kleinen Kreis und mit viel Glü ck, aber ein Ball, mö glicherweise sogar in Anwesenheit des Herzogpaars - ganz ausgeschlossen. Ich kann nur annehmen, dass der Graf sich hier einen Scherz erlaubt.«

Mr Georges Blick wurde kü hl.»Ganz sicher nicht«, sagte er.»Und ganz sicher liegt es nicht bei Ihnen, die Entscheidungen des Grafen anzuzweifeln. Gwendolyn wird das schon schaffen, nicht wahr, Gwendolyn? «

Ich sagte nichts. Mein Selbstwertgefü hl war in den vergangenen zwei Stunden zu heftig malträ tiert worden. Wenn es nur darum ging, nicht unangenehm aufzufallen - das kriegte ich schon hin. Ich wü rde mich einfach in eine Ecke stellen und dezent mit dem Fä cher herumwedeln. Oder lieber nicht wedeln, das konnte ja wer weiß was bedeuten. Einfach nur stehen und ohne Zä hne lä cheln. Natü rlich durfte mich niemand dabei stö ren oder nach dem Marquess von Stafford fragen oder gar zum Tanzen auffordern.

Charlotte begann, leise auf dem Klavier herumzuklimpern. Sie spielte eine ganz herzige kleine Melodie im Stil der Musik, auf die wir zuvor getanzt hatten. Gideon stellte sich neben sie und sie sah zu ihm auf und sagte etwas, das ich nicht verstehen konnte, da Plusterlippe so laut seufzte.

»Wir haben versucht, ihr die Grundschritte des Menuetts konventionell beizubringen, aber ich fü rchte, wir mü ssen zu anderen Methoden greifen! «

Ich konnte nicht anders, ich musste Charlotte fü r ihre Fä higkeit bewundern, gleichzeitig zu reden, Gideon in die Augen zu schauen, ihre entzü ckenden Grü bchen zu zeigen und dabei Klavier zu spielen.

Plusterlippe jammerte immer noch.»... vielleicht helfen Schaubilder oder Kreidezeichen auf dem Boden, dazu sollten wir...«

»Sie werden den Unterricht gleich morgen fortsetzen kö nnen«, unterbrach ihn Mr George.»Gwendolyn muss jetzt zum Elapsieren. Kommst du, Gwendolyn? «

Ich nickte erleichtert und griff nach meiner Schultasche und dem Mantel. Endlich erlö st. Das Frustgefü hl wich sogleich einer gespannten Erwartung. Wenn alles gut ging, wü rde ich heute zum Elapsieren an ein Datum nach meinem Treffen mit Grandpa geschickt werden und im Geheimversteck den Schlü ssel und die Parole vorfinden.

»Lass mich das tragen.«Mr George nahm mir die Schultasche ab und bedachte mich mit einem aufmunternden Lä cheln.»Noch vier Stunden, dann kannst du nach Hause. Du siehst heute schon viel weniger mü de aus als gestern. Wir werden dir ein hü bsches, ruhiges Jahr aussuchen - wie wä re es mit 1953? Gideon sagt, da ist es im Al- nun, im Chronografenraum ganz gemü tlich. Es soll sogar ein Sofa geben.«

»1953 ist perfekt«, sagte ich und versuchte, nicht ganz so begeistert zu klingen. Fü nf Jahre nach meinem letzten Treffen mit Lucas! Es war zu erwarten, dass er in der Zwischenzeit einiges in Erfahrung hatte bringen kö nnen.

»Ach und Charlotte: Mrs Jenkins hat dir einen Wagen gerufen, du kannst fü r heute Feierabend machen.«

Charlotte hö rte auf zu spielen.»Ja, Mr George«, sagte sie hö flich, dann legte sie ihren Kopf schief und lä chelte Gideon an.»Hast du jetzt auch Feierabend? «

Was denn? Wü rde sie ihn jetzt etwa fragen, ob er mit ihr ins Kino gehen wollte? Ich hielt gespannt den Atem an.

Aber Gideon schü ttelte den Kopf.»Nein. Ich werde Gwendolyn begleiten.«

Charlotte und ich guckten sicher gleichermaß en verblü fft.

