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London, 14. Mai 1602 1 страница






Saphirblau

Book Jacket

Series: Liebe geht durch alle Zeiten [2] Tags: Roman

Frisch verliebt in die Vergangenheit, das ist keine gute Idee. Das zumindest findet Gwendolyn, 16 Jahre alt, frisch gebackene Zeitreisende. Schließ lich haben sie und Gideon ganz andere Probleme. Zum Beispiel die Welt zu retten. Oder Menuett tanzen zu lernen. (Beides nicht wirklich einfach!) Als Gideon dann auch noch anfä ngt, sich vö llig rä tselhaft zu benehmen, wird Gwendolyn klar, dass sie schleunigst ihre Hormone in den Griff bekommen muss. Denn sonst wird das nichts mit der Liebe zwischen allen Zeiten!


Kerstin Gier

 


Saphirblau. Liebe geht durch alle Zeiten

Roman

 

 

 

TUX - ebook 2010

 


SAPHIRBLAU

 


Prolog

London, 14. Mai 1602

 

Es war dunkel in den Gassen von Southwark, dunkel und einsam. Gerü che von Algen, Kloake und totem Fisch lagen in der Luft. Er drü ckte ihre Hand unwillkü rlich fester und zog sie weiter.»Wir wä ren besser wieder direkt am Fluss entlanggegangen. In diesem Gassengewirr kann man sich ja nur verlaufen«, flü sterte er.

»Ja und in jedem Winkel lauert ein Dieb und ein Mö rder.«Ihre Stimme klang vergnü gt.»Herrlich, oder? Das ist tausendmal besser, als in diesem stickigen Gemä uer herumzusitzen und Hausaufgaben zu machen! «Sie raffte ihr schweres Kleid und eilte weiter.

Unwillkü rlich musste er grinsen. Lucys Talent, in jeder Lage und zu jeder Zeit der Sache etwas Positives abzugewinnen, war einzigartig. Selbst das sogenannte goldene Zeitalter Englands, das seinen Namen im Moment Lü gen strafte und ziemlich finster daherkam, konnte sie nicht schrecken, eher im Gegenteil.

»Schade, dass wir nie mehr als drei Stunden Zeit haben«, sagte sie, als er zu ihr aufschloss.»Hamlet hä tte mir noch besser gefallen, wenn ich ihn nicht in Fortsetzungen hä tte anschauen mü ssen.«Geschickt wich sie einer ekligen Schlammpfü tze aus, zumindest hoffte er instä ndig, dass es Schlamm war. Dann machte sie ein paar ausgelassene Tanzschritte und drehte sich einmal um die eigene Achse. »So macht Bewusstsein Feige aus uns allen... war das nicht groß artig? «

Er nickte und musste sich zusammenreiß en, um nicht schon wieder zu grinsen. In Lucys Gegenwart tat er das zu oft. Wenn er nicht aufpasste, wirkte er noch wie der letzte Idiot!

Sie waren auf dem Weg zur London Bridge - die Southwark Bridge, die eigentlich gü nstiger gelegen gewesen wä re, war dummerweise zu diesem Zeitpunkt noch nicht gebaut worden. Aber sie mussten sich beeilen, wenn sie nicht wollten, dass ihr heimlicher Abstecher ins 17. Jahrhundert auffiel.

Gott, was wü rde er dafü r geben, wenn er endlich diesen steifen weiß en Kragen ablegen kö nnte! Er fü hlte sich an wie eines dieser Plastikteile, die Hunde nach Operationen tragen mussten.

Lucy bog um die Ecke Richtung Fluss. Sie schien in Gedanken noch immer bei Shakespeare zu sein.»Wie viel hast du dem Mann ü berhaupt gegeben, dass er uns ins Globe-Theater lä sst, Paul? «

»Vier von diesen schweren Mü nzen, keine Ahnung, was die wert sind.«Er lachte.»Vermutlich war das ein Jahreslohn oder so.«

»Auf jeden Fall hat's geholfen. Die Plä tze waren super.«

Laufend erreichten sie die London Bridge. Wie schon auf dem Hinweg blieb Lucy stehen und wollte die Hä user kommentieren, mit denen die Brü cke ü berbaut war. Aber er zog sie weiter.»Du weiß t doch, was Mr George gesagt hat: Wenn man zu lange unter einem Fenster stehen bleibt, bekommt man einen Nachttopf auf den Kopf geleert«, erinnerte er sie.»Auß erdem fä llst du auf! «

