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Homo Faber 7 страница






Ich bestellte Bier —

Vielleicht liegt's nur an mir.

Die Tanzenden, nebenbei gesehen, waren eben dabei, eine Orange zu halten mit zwei Nasen, so zu tanzen —

Wie ist es fü r Lajser Lewin?

Er schnarchte tatsä chlich, nicht zu sprechen, sein halboffener Mund dabei: wie der rö tliche Mund von einem Fisch am grü nen Aquarium-Glas! fand ich —

Ich dachte an Ivy.

Wenn ich Ivy umarme und dabei denke: Ich sollte meine Filme entwickeln lassen, Williams anrufen! Ich kö nnte im Kopf irgendein Schach-Problem lö sen, wä hrend Ivy sagt: I'm happy, o Dear, so happy, o Dear, o Dear! Ich spü re ihre zehn Finger um meinen Hinterkopf, sehe ihren epileptischglü cklichen Mund und das Bild an der Wand, das wieder schief hä ngt, ich hö re den Lift, ich ü berlege mir, welches Datum wir heute haben, ich hö re ihre Frage: You're happy? und ich schließ e die Augen, um an Ivy zu denken, die ich in meinen Armen habe, und kü sse aus Versehen meinen eignen Ellbogen. Nachher ist alles wie vergessen. Ich vergesse Williams anzurufen, obschon ich die ganze Zeit daran gedacht habe. Ich stehe am offenen Fenster und rauche endlich meine Zigarette, wä hrend Ivy drauß en einen Tee macht, und weiß plö tzlich, welches Datum. Aber es spielt gar keine Rolle, welches Datum. Alles wie nie gewesen! Dann hö re ich, daß jemand ins Zimmer gekommen ist, und wende mich, und es ist Ivy im Morgenrock, die unsere zwei Tassen bringt, dann gehe ich zu ihr und sage: Ivy! und kü sse sie, da sie ein lieber Kerl ist, obschon sie nicht begreift, daß ich lieber allein sein mö chte —

Plö tzlich stand unser Schiff.

Mister Lewin, plö tzlich erwacht, obschon ich kein Wort gesprochen hatte, wollte wissen, ob wir in Southampton sind. Lichter drauß en —

Wahrscheinlich Southampton.

Mister Lewin erhob sich und ging auf Deck.

Ich trank mein Bier und versuchte, mich zu erinnern, ob es mit Hanna (damals) auch absurd gewesen ist, ob es immer absurd gewesen ist.

Jedermann ging auf Deck.

Als Sabeth in den Papierschlangensaal zurü ckkam, um ihre Handtasche zu holen, wunderte ich mich: sie verabschiedete ihren Freund, der eine saure Miene machte, und setzte sich neben mich. Ihr Hanna-Mä dchen-Gesicht! Sie bat um Zigaretten, wollte nach wie vor wissen, was ich denn die ganze Zeit grü belte, und irgend etwas muß te ich ja sagen: ich gab ihr das Feuer, das ihr junges Gesicht erhellte, und fragte, ob sie mich denn heiraten wü rde.

Sabeth errö tete.

Ob ich das ernst meine?

Warum nicht!

Drauß en die Ausschiffung, die man gesehen haben muß te, es war kalt, aber Ehrenpflicht, Damen schlotterten in ihren Abendkleidern, Nebel, die Nacht voller Lichter, Herren in Smokings, die ihre Damen mit Umarmungen zu wä rmen suchten, Scheinwerfer, die den Verlad beleuchteten, Herren in bunten Papiermü tzen, Lä rm der Krane, aber alles im Nebel; die Blinkfeuer an der Kü ste —

Wir standen ohne Berü hrung.

Ich hatte gesagt, was ich nie habe sagen wollen, aber gesagt war gesagt, ich genoß es, unser Schweigen, ich war wieder vollkommen nü chtern, dabei keine Ahnung, was ich denke, wahrscheinlich nichts.

Mein Leben lag in ihrer Hand —

Fü r eine Weile kam Mister Lewin dazwischen, ohne zu stö ren, im Gegenteil, wir waren froh, Sabeth auch, glaube ich, wir standen Arm in Arm und plauderten mit Mister Lewin, der seinen Burgunder ausgeschlafen hatte, Beratung ü ber die Trinkgeldfrage und Derartiges. Unser Schiff lag mindestens eine Stunde vor Anker, es tagte bereits. Als wir wieder allein standen, die letzten auf dem nassen Deck, und als Sabeth mich fragte, ob ich's wirklich im Ernst meine, kü ß te ich sie auf die Stirn, dann auf ihre kalten und zitternden Augenlider, sie schlotterte am ganzen Leib, dann auf ihren Mund, wobei ich erschrak. Sie war mir fremder als je ein Mä dchen. Ihr halboffener Mund, es war unmö glich; ich kü ß te die Trä nennä sse aus ihren Augenhö hlen, zu sagen gab es nichts, es war unmö glich.