»Wirst du nicht«, sagte Mr George»Du hast dein Kontingent fü r diesen Tag lä ngst erfü llt.«

»Und du siehst erschö pft aus«, sagte Charlotte.»Was auch kein Wunder ist. Du solltest die Zeit lieber nutzen, um zu schlafen.«

Da war ich ausnahmsweise mal ihrer Meinung. Wenn Gideon mitkä me, konnte ich weder den Schlü ssel aus dem Versteck holen noch meinen Groß vater aufsuchen.

»Ohne mich verbringt Gwendolyn vier vollkommen sinnlose Stunden im Keller«, sagte Gideon.»Wü rde ich mitkommen, kö nnte sie in der Zeit etwas lernen.«Mit einem leichten Lä cheln setzte er hinzu:»Zum Beispiel, wie man links und rechts auseinanderhä lt. Das mit dem Menuett muss doch hinzukriegen sein.«

Wie bitte? Um Gottes willen - nicht schon wieder Tanzunterricht!

»Vergebene Liebesmü h«, sagte Plusterlippe.

»Ich muss meine Hausaufgaben machen«, sagte ich so unfreundlich wie mö glich.»Auß erdem ist morgen mein Shakespeare-Aufsatz fä llig.«

»Dabei kann ich dir auch helfen«, sagte Gideon und sah mich an. Seinen Blick konnte ich nicht deuten, fü r jemanden, der ihn nicht kannte, mochte er vielleicht unschuldig wirken, ich aber wusste es besser.

Charlotte lä chelte zwar immer noch, aber jetzt ohne die niedlichen Grü bchen.

Mr George zuckte mit den Schultern.»Von mir aus. Dann ist Gwendolyn nicht so allein und muss sich nicht furchten.«

»Ich bin eigentlich ganz gern mal allein«, sagte ich verzweifelt.»Vor allem, wenn ich den ganzen Tag unter Leuten war, so wie heute.«Unter saublö den Leuten.

»Ach ja? «, fragte Charlotte spö ttisch.»Und so richtig allein bist du ja auch nie, du hast ja immer noch all deine unsichtbaren Freunde, nicht wahr? «

»Genau«, erwiderte ich.»Gideon, da wü rdest du nur stö ren.«

Geh lieber mit Charlotte ins Kino. Oder grü ndet von mir aus einen Buchklub!

Dachte ich. Aber meinte ich das wirklich? Auf der einen Seite wollte ich nichts dringender, als mit meinem Groß vater zu sprechen und nachfragen, was er ü ber den grü nen Reiter herausgefunden hatte. Auf der anderen Seite tauchten in meinem Hirn vage Erinnerungen an diese Ohhh und Mmmh und Mehr vom Vortag auf.

Mist! Ich musste mich zusammenreiß en und an all das denken, was ich so verabscheuungswü rdig an Gideon gefunden hatte.

Doch der ließ mir keine Zeit dazu. Er hielt mir und Mr George bereits die Tü r auf.»Komm schon, Gwendolyn! Auf ins Jahr 1953! «

Ich war ziemlich sicher, dass Charlottes Blicke mir Lö cher in den Rü cken gebrannt hä tten, wenn sie gekonnt hä tte.

Auf dem Weg hinunter ins alte Alchemielabor verband Mr George mir - nicht ohne sich vorher dafü r zu entschuldigen - die Augen und nahm dann seufzend meine Hand. Gideon musste meine Schultasche tragen.