»Man merkt gar nicht, dass man auf einer Brü cke steht, es sieht aus wie eine ganz normale Straß e. Oh, schau mal, ein Stau! Es wird allmä hlich Zeit, dass sie noch ein paar andere Brü cken bauen.«

Die Brü cke war - im Gegensatz zu den Nebengassen - noch recht belebt, aber die Fuhrwerke, Sä nften und Kutschen, die zum anderen Themseufer hinü berwollten, bewegten sich keinen Yard vorwä rts. Weiter vorne hö rte man Stimmen, Fluchen und Pferde wiehern, aber die Ursache des Stillstands konnte man nicht erkennen. Aus dem Fenster einer Kutsche direkt neben ihnen beugte sich ein Mann mit schwarzem Hut. Sein steifer weiß er Spitzenkragen bog sich bis zu seinen Ohren hinauf.

»Gibt es nicht noch einen anderen Weg ü ber diesen stinkenden Fluss? «, rief er auf Franzö sisch seinem Kutscher zu.

Der Kutscher verneinte.»Und selbst wenn, wir kö nnen nicht umdrehen, wir stecken fest! Ich werde nach vorne gehen und sehen, was passiert ist. Sicher geht es bald weiter, Sire.«

Mit einem Grummeln zog der Mann seinen Kopf samt Hut und Kragen zurü ck in die Kutsche, wä hrend der Kutscher abstieg und sich einen Weg durch das Gedrä nge bahnte.

»Hast du das gehö rt, Paul? Das sind Franzosen«, flü sterte Lucy begeistert.»Touristen! «

»Ja. Ganz toll. Aber wir mü ssen weiter, wir haben nicht mehr viel Zeit.«Er erinnerte sich dunkel, gelesen zu haben, dass man diese Brü cke irgendwann zerstö rt und spä ter fü nfzehn Meter weiter wieder aufgebaut hatte. Kein guter Platz fü r einen Zeitsprung also.

Sie folgten dem franzö sischen Kutscher, aber ein Stü ck weiter vorn standen die Menschen und Fahrzeuge so dicht, dass kein Durchkommen war.

»Ich habe gehö rt, da hat ein Fuhrwerk mit Ö lfä ssern Feuer gefangen«, sagte die Frau vor ihnen zu niemandem Bestimmten.»Wenn sie nicht aufpassen, fackeln sie noch mal die ganze Brü cke ab.«

»Aber nicht heute, so viel ich weiß «, murmelte Paul und griff nach Lucys Arm.»Komm, wir gehen zurü ck und warten auf der anderen Seite auf unseren Sprung.«

»Erinnerst du dich noch an die Parole? Nur fü r den Fall, dass wir es nicht rechtzeitig schaffen.«

»Irgendwas mit Kutte und Lava.«

»Gutta cavat lapidem, du Dummkopf.«Sie sah kichernd zu ihm hoch. Ihre blauen Augen blitzten vor Vergnü gen und plö tzlich schoss ihm durch den Kopf, was sein Bruder Falk gesagt hatte, als er ihn nach dem perfekten Zeitpunkt gefragt hatte.»Ich wü rde mich nicht lange mit Reden aufhalten. Ich wü rde es einfach tun. Dann kann sie dir eine runterhauen und du weiß t Bescheid.«

Falk hatte natü rlich wissen wollen, von wem die Rede war, aber Paul hatte keine Lust auf Diskussionen gehabt, die mit»Du weiß t doch, die Verbindungen zwischen den de Villiers und den Montroses sollten rein geschä ftlicher Natur sein! «begannen und mit»Auß erdem sind die Montrose-Mä dchen alle Zicken und werden spä ter mal Drachen wie Lady Arista«endeten.

Von wegen Zicke! Mö glicherweise traf das auf die anderen Montrose-Mä dchen zu - auf Lucy aber mit Sicherheit nicht.

Lucy - ü ber die er jeden Tag aufs Neue staunen konnte, der er Sachen anvertraut hatte, die er noch niemandem erzä hlt hatte. Lucy, mit der man buchstä blich -

Er holte tief Luft.