Anderntags Ankunft in Le Havre.

Es regnete, und ich stand auf dem Oberdeck, als das fremde Mä dchen mit dem rö tlichen Roß schwanz ü ber die Brü cke ging, Gepä ck in beiden Hä nden, weswegen sie nicht winken konnte. Sie sah mein Winken, glaube ich. Ich hatte filmen wollen, ich winkte noch immer, ohne sie im Gedrä nge zu sehen. Spä ter beim Zoll, als ich gerade meinen Koffer aufmachen muß te, sah ich ihren rö tlichen Roß schwanz noch einmal; sie nickte auch und lä chelte, Gepä ck in beiden Hä nden, sie sparte sich einen Trä ger und schleppte viel zu schwer, ich konnte aber nicht helfen, sie verschwand im Gedrä nge — Unser Kind! Aber das konnte ich damals nicht wissen, trotzdem wü rgte es mich regelrecht in der Kehle, als ich sah, wie sie einfach im Gedrä nge unterging. Ich hatte sie gern. Nur so viel wuß te ich. Im Sonderzug nach Paris hä tte ich nochmals durch alle Wagen gehen kö nnen. Wozu? Wir hatten Abschied genommen.

In Paris versuchte ich sofort, Williams anzurufen, um wenigstens mü ndlich meinen Rapport zu geben; er sagte Gutentag (Hello) und hatte keine Zeit, meine Erklä rung anzuhö ren. Ich fragte mich, ob irgend etwas los ist... Paris war wie ü blich, eine Woche voll Konferenzen, ich wohnte wie ü blich am Quai Voltaire, hatte wieder mein Zimmer mit Blick auf die Seine und auf diesen Louvre, den ich noch nie besucht hatte, gerade gegenü ber.

Williams war merkwü rdig —

»It's okay«, sagte er,»it's okay«, immer wieder, wä hrend ich Rechenschaft ablegte wegen meiner kurzen Guatemala-Reise, die ja, wie sich in Caracas herausgestellt hatte, keinerlei Verzö gerung bedeutete, da unsere Turbinen noch gar nicht zur Montage bereit waren, ganz abgesehen davon, daß ich ja zu den Konferenzen hier in Paris, die das wichtigste Ereignis dieses Monats darstellten, rechtzeitig eingetroffen war.»It's okay«, sagte er, noch als ich von dem scheuß lichen Selbstmord meines Jugendfreundes berichtete.»It's okay«, und zum Schluß sagte er:»What about some holidays, Walter? «

Ich begriff ihn nicht.

»What about some holidays? «sagte er,»You're looking like —«

Wir wurden unterbrochen.

»This is Mr. Faber, this is —«

Ob Williams es ü belnahm, daß ich nicht geflogen, sondern ausnahmsweise einmal mit dem Schiff gekommen war, weiß ich nicht; seine Anspielung, ich hä tte Ferien sehr nö tig, konnte ja nur ironisch gemeint sein, denn ich war sonnengebrä unt wie noch selten, nach der Esserei an Bord auch weniger hager als sonst, dazu sonnengebrä unt —

Williams war merkwü rdig.

Spä ter, nach der Konferenz, ging ich in ein Restaurant, das ich nicht kannte, allein und verstimmt, wenn ich an Williams dachte. Er war sonst nicht kleinlich. Meinte er vielleicht, ich habe in Guatemala oder sonstwo auf der Strecke ein biß chen love-affair gemacht? Sein Lä cheln krä nkte mich, da ich in beruflichen Dingen, wie erwä hnt, die Gewissenhaftigkeit in Person bin; noch nie — und das wuß te Williams genau! — bin ich wegen einer Frau auch nur eine halbe Stunde spä ter zur Konferenz gekommen. Das gab es einfach nicht bei mir. Vor allem aber verstimmte mich, daß mich sein Miß trauen oder was es nun war, wenn er immerzu sagte: It's okay! ü berhaupt beschä ftigte, derart, daß der Kellner mich auch noch wie einen Idioten behandelte.

»Beaune, Monsieur, c'est un vin rouge.«

»It's okay«, sagte ich.

»Du vin rouge«, sagte er,»du vin rouge — avec des poissons? «

Ich hatte einfach vergessen, was ich bestellt habe, ich hatte anderes im Kopf; kein Grund, deswegen einen roten Kopf zu bekommen — ich war wü tend, wie dieser Kellner (als bediene er einen Barbar) mich unsicher machte. Ich habe schließ lich nicht nö tig, Minderwertigkeitsgefü hle zu haben, ich leiste meine Arbeit, es ist nicht mein Ehrgeiz, ein Erfinder zu sein, aber so viel wie ein Baptist aus Ohio, der sich ü ber die Ingenieure lustig macht, leiste ich auch, ich glaube: was unsereiner leistet, das ist nü tzlicher, ich leite Montagen, wo es in die Millionen geht, und hatte schon ganze Kraftwerke unter mir, habe in Persien gewirkt und in Afrika (Liberia) und Panama, Venezuela, Peru, ich bin nicht hinterm Mond daheim — wie dieser Kellner offenbar meinte.