»Ich weiß, dass Mr Giordano kein einfacher Mensch ist«, sagte Mr George, als wir den Abstieg ü ber die Wendeltreppe hinter uns hatten.»Aber vielleicht kannst du dir trotzdem ein bisschen Mü he mit ihm geben.«

Ich ließ ein lautes Schnauben hö ren.»Er kö nnte sich ja auch etwas mehr Mü he mit mir geben! Reikimeister, kreativer Schmuckdesigner, Modeschö pfer... was hat er denn bei den Wä chtern zu suchen? Ich dachte, das wä ren alles hochkarä tige Wissenschaftler und Politiker.«

»Mr Giordano ist schon so etwas wie ein bunter Vogel unter den Wä chtern«, rä umte Mr George ein.»Aber er ist ein brillanter Kopf. Neben seinen exotischen... nun ja... Berufen, die ihn im Ü brigen zum Multimillionä r gemacht haben, ist er ein anerkannter Historiker und...«

»... und spä testens, seit er vor fü nf Jahren einen Aufsatz ü ber bisher unbekannte Quellen zu einer Londoner Geheimgesellschaft mit Verbindungen zu den Freimaurern und dem legendä ren Grafen von Saint Germain verö ffentlichte, beschlossen die Wä chter, ihn dringend nä her kennenlernen zu mü ssen«, sagte Gideon von weiter vorn. Seine Stimme hallte von den steinernen Wä nden wider.

Mr George rä usperte sich.»Ä hm, ja, das auch. Vorsicht, Stufe.«

»Verstehe«, sagte ich.»Dann ist Giordano also Mitglied bei den Wä chtern, damit er sie nicht verpetzen kann. Was waren das denn fü r unbekannte Quellen? «

»Jedes Mitglied gibt der Gesellschaft etwas, das sie stä rker macht«, sagte Mr George, ohne auf meine Frage einzugehen.»Und Mr Giordanos Fä higkeiten sind besonders vielfä ltig.«

»Ohne Zweifel«, sagte ich.»Welcher Mann kann sich schon selber ein Strasssteinchen auf den Fingernagel kleben? «

Ich hö rte Mr George husten, als ob er sich verschluckt hä tte. Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinanderher.

Von Gideon waren nicht mal mehr Schritte zu hö ren, ich nahm an, dass er vorgegangen war (durch meine Augenbinde waren wir nä mlich schneckenlangsam). Schließ lich fasste ich mir ein Herz und fragte leise:»Warum genau werde ich auf diese Soiree und den Ball gehen, Mr George? «

»Oh, hat dich noch niemand darü ber informiert? Gideon war gestern Abend - oder vielmehr in der Nacht - beim Grafen, um ihn ü ber eure jü ngsten... Abenteuer aufzuklä ren. Und er kam mit einem Brief zurü ck, in welchem der Graf ausdrü cklich wü nscht, dass du und Gideon ihn auf eine Soiree zu Lady Brompton begleitet sowie zu einem groß en Ball einige Tage spä ter. Auß erdem steht noch ein Nachmittagsbesuch in Temple an. Ziel des Ganzen ist, dass der Graf dich nä her kennenlernt.«

Ich dachte an meine erste Begegnung mit dem Grafen und schauderte.»Ich verstehe, dass er mich besser kennenlernen will. Aber - warum mö chte er, dass ich unter fremde Leute gehe? Ist das eine Art Test? «

»Es beweist einmal mehr, dass es keinen Zweck hat, dich aus allem herauszuhalten. Ehrlich gesagt habe ich mich ü ber diesen Brief sehr gefreut. Es zeigt, dass der Graf dir weit mehr zutraut als so manch einer der Herren Wä chter, die denken, dass du nur eine Art Statistin in diesem Spiel bist.«

»Und eine Verrä terin«, sagte ich und dachte an Dr. White.

»Oder eine Verrä terin«, sagte Mr George leichthin.»Die Meinungen gehen da auseinander. So, wir sind angekommen, mein Mä dchen. Du kannst die Augenbinde abnehmen.«

Gideon wartete bereits auf uns. Ich versuchte noch ein letztes Mal, ihn loszuwerden, indem ich ankü ndigte, ein Shakespeare-Sonett auswendig lernen zu mü ssen, was ich nur laut kö nnte, aber da zuckte er nur mit den Schultern und meinte, er habe seinen iPod dabei und wü rde mich gar nicht hö ren. Mr George befreite den Chronografen aus dem Safe und schä rfte uns ein, bloß nichts liegen zu lassen.»Nicht den kleinsten Papierschnipsel, hö rst du, Gwendolyn? Du bringst den gesamten Inhalt deiner Schultasche wieder mit hierher. Und die Schultasche selber natü rlich auch. Verstanden? «