»Warum bleibst du stehen? «, fragte Lucy, aber da hatte er sich auch schon zu ihr hinuntergebeugt und seine Lippen auf ihren Mund gepresst. Drei Sekunden lang fü rchtete er, sie wü rde ihn wegschubsen, aber dann schien sie ihre Ü berraschung ü berwunden zu haben und erwiderte seinen Kuss, zuerst ganz vorsichtig, dann nachdrü cklicher.

Eigentlich war das hier alles andere als der perfekte Moment und eigentlich hatten sie es auch furchtbar eilig, denn sie konnten jeden Moment in der Zeit springen, und eigentlich...

Paul vergaß, was das dritte Eigentlich war. Alles, was jetzt zä hlte, war sie.

Doch dann fiel sein Blick auf eine Gestalt mit einer dunklen Kapuze und er sprang erschrocken zurü ck.

Lucy sah ihn einen Moment irritiert an, bevor sie rot wurde und auf ihre Fü ß e schaute.»Tut mir leid«, murmelte sie verlegen.»Larry Coleman hat auch gesagt, wenn ich kü sse, fü hlt sich das so an, als wü rde einem jemand eine Handvoll unreifer Stachelbeeren ins Gesicht drü cken.«

»Stachelbeeren? «Er schü ttelte den Kopf.»Und wer zum Teufel ist ü berhaupt Larry Coleman? «

Jetzt schien sie vollends verwirrt und er konnte es ihr noch nicht einmal ü bel nehmen. Irgendwie musste er versuchen, das Chaos, das in seinem Kopf herrschte, in die richtige Reihenfolge zu bringen. Er zog Lucy aus dem Licht der Fackeln, packte sie an den Schultern und sah ihr tief in die Augen.»Okay, Lucy. Erstens: Du kü sst ungefä hr so, wie... wie Erdbeeren schmecken. Zweitens: Wenn ich diesen Larry Coleman finde, haue ich ihm eins auf die Nase. Drittens: Merk dir dringend, wo wir aufgehö rt haben. Aber im Moment haben wir ein klitzekleines Problem.«

Wortlos deutete er auf den hochgewachsenen Mann, der nun lä ssig aus dem Schatten eines Fuhrwerkes herausschlenderte und sich zum Kutschenfester des Franzosen hinunterbeugte.

Lucys Augen weiteten sich vor Schreck.

»Guten Abend, Baron«, sagte der Mann. Er sprach ebenfalls Franzö sisch und beim Klang seiner Stimme krallte sich Lucys Hand in Pauls Arm.»Wie schö n, Euch zu sehen. Ein weiter Weg aus Flandern hierher.«Er streifte seine Kapuze ab.

Aus dem Inneren der Kutsche erklang ein ü berraschter Ausruf.»Der falsche Marquis! Was macht Ihr denn hier? Wie passt das zusammen? «

»Das wü sste ich auch gern«, flü sterte Lucy.

»Begrü ß t man so seinen eigenen Nachkommen? «, erwiderte der Hochgewachsene gut gelaunt.»Immerhin bin ich der Enkelsohn des Enkelsohnes Eures Enkelsohnes, und auch wenn man mich gern den Mann ohne Vornamen nennt, darf ich Euch versichern, dass ich einen habe. Sogar mehrere, um genau zu sein. Darf ich Euch in der Kutsche Gesellschaft leisten? Es steht sich nicht besonders bequem hier und diese Brü cke wird noch eine gute Weile verstopft sein.«Ohne die Antwort abzuwarten oder sich noch einmal umzusehen, ö ffnete er die Tü r und stieg in die Kutsche.

Lucy hatte Paul zwei Schritte zur Seite gezogen, noch weiter aus dem Lichtkreis der Fackeln.»Er ist es wirklich! Nur viel jü nger. Was sollen wir denn jetzt tun? «

»Gar nichts«, flü sterte Paul zurü ck.»Wir kö nnen ja schlecht hingehen und Hallo sagen! Wir dü rften gar nicht hier sein.«

»Aber wieso ist er hier? «

»Ein dummer Zufall. Er darf uns auf keinen Fall sehen. Komm, wir mü ssen ans Ufer.«

Aber keiner von ihnen rü hrte sich von der Stelle. Beide starrten sie wie gebannt auf das dunkle Fenster der Kutsche, noch faszinierter als vorhin auf die Bü hne des Globe-Theaters.