»Voilà, Monsieur! —«

Das Theater, wenn sie die Flasche zeigen, dann entkorken, dann einen Probeschluck einfü llen — fragen:

»II est bon? «

Ich hasse Minderwertigkeitsgefü hle.

»It's okay«, sagte ich und ließ mich nicht einschü chtern, ich bemerkte genau den Zapfengeruch, aber wollte keine Debatte,»it's okay.«

Ich hatte andres im Kopf.

Ich war der einzige Gast, weil noch frü h am Abend, und was mich irritierte, war lediglich der Spiegel gegenü ber, Spiegel im Goldrahmen. Ich sah mich, sooft ich aufblickte, sozusagen als Ahnenbild: Walter Faber, wie er Salat iß t, in Goldrahmen. Ich hatte Ringe unter den Augen, nichts weiter, im ü brigen war ich sonnengebrä unt, wie gesagt, lange nicht so hager wie ü blich, im Gegenteil, ich sah ausgezeichnet aus. Ich bin nun einmal (das wuß te ich auch ohne Spiegel) ein Mann in den besten Jahren, grau, aber sportlich. Ich halte nichts von schö nen Mä nnern. Daß meine Nase

etwas lang ist, hat mich in der Pubertä t beschä ftigt, seither nicht mehr; seither hat es genug Frauen gegeben, die mich von falschen Minderwertigkeitsgefü hlen befreit haben, und was mich irritierte, war einzig und allein dieses Lokal: wo man hinblickte, gab es Spiegel, ekelhaft, dazu die endlose Warterei auf meinen Fisch. Ich reklamierte entschieden, zwar hatte ich Zeit, aber das Gefü hl, daß die Kellner mich nicht ernstnehmen, ich weiß nicht warum, ein leeres Etablissement mit fü nf Kellnern, die miteinander flü stern, und ein einziger Gast: Walter Faber, der Brot verkrü melt, in Goldrahmen, wohin ich auch blickte; mein Fisch, als er endlich kam, war ausgezeichnet, aber schmeckte mir ü berhaupt nicht, ich weiß nicht, was mit mir los war.

»You are looking like —«

Nur wegen dieser blö den Bemerkung von Williams (dabei mag er mich, das weiß ich!) blickte ich immer wieder, statt meinen Fisch zu essen, in diese lä cherlichen Spiegel, die mich insgesamt in achtfacher Ausfertigung zeigten:

Natü rlich wird man ä lter —

Natü rlich bekommt man bald eine Glatze —

Ich bin nicht gewohnt, zu Ä rzten zu gehen, nie in meinem Leben krank gewesen, abgesehen vom Blinddarm —ich blickte in die Spiegel, bloß weil Williams gesagt hatte: What about some holidays, Walter? Dabei war ich sonnengebrä unt wie noch selten. In den Augen eines jungen Mä dchens, das Stewardeß werden mö chte, war ich ein gesetzter Herr, mag sein, jedoch nicht lebensmü de, im Gegenteil, ich vergaß sogar, in Paris zu einem Arzt zu gehen, wie ich es mir eigentlich vorgenommen hatte —

Ich fü hlte mich vollkommen normal.

Anderntags (Sonntag) ging ich in den Louvre, aber von einem Mä dchen mit rö tlichem Roß schwanz war nichts zu sehen, dabei verweilte ich eine volle Stunde in diesem Louvre.