Ich nickte, nahm Gideon die Tasche aus der Hand und drü ckte sie fest an mich. Dann reichte ich Mr George meinen Finger. Und zwar dieses Mal den kleinen - der Zeigefinger war schon zu sehr von den Nadelstichen malträ tiert worden.»Und falls jemand den Raum betritt, wä hrend wir da sind? «

»Das wird nicht passieren«, versicherte Gideon.»Es ist nä mlich dort mitten in der Nacht.«

»Na und? Es kö nnte doch jemand auf die Idee kommen, ein inspiratives Treffen im Keller abzuhalten.«

»Konspirativ«, sagte Gideon.»Wennschon.«

»Wie bitte? «

»Keine Sorge«, sagte Mr George und schob meinen Finger durch das geö ffnete Klä ppchen ins Innere des Chronografen. Ich biss mir auf die Lippen, als sich das altbekannte Achterbahngefü hl in meinem Magen breitmachte und die Nadel sich in mein Fleisch bohrte. Der Raum wurde in rubinrotes Licht getaucht, dann landete ich in vö lliger Dunkelheit.

»Hallo? «, fragte ich leise, aber niemand antwortete mir. Eine Sekunde spä ter landete Gideon neben mir und knipste sofort eine Taschenlampe an.

»Siehst du, gar nicht so ungemü tlich hier«, sagte er, wä hrend er zur Tü r ging und das Licht einschaltete. Immer noch hing nur eine nackte Glü hbirne von der Decke, aber der Rest des Raumes hatte seit meinem letzten Besuch eindeutig gewonnen. Mein erster Blick galt der Wand, in die Lucas unser Geheimversteck hatte bauen wollen. Davor waren Stü hle aufgestapelt, aber sehr viel ordentlicher als beim letzten Mal. Es gab keinen Schutt mehr, der Raum war verglichen mit dem letzten Mal geradezu sauber und vor allem viel leerer. Auß er den Stü hlen vor der Wand gab es noch einen Tisch und ein Sofa, das mit verschlissenem grü nem Samt ü berzogen war.

»Ja, tatsä chlich deutlich gemü tlicher als bei meinem letzten Besuch hier. Ich hatte die ganze Zeit Angst, eine Ratte kö nnte herauskommen und mich anknabbern.«

Gideon drü ckte die Tü rklinke herunter und rü ttelte einmal kurz daran. Offensichtlich abgeschlossen.

»Einmal nur war die Tü r offen«, sagte er mit einem Grinsen.»Das war ein wirklich schö ner Abend. Von hier aus fü hrt ein Geheimgang bis unter den Justizpalast. Und es geht noch tiefer hinab in Katakomben mit Gebeinen und Schä deln... Und gar nicht weit von hier befindet sich - im Jahr 1953 - ein Weinkeller.«

»Einen Schlü ssel mü sste man haben.«Wieder schielte ich zu der Wand hinü ber. Irgendwo dort hinter einem losen Ziegelstein lag ein Schlü ssel. Ich seufzte. Wie verdammt schade, dass mir das jetzt gar nichts nutzte. Aber irgendwie war es auch ein gutes Gefü hl, etwas zu wissen, wovon Gideon ausnahmsweise keine Ahnung hatte.»Hast du den Wein getrunken? «

»Was meinst du denn? «Gideon nahm einen der Stü hle von der Wand und stellte ihn vor den Tisch.»Hier, fü r dich. Viel Spaß bei den Hausaufgaben.«

»Ä h, danke.«Ich setzte mich, nahm die Sachen aus meiner Tasche und tat so, als wü rde ich mich ganz und gar in mein Buch vertiefen. Wä hrenddessen streckte Gideon sich auf dem Sofa aus, nahm einen iPod aus seiner Hosentasche und steckte sich die Kopfhö rer ins Ohr. Nach zwei Minuten riskierte ich einen Blick und sah, dass er die Augen geschlossen hatte. War er etwa eingeschlafen? Eigentlich kein Wunder, wenn man bedachte, dass er heute Nacht schon wieder unterwegs gewesen war.