»Ich habe Euch bei unserem letzten Treffen doch deutlich zu verstehen gegeben, was ich von Euch halte«, drang jetzt die Stimme des franzö sischen Barons aus der Kutsche.

»Oh ja, das habt Ihr! «Das leise Lachen des Besuchers trieb Paul eine Gä nsehaut auf die Arme, ohne dass er sagen konnte, warum.

»Mein Entschluss steht fest! «Die Stimme des Barons wackelte ein wenig.»Ich werde dieses Teufelsgerä t der Allianz ü bergeben, ganz egal, welch perfide Methoden Ihr auch anwenden mö gt, um mich davon abzubringen. Ich weiß, dass Ihr mit dem Teufel im Bunde steht.«

»Was meint er denn? «, flü sterte Lucy.

Paul schü ttelte nur den Kopf.

Wieder ertö nte ein leises Lachen.»Mein engstirniger, verblendeter Vorfahre! Wie viel leichter hä tte Euer Leben - und auch meins! - sein kö nnen, wenn Ihr auf mich gehö rt hä ttet und nicht auf Euren Bischof oder diese bedauernswerten Fanatiker der Allianz. Wenn Ihr Euren Verstand benutzt hä ttet anstelle Eures Rosenkranzes. Wenn Ihr erkannt hä ttet, dass Ihr Teil von etwas Grö ß erem seid als dem, was Euer Priester Euch predigt.«

Die Antwort des Barons schien aus einem Vaterunser zu bestehen, Lucy und Paul hö rten ihn nur leise murmeln.

»Amen! «, sagte der Besucher mit einem Seufzer.»Das ist also Euer letztes Wort in dieser Sache? «

»Ihr seid der Teufel persö nlich! «, sagte der Baron.»Verlasst meinen Wagen und kommt mir niemals wieder vor die Augen.«

»Ganz wie Ihr wü nscht. Da wä re nur noch eine Kleinigkeit. Ich habe es Euch bisher nicht gesagt, um Euch nicht unnö tig aufzuregen, aber auf Eurem Grabstein, den ich mit eigenen Augen gesehen habe, steht der 14. Mai 1602 als Euer Todestag verzeichnet.«

»Aber das ist doch...«, sagte der Baron.

»... heute, richtig. Und es fehlt nicht mehr viel bis Mitternacht.«

Vom Baron war ein Keuchen zu hö ren.

»Was tut er denn da? «, flü sterte Lucy.

»Er bricht seine eigenen Gesetze.«Pauls Gä nsehaut war hinauf bis zu seinem Nacken gewandert.»Er spricht ü ber...«Er unterbrach sich, denn in seinem Magen breitete sich ein wohlbekanntes, mulmiges Gefü hl aus.

»Mein Kutscher wird gleich zurü ck sein«, sagte der Baron und jetzt klang seine Stimme eindeutig ä ngstlich.

»Ja, da bin ich sicher«, erwiderte der Besucher fast ein bisschen gelangweilt.»Deshalb beeile mich ja auch.«

Lucy hatte die Hand auf ihre Magengegend gelegt. »Paul! «

»Ich weiß, ich spü re es auch. Verfluchter Mist... Wir mü ssen laufen, wenn wir nicht elend tief in den Fluss stü rzen wollen.«Er packte ihren Arm und zog sie vorwä rts, sorgfä ltig darauf bedacht, sein Gesicht nicht dem Fenster zuzuwenden.

»Wohl seid Ihr eigentlich in Eurer Heimat verstorben, an den Folgen einer unangenehmen Influenza«, hö rten sie die Stimme des Besuchers, wä hrend sie an der Kutsche vorbeischlichen.»Aber da meine Besuche bei Euch in letzter Konsequenz dazu gefü hrt haben, dass Ihr heute hier in London seid und Euch bester Gesundheit erfreut, ist hier etwas empfindlich aus dem Gleichgewicht gebracht worden. Korrekt wie ich nun einmal bin, fü hle ich mich daher verpflichtet, dem Tod ein wenig auf die Sprü nge zu helfen.«

Paul war mehr mit dem Gefü hl in seinem Magen beschä ftigt und damit auszurechnen, wie viele Meter es noch bis zum Ufer waren, dennoch sickerte die Bedeutung der Worte in sein Bewusstsein und er blieb wieder stehen.

Lucy knuffte ihn in die Seite.»Lauf! «, zischte sie, wä hrend sie selber zu rennen begann.»Wir haben nur noch ein paar Sekunden! «

Mit weichen Knien setzte er sich ebenfalls in Bewegung, und wä hrend er rannte und das nahe Ufer vor seinen Augen zu verschwimmen begann, hö rte er aus dem Inneren der Kutsche einen grauenhaften, wenn auch gedä mpften Schrei, dem ein gerö cheltes»Teufel! «folgte - dann herrschte tö dliche Stille.

 

Aus den Annalen der Wä chter 18. Dezember 1992

Lucy und Paul wurden heule um 15 Uhr zum Elapsieren ins Jahr 1948 geschickt. Als sie um neunzehn Uhr zurü ckkehrten, landeten sie im Rosenbeet vor dem Fenster des Drachensaals, in vollkommen durchnä ssten Kostü men des 17. Jahrhunderts. Sie machten einen recht verstö rten Eindruck auf mich und redeten wirres Zeug, daher verstä ndigte ich gegen ihren Willen Lord Montrose und Falk de Villiers. Die Geschichte ließ sich aber ganz einfach aufklä ren. Lord Montrose erinnerte sich noch genau an das Kostü mfest, das man im Jahr 1948 im Garten feierte und in dessen Verlauf einige Gä ste, darunter auch Lucy und Paul, nach dem Genuss von zu viel Alkohol im Goldfischbecken landeten. Lord Lucas ü bernahm die Verantwortung fü r diesen Vorfall und versprach, die beiden ruinierten Exemplare der Kosen»Ferdinand Picard«und»Mrs John Laing«zu ersetzen.

Lucy und Paul wurden strengstens ermahnt, sich kü nftig, egal in welcher Zeit, von Alkohol fernzuhalten.

 

Bericht, J. Mountjoy, Adept 2. Grades

 


Herrschaften, das ist eine Kirche! Hier kü sst man sich nicht! «

Erschrocken riss ich meine Augen auf und fuhr hastig zurü ck, in Erwartung, einen altmodischen Pfarrer mit wehender Soutane und empö rter Miene auf mich zueilen zu sehen, bereit, eine Strafpredigt auf uns niederdonnern zu lassen. Aber es war nicht der Pfarrer, der unseren Kuss gestö rt hatte. Es war ü berhaupt kein Mensch. Es war ein kleiner Wasserspeier, der auf der Kirchenbank direkt neben dem Beichtstuhl hockte und mich genauso verblü fft anschaute wie ich ihn.

Wobei das eigentlich schwer mö glich war. Denn meinen Zustand konnte man im Grund genommen nicht mehr mit Verblü ffung umschreiben. Um ehrlich zu sein, hatte ich eher so etwas wie gewaltige denktechnische Aussetzer.

Angefangen hatte alles mit diesem Kuss.

Gideon de Villiers hatte mich - Gwendolyn Shepherd - gekü sst.

Natü rlich hä tte ich mich fragen mü ssen, warum er so plö tzlich auf die Idee gekommen war - in einem Beichtstuhl in einer Kirche irgendwo in Belgravia im Jahr 1912 - kurz nachdem wir eine atemberaubende Flucht mit allen Schikanen hingelegt hatten, bei der nicht nur mein knö chellanges, enges Kleid mit dem lä cherlichen Matrosenkragen hinderlich gewesen war.

Ich hä tte analytische Vergleiche anstellen kö nnen zu den Kü ssen, die ich von anderen Jungs bekommen hatte, und woran es lag, dass Gideon so viel besser kü ssen konnte.

Mir hä tte auch zu denken geben kö nnen, dass eine Wand mit einem Beichtstuhlfenster zwischen uns war, durch das Gideon seinen Kopf und seine Arme gezwä ngt hatte, und dass das keine idealen Bedingungen fü r einen Kuss waren, mal ganz abgesehen von dem Fakt, dass ich nicht noch mehr Chaos in meinem Leben brauchen konnte, nachdem ich gerade erst vor drei Tagen erfahren hatte, dass ich das Zeitreise-Gen von meiner Familie geerbt hatte.

Tatsache allerdings war, dass ich ü berhaupt nichts dachte, auß er vielleicht Oh und Hmtnmm und Mehr!