Eine Weile lang verlor ich mich ein wenig in der Betrachtung der geraden, langen Nase, der blassen Haut, der weichen Lippen und der dichten, gebogenen Wimpern. So in entspanntem Zustand wirkte er viel jü nger als sonst und plö tzlich konnte ich mir ganz gut vorstellen, wie er als kleiner Junge ausgesehen hatte. Auf jeden Fall extrem niedlich. Seine Brust hob und senkte sich regelmä ß ig und ich ü berlegte, ob ich es vielleicht wagen kö nnte - nein, das war zu gefä hrlich. Ich sollte nicht mal mehr auf diese Wand schauen, wenn ich wollte, dass Lucas' und mein Geheimnis bewahrt wurde.

Weil mir nichts anderes ü brig blieb und ich Gideon ja wohl auch schlecht vier Stunden am Stü ck beim Schlafen beobachten konnte (obwohl das durchaus seinen Reiz hatte), widmete ich mich schließ lich meinen Hausaufgaben, zuerst den Bodenschä tzen des Kaukasus, dann den unregelmä ß igen franzö sischen Verben. Dem Aufsatz ü ber Shakespeares Schaffen und Leben fehlte nur noch der Schluss und den fasste ich beherzt in einem einzigen Satz zusammen: Die letzten fü nf Jahre seines Lebens verbringt Shakespeare in Stratford-upon-Avon, wo er 1616 stirbt. So, fertig. Jetzt brauchte ich nur ein Sonett auswendig zu lernen. Da sie alle gleich lang waren, pickte ich willkü rlich eins heraus.»Mine eye and heart are at a mortal war, how to divide the conquest of thy sight«, murmelte ich.

»Meinst du mich? «, fragte Gideon, setzte sich auf und nahm die Stö psel aus seinem Ohr.

Ich konnte leider nicht verhindern, dass ich rot wurde.»Das ist Shakespeare«, sagte ich.

Gideon lä chelte.»Mine eye my heart thy picture's sight would bar, my heart mine eye the freedom of that right … oder so ä hnlich.«

»Nein, ziemlich genau so«, sagte ich und klappte das Buch zu.

»Du kannst es doch noch gar nicht«, sagte Gideon.

»Bis morgen hä tte ich es ohnehin wieder vergessen. Am besten lerne ich es morgen frü h direkt vor der Schule, dann habe ich gute Chancen, es bis zu Mr Whitmans Englischstunde zu behalten.«

»Umso besser! Dann kö nnen wir ja jetzt Menuett ü ben.«Gideon stand auf.»Platz genug haben wir hier auf jeden Fall.«

»Oh nein! Bitte nicht! «

Aber Gideon verbeugte sich bereits vor mir.»Darf ich um diesen Tanz bitten, Miss Shepherd? «

»Nichts wü rde ich lieber tun, mein Herr«, versicherte ich ihm und fä chelte mir mit dem Shakespeare-Buch Luft zu.»Aber bedauernswerterweise ist mein Fuß verstaucht. Vielleicht fragen Sie meine Cousine dort. Die Dame in Grü n.«Ich zeigte auf das Sofa.»Sie wü rde Ihnen gern zeigen, wie gut sie tanzen kann.«

»Ich mö chte aber mit Euch tanzen - wie Eure Cousine tanzt, weiß ich lä ngst.«

»Ich meinte meine Cousine Sofa, nicht meine Cousine Charlotte«, sagte ich.»Ich versichere Ihnen... ä h... Euch, mit Sofa werdet Ihr viel mehr Spaß haben als mit Charlotte. Sofa ist vielleicht nicht ganz so anmutig, aber sie ist weicher, hat viel mehr Charme und einfach einen besseren Charakter.«

Gideon lachte.»Wie gesagt, mein Interesse gilt ausschließ lich Euch. Bitte erweist mir die Ehre.«

»Aber ein Gentleman wie Ihr wird doch wohl Rü cksicht auf meinen verstauchten Fuß nehmen! «

»Nein, bedaure.«Gideon nahm seinen iPod aus der Hosentasche.»Ein bisschen Geduld, das Orchester ist gleich so weit.«Er steckte mir die Hö rstö psel rechts und links in die Ohren und zog mich auf die Fü ß e.