Deswegen bekam ich auch das Ziehen im Bauch nicht richtig mit, und erst jetzt, als dieser kleine Wasserspeier nun seine Arme verschrä nkte und mich von seiner Kirchenbank anfunkelte, erst, als mein Blick auf den kackbraunen Vorhang des Beichtstuhls fiel, der eben noch samtgrü n gewesen war, schwante mir, dass wir in der Zwischenzeit zurü ck in die Gegenwart gesprungen waren.

»Mist! «Gideon zog sich auf seine Seite vom Beichtstuhl zurü ck und rieb sich den Hinterkopf.

Mist? Ich plumpste unsanft von meiner Wolke sieben und vergaß den Wasserspeier.

»So schlecht fand ich es nun auch wieder nicht«, sagte ich, um einen mö glichst lä ssigen Tonfall bemü ht. Leider war ich etwas auß er Atem, was den Gesamteindruck schmä lerte. Ich konnte Gideon nicht in die Augen sehen, stattdessen starrte ich noch immer auf den braunen Polyestervorhang des Beichtstuhls.

Gott! Ich war beinahe hundert Jahre durch die Zeit gereist, ohne etwas zu merken, weil dieser Kuss mich so vollkommen und ganz und gar... ü berrascht hatte. Ich meine, in der einen Minute meckert der Typ an einem herum, in der nä chsten befindet man sich mitten in einer Verfolgungsjagd und muss sich vor Mä nnern mit Pistolen in Sicherheit bringen, und plö tzlich - wie aus dem Nichts - behauptet er, man sei etwas ganz Besonderes, und kü sst einen. Und wie Gideon kü sste! Ich wurde sofort eifersü chtig auf alle Mä dchen, bei denen er das gelernt hatte.

»Niemand zu sehen.«Gideon lugte aus dem Beichtstuhl und trat dann hinaus in die Kirche.»Gut. Wir nehmen den Bus zurü ck nach Temple. Komm, sie werden uns schon erwarten.«

Ich starrte ihn fassungslos durch den Vorhang an. Hieß das etwa jetzt, dass er wieder zur Tagesordnung ü bergehen wollte? Nach einem Kuss (am besten eigentlich vorher, aber dazu war es ja nun zu spä t) sollte man vielleicht doch ein paar grundsä tzliche Dinge klä ren, oder? War der Kuss eine Art Liebeserklä rung gewesen? Waren Gideon und ich jetzt vielleicht sogar zusammen? Oder hatten wir nur ein bisschen rumgeknutscht, weil wir gerade nichts Besseres zu tun gehabt hatten?

»In diesem Kleid fahre ich nicht mit dem Bus«, sagte ich kategorisch, wä hrend ich so wü rdevoll wie mö glich aufstand. Lieber hä tte ich mir die Zunge abgebissen, als eine der Fragen zu stellen, die mir eben durch den Kopf geschossen waren.

Mein Kleid war weiß mit himmelblauen Satinschleifen in der Taille und am Kragen, vermutlich der letzte Schrei im Jahr 1912, aber nicht wirklich geeignet fü r ö ffentliche Verkehrsmittel im einundzwanzigsten Jahrhundert.»Wir nehmen ein Taxi.«

Gideon drehte sich zu mir um, doch er widersprach mir nicht. In seinem Gehrock und der Bü gelfaltenhose schien er sich wohl auch nicht unbedingt busfein zu fü hlen. Dabei sah er darin wirklich gut aus, zumal seine Haare nicht mehr so geschniegelt hinter die Ohren gebü rstet waren wie noch vor zwei Stunden, sondern in zerzausten Locken in seine Stirn fielen.

Ich trat zu ihm hinaus ins Kirchenschiff und frö stelte. Es war saukalt hier drinnen. Oder lag das vielleicht daran, dass ich in den letzten drei Tagen so gut wie gar nicht zum Schlafen gekommen war? Oder an dem, was eben passiert war?

Vermutlich hatte mein Kö rper in der letzten Zeit mehr Adrenalin ausgeschü ttet als in den ganzen sechzehn Jahren vorher. Es war so viel passiert und ich hatte so wenig Zeit gehabt, darü ber nachzudenken, dass mein Kopf vor lauter Informationen und Gefü hlen geradezu zu platzen schien. Wä re ich eine Figur in einem Comic, hä tte eine Denkblase mit einem riesengroß en Fragezeichen darin ü ber mir geschwebt. Und vielleicht ein paar Totenkö pfen.

Ich gab mir einen kleinen Ruck. Wenn Gideon zur Tagesordnung ü bergehen wollte - bitte, das konnte ich auch.»Okay, dann nichts wie raus hier«, sagte ich patzig.»Mir ist kalt.«

Ich wollte mich an ihm vorbeidrä ngen, doch er hielt mich am Arm fest.»Hö r mal, wegen eben...«Er brach ab, wohl in der Hoffnung, dass ich ihm ins Wort fiel.

Was ich natü rlich nicht tat. Ich wollte nur zu gern wissen, was er zu sagen hatte. Auß erdem fiel mir das Atmen schwer, so nah wie er bei mir stand.

»Diesen Kuss... Das habe ich...«Wieder nur ein halber Satz. Aber ich vollendete ihn in Gedanken sofort.

Das habe ich nicht so gemeint.

Oh, schon klar, aber dann hä tte er es auch nicht tun sollen, oder? Das war so, wie einen Vorhang anzü nden und sich hinterher wundern, wenn das ganze Haus brennt. (Okay, blö der Vergleich.) Ich wollte es ihm kein bisschen leichter machen und sah ihn kü hl und abwartend an. Das heiß t, ich versuchte, ihn kü hl und abwartend anzusehen, aber in Wirklichkeit hatte ich vermutlich so einen Ich bin das kleine Bambi, bitte erschieß mich-nicht -Blick aufgesetzt, ich konnte gar nichts dagegen machen. Fehlte nur noch, dass meine Unterlippe zu beben anfing.

Das habe ich nicht so gemeint. Komm schon, sag es!

Aber Gideon sagte gar nichts. Er zupfte eine Haarnadel aus meinen wirren Haaren (vermutlich sah meine komplizierte Schneckenfrisur mittlerweile aus, als ob ein Vogelpä rchen darin genistet hatte), nahm eine Strä hne in die Hand und wickelte sie sich um seinen Finger. Mit der anderen Hand begann er, mein Gesicht zu streicheln, und dann beugte er sich zu mir hinunter und kü sste mich noch einmal, diesmal ganz vorsichtig. Ich schloss die Augen - und schon passierte dasselbe wie zuvor: Mein Gehirn hatte wieder diese wohltuende Sendepause. (Es funkte nichts als Oh, Hmmm und Mehr.)

Allerdings nur etwa zehn Sekunden lang, dann nä mlich sagte eine Stimme direkt neben uns genervt:»Geht das etwa schon wieder los? «

Erschrocken gab ich Gideon einen kleinen Schubs vor die Brust und starrte direkt in die Fratze des kleinen Wasserspeiers, der mittlerweile kopfü ber von der Empore herabbaumelte, unter der wir standen. Genauer gesagt, war es der Geist eines Wasserspeiers.

Gideon hatte meine Haare losgelassen und eine neutrale Miene aufgesetzt. Oh Gott! Was musste er denn jetzt von mir denken? In seinen grü nen Augen war nichts zu erkennen, allenfalls leichtes Befremden.

»Ich... ich dachte, ich hä tte etwas gehö rt«, murmelte ich.

»Okay«, sagte er etwas gedehnt, aber durchaus freundlich.

»Du hast mich gehö rt«, sagte der Wasserspeier.»Du hast mich gehö rt! « Er war in etwa so groß wie eine Katze, sein Gesicht ä hnelte ebenfalls dem einer Katze, allerdings hatte er zusä tzlich zu seinen spitzen, groß en Luchsohren auch noch zwei rundliche Hö rner dazwischen, auß erdem Flü gelchen auf dem Rü cken und einen langen, geschuppten Eidechsenschwanz, der in einem Dreieck mü ndete und aufgeregt hin und her peitschte.»Und du kannst mich auch sehen! «

Ich gab keine Antwort.

»Wir gehen dann besser mal«, sagte Gideon.

»Du kannst mich sehen und hö ren! «, rief der kleine Wasserspeier begeistert, ließ sich von der Empore auf eine der Kirchenbä nke fallen und hü pfte dort auf und nieder. Er hatte eine Stimme wie ein verschnupftes, heiseres Kind.»Ich hab's genau gemerkt! «

Jetzt bloß keinen Fehler machen, sonst wurde ich ihn nie wieder los. Ich ließ meinen Blick betont gleichgü ltig ü ber die Bä nke gleiten, wä hrend ich zur Kirchentü r ging. Gideon hielt mir die Tü r auf.