»Oh, gut, Linkin Park«, sagte ich, wä hrend mein Puls in die Hö he schnellte, weil Gideon mir plö tzlich so nahe war.

»Was? Pardon. Moment, das haben wir gleich.«Seine Finger glitten ü ber das Display.»So. Mozart - das passt.«Er reichte mir den iPod.»Nein, leg ihn in deine Rocktasche, du musst beide Hä nde frei haben.«

»Aber du hö rst doch gar nichts von der Musik«, sagte ich, wä hrend mir Geigen in den Ohren rauschten.

»Ich hö re genug, du musst nicht so schreien. Okay, stellen wir uns vor, das sei eine Aufstellung zu acht. Links neben mir steht noch ein Herr, rechts von mir gleich zwei, ordentlich in einer Reihe. Auf deiner Seite das gleiche Bild, nur mit Damen. Reverenz, bitte.«

Ich machte einen Knicks und legte zö gernd die Hand in seine.»Ich hö re aber sofort auf, wenn du dummes Ding zu mir sagst! «

»Wü rde ich doch niemals tun«, sagte Gideon und fü hrte mich am Sofa vorbei geradeaus.»Beim Tanzen geht es vor allem um gepflegte Konversation. Darf ich fragen, woher Ihr Eure Abneigung gegen das Tanzen habt? Die meisten jungen Damen lieben es.«

»Psst, ich muss mich konzentrieren.«Bis jetzt ging es ganz gut. Ich war selber ganz erstaunt. Die tour de main klappte reibungslos, einmal links herum, einmal rechts.»Kö nnen wir das noch einmal machen? «

»Lass das Kinn oben, ja genau. Und sieh mich an. Du darfst mich nie aus den Augen lassen, egal wie gut aussehend mein Nachbar auch sein mag.«

Ich musste grinsen. Was war das jetzt? Ein Fishing for compliments? Na, den Gefallen wü rde ich ihm nicht tun. Obwohl ich zugeben musste, dass Gideon wirklich gut tanzte. Mit ihm war es ganz anders als mit Plusterlippe - es ging irgendwie ganz von selbst. So allmä hlich konnte ich diesem Menuett-Tanzen tatsä chlich etwas abgewinnen.

Gideon bemerkte es auch.»Sieh mal einer an, du kannst es doch. Rechte Hand, rechte Schulter, linke Hand, linke Schulter - sehr gut.«

Er hatte recht. Ich konnte es! Eigentlich war es kinderleicht. Triumphierend drehte ich mich mit einem der unsichtbaren anderen Herren im Kreis, dann legte ich meine Hand wieder in Gideons.»Ha! Von wegen anmutig wie eine Windmü hle! «, sagte ich.

»Ein absolut unverschä mter Vergleich«, stimmte Gideon zu.»Du tanzt doch jede Windmü hle locker an die Wand.«

Ich kicherte. Dann zuckte ich zusammen.»Ups - jetzt kommt wieder Linkin Park.«

»Egal.«Wä hrend mir 21 guns in den Ohren hä mmerte, fü hrte Gideon mich unbeirrt durch die letzte Figur und verneigte sich anschließ end. Beinahe war ich traurig, dass es schon zu Ende war.

Ich machte einen tiefen Knicks und nahm die Ohrstö psel ab.»Hier. Sehr lieb von dir, dass du es mir beigebracht hast.«

»Purer Eigennutz«, sagte Gideon.»Ich bin schließ lich derjenige, der sich sonst mit dir blamiert, schon vergessen? «

»Nein.«Meine gute Laune verflü chtigte sich wieder. Mein Blick verirrte sich hinü ber zu der Wand mit den Stü hlen davor, ehe ich ihn daran hindern konnte.

»Hey, wir sind noch nicht fertig«, sagte Gideon.»Das war zwar schon ganz nett, aber noch nicht perfekt. Warum guckst du denn plö tzlich so finster? «

»Warum, meinst du, will der Graf von Saint Germain unbedingt, dass ich auf eine Soiree und einen Ball gehe? Er kö nnte mich doch einfach hier nach Temple ordern, da bestü nde keine Gefahr, dass ich mich vor fremden Leuten blamiere. Niemand mü sste sich ü ber mich wundern und kö nnte das womö glich fü r die Nachwelt festhalten.«

Gideon sah eine Weile auf mich hinunter, bevor er antwortete.»Der Graf lä sst sich nur ungern in die Karten schauen, aber hinter jeder seiner Ideen steckt ein genialer Plan. Er hat einen konkreten Verdacht, was die Mä nner angeht, die uns im Hyde Park ü berfallen haben, und ich denke, er mö chte den oder die Drahtzieher aus der Reserve locken, indem er uns beide einer grö ß eren Gesellschaft vorstellt.«

»Oh«, machte ich.»Meinst du, wir werden wieder von Mä nnern mit Degen...? «

»Nicht, solange wir unter Leuten sind«, sagte Gideon. Er setzte sich auf die Sofalehne und verschrä nkte die Arme vor der Brust.»Trotzdem halte ich es fü r zu gefä hrlich - jedenfalls fü r dich.«

Ich lehnte mich gegen die Tischkante.»Hattest du nicht Lucy und Paul wegen der Sache im Hyde Park im Verdacht? «

»Ja und nein«, erwiderte Gideon.»Ein Mann wie der Graf von Saint Germain hat sich im Laufe seines Lebens nicht wenige Feinde gemacht. In den Annalen gibt es einige Berichte von Anschlä gen auf sein Leben. Ich vermute mal, dass Lucy und Paul sich, um ihre Ziele zu erreichen, mit einem oder mehreren dieser Feinde zusammengetan haben.«

»Denkt der Graf das auch? «

Gideon zuckte mit den Schultern.»Das hoffe ich.«

Ich ü berlegte eine Weile.»Ich bin dafü r, dass du wieder gegen die Regeln verstö ß t und so eine James-Bond-Pistole mitnimmst«, schlug ich dann vor.»Dagegen kö nnen die ganzen Typen mit ihren Degen einpacken. Woher hast du sie eigentlich? Ich wü rde mich auch besser fü hlen, wenn ich so ein Ding hä tte.«

»Eine Waffe, mit der man nicht umgehen kann, wird in der Regel gegen einen verwendet«, sagte Gideon. Ich dachte an mein japanisches Gemü semesser. Eine unangenehme Vorstellung, wenn man es gegen mich verwenden wü rde.

»Ist Charlotte gut im Fechten? Und kann sie auch mit einer Pistole umgehen? «

Wieder ein Schulterzucken.»Sie hat seit ihrem zwö lften Lebensjahr Fechtunterricht gehabt - natü rlich ist sie gut.«

Natü rlich. Charlotte war in allem gut. Auß er im Nettsein.»Dem Grafen hä tte sie sicher gefallen«, sagte ich.»Ich war offensichtlich nicht sein Typ.«

Gideon lachte.»Noch kannst du sein Bild von dir revidieren. Er mö chte dich auch vor allem deshalb nä her kennenlernen, um zu ü berprü fen, ob die Prophezeiungen nicht doch recht haben, was dich angeht.«

»Wegen der Magie des Raben? «Wie immer, wenn die Rede darauf kam, fü hlte ich mich unbehaglich.»Verraten die Prophezeiungen eigentlich auch, was damit gemeint ist? «

Gideon zö gerte etwas, dann sagte er leise: »... Der Rabe auf seinen rubinroten Schwingen, zwischen den Welten hö rt Tote er singen, kaum kennt er die Kraft, kaum kennt er den Preis, die Macht erhebt sich, es schließ t sich der Kreis... «Er rä usperte sich.»Du hast ja eine Gä nsehaut.«

»Das klingt ja auch unheimlich. Das mit den singenden Toten vor allem.«Ich rieb mir ü ber die Arme.»Geht es noch weiter? «

»Nein. Das ist mehr oder weniger alles. Du musst zugeben, dass es auf dich nicht so recht passen will, oder? «






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