»Danke, sehr freundlich! «, sagte der Wasserspeier und schlü pfte ebenfalls hinaus.

Drauß en auf dem Bü rgersteig blinzelte ich ins Licht. Es war bewö lkt und die Sonne daher nicht zu sehen, aber meiner Schä tzung nach musste es frü her Abend sein.

»Warte doch mal! «, rief der Wasserspeier und zupfte mich am Rock.»Wir sollten uns dringend unterhalten! Hey, du trampelst mir auf die Fü ß e... Tu nicht so, als ob du mich nicht sehen kö nntest. Ich weiß, dass du es kannst.«Aus seinem Mund kam ein Schluck Wasser geschossen und bildete eine winzige Pfü tze an meinem Knopfstiefelchen.»Ups. 'tschuldigung. Passiert nur, wenn ich aufgeregt bin.«

Ich sah an der Fassade der Kirche hinauf. Sie war vermutlich viktorianischen Baustils, mit bunten Glasfenstern und zwei hü bschen verspielten Tü rmen. Backsteine wechselten sich mit cremeweiß em Putz ab und bildeten ein frö hliches Streifenmuster. Aber so hoch ich auch schaute, am ganzen Bauwerk war keine einzige Figur oder gar ein Wasserspeier zu entdecken. Seltsam, dass der Geist hier trotzdem herumlungerte.

»Hier bin ich! «, rief der Wasserspeier und krallte sich direkt vor meiner Nase ans Mauerwerk. Er konnte klettern wie eine Eidechse, das kö nnen sie alle. Ich starrte eine Sekunde auf den Ziegel neben seinem Kopf und wandte mich ab.

Der Wasserspeier war nun nicht mehr so sicher, dass ich ihn wirklich sehen konnte.»Ach bitte«, sagte er.»Es wä re so schö n, mal mit jemand anderem zu reden als mit dem Geist von Sir Arthur Conan Doyle.«

Nicht unraffiniert, das Kerlchen. Aber ich fiel nicht darauf rein. Er tat mir zwar leid, aber ich wusste, wie lä stig die kleinen Biester werden konnten, auß erdem hatte er mich beim Kü ssen gestö rt und seinetwegen hielt Gideon mich jetzt wahrscheinlich fü r eine launische Kuh.

»Bitte, bitte, biiiiiiiitte! «, sagte der Wasserspeier.

Ich ignorierte ihn weiterhin nach Krä ften. Meine Gü te, ich hatte weiß Gott genug andere Probleme am Hals.

Gideon war an den Fahrbahnrand getreten und winkte ein Taxi heran. Natü rlich kam auch sofort ein freies. Manche Leute haben bei so was immer Glü ck. Oder so etwas wie natü rliche Autoritä t. Meine Groß mutter Lady Arista, zum Beispiel. Sie muss nur am Straß enrand stehen bleiben und streng gucken, schon machen die Taxifahrer eine Vollbremsung.»Kommst du, Gwendolyn? «

»Du kannst doch jetzt nicht einfach abhauen! «Die heisere Kinderstimme klang weinerlich, herzzerreiß end.»Wo wir uns gerade erst gefunden haben.«

Wä ren wir allein gewesen, hä tte ich mich vermutlich dazu hinreiß en lassen, mit ihm zu sprechen. Trotz der spitzen Eckzä hne und der Klauenfü ß e war er irgendwie niedlich und wahrscheinlich hatte er nicht viel Gesellschaft. (Der Geist von Sir Arthur Conan Doyle hatte mit Sicherheit Besseres zu tun. Was hatte der ü berhaupt in London zu suchen?) Aber wenn man in Gegenwart von anderen Menschen mit Geistwesen kommuniziert, halten sie einen - wenn man Glü ck hat - fü r einen Lü gner und Schauspieler oder aber - in den meisten Fä llen - fü r verrü ckt. Ich wollte nicht riskieren, dass Gideon mich fü r verrü ckt hielt. Auß erdem hatte der letzte Wasserspeierdä mon, mit dem ich gesprochen hatte, so viel Anhä nglichkeit entwickelt, dass ich kaum allein aufs Klo hatte gehen kö nnen.






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