Meine erste Erfahrung mit einer Frau, die allererste, habe ich eigentlich vergessen, das heiß t, ich erinnere mich ü berhaupt nicht daran, wenn ich nicht will. Sie war die Gattin meines Lehrers, der mich damals, kurz vor meiner Maturitä t, ü ber einige Wochenenden zu sich ins Haus nahm; ich half ihm bei den Korrekturen einer Neuauflage seines Lehrbuches, um etwas zu verdienen. Mein sehnlichster Wunsch war ein Motorrad, eine Occasion, das Vehikel konnte noch so alt sein, wenn es nur lief. Ich muß te Figuren zeichnen, Lehrsatz des Pythagoras und so, in Tusche, weil ich in Mathematik und Geometrie der beste Schü ler war. Seine Gattin war natü rlich, von meinem damaligen Alter aus gesehen, eine gesetzte Dame, vierzig, glaube ich, lungenkrank, und wenn sie meinen Bubenkö rper kü ß te, kam sie mir wie eine Irre vor oder wie eine Hü ndin; dabei nannte ich sie nach wie vor Frau Professor. Das war absurd. Ich vergaß es von Mal zu Mal; nur wenn mein Lehrer ins Klassenzimmer trat und die Hefte aufs Pult legte, ohne etwas zu sagen, hatte ich Angst, er habe es erfahren, und die ganze Welt werde es erfahren. Meistens war ich der erste, den er aufrief, wenn es ans Verteilen der Hefte ging, und man muß te vor die Klasse treten — als der einzige, der keinen einzigen Fehler gemacht hat. Sie starb noch im gleichen Sommer, und ich vergaß es, wie man Wasser vergiß t, das man irgendwo im Durst getrunken hat. Natü rlich kam ich mir schlecht vor, weil ich es vergaß, und ich zwang mich, einmal im Monat an ihr Grab zu gehen; ich nahm ein paar Blumen aus meiner Mappe, wenn niemand es sah, und legte sie geschwind auf das Grab, das noch keinen Grabstein hatte, nur eine Nummer; dabei schä mte ich mich, weil ich jedesmal froh war, daß es vorbei ist. Nur mit Hanna ist es nie absurd gewesen.

Es war Frü hling, aber es schneite, als wir in den Tuilerien saß en, Schneegestö ber aus blauem Himmel; wir hatten uns fast eine Woche lang nicht gesehen, und sie war froh um unser Wiedersehen, schien mir, wegen der Zigaretten, sie war bankrott.

»Das habe ich Ihnen auch nie geglaubt«, sagte sie,»daß Sie nie in den Louvre gehen —«

»Jedenfalls selten.«

»Selten! «lachte sie.»Vorgestern schon habe ich Sie gesehen — unten bei den Antiken — und gestern auch.«

Sie war wirklich ein Kind, wenn auch Kettenraucherin, sie hielt es wirklich fü r Zufall, daß man sich in diesem Paris nochmals getroffen hatte. Sie trug wieder ihre schwarzen Hosen und ihre Espadrilles, dazu Kapuzenmantel, natü rlich keinerlei Hut, sondern nur ihren rö tlichen Roß schwanz, und es schneite, wie gesagt, sozusagen aus blauem Himmel.

»Haben Sie denn nicht kalt? «

»Nein«, sagte sie,»aber Sie! «

Um 16.00 Uhr hatte ich nochmals Konferenz —

»Trinken wir einen Kaffee? «sagte ich.

»Oh«, sagte sie,»sehr gerne.«

Als wir ü ber die Place de la Concorde gingen, gehetzt vom Pfiff eines Gendarmen, gab sie mir ihren Arm. Das hatte ich nicht erwartet. Wir muß ten rennen, da der Gendarm bereits seinen weiß en Stab hob, eine Meute von Autos startete auf uns los; auf dem Trottoir, Arm in Arm gerettet, stellte ich fest, daß ich meinen Hut verloren hatte —er lag drauß en im braunen Matsch, bereits von einem Pneu zerquetscht. Eh bien! sagte ich und ging Arm in Arm mit dem Mä dchen weiter, hutlos wie ein Jü ngling im Schneegestö ber.

Sabeth hatte Hunger.

Um mir nichts einzubilden, sagte ich mir, daß unser Wiedersehen sie freut, weil sie fast kein Geld mehr hat; sie futterte Patisserie, so daß sie kaum aufblicken konnte, kaum reden... Ihre Idee, mit Autostop nach Rom zu reisen, war ihr nicht auszureden; sie hatte sogar ein genaues Programm: Avignon, Nimes, Marseille nicht unbedingt, aber unbedingt Pisa, Firenze, Siena, Orvieto, Assisi und was weiß ich, sie hatte es an jenem Vormittag schon versucht, aber offenbar an der falschen Ausfallstraß e.

»Und Ihre Mama weiß das? «

Sie behauptete: ja.

»Ihre Mama macht sich keine Sorgen? «

Ich saß nur noch, weil ich zahlen muß te, zum Gehen bereit, meine Mappe auf das Knie gestü tzt; gerade jetzt, wo Williams so merkwü rdig tat, wollte ich nicht zu spä t zur Konferenz kommen.

»Natü rlich macht sie sich Sorgen«, sagte das Mä dchen, wä hrend sie das letzte Restchen ihrer Patisserie zusammenlö ffelte, nur durch Erziehung daran verhindert, ihren Teller auch noch mit der Zunge zu lecken, und lachte,»Mama macht sich immer Sorgen —«

Spä ter sagte sie:

»Ich habe ihr versprechen mü ssen, daß ich nicht mit jedermann fahre — aber das ist ja klar, ich bin ja nicht blö d.«

Ich hatte unterdessen bezahlt.

»Ich danke Ihnen«, sagte sie.

Ich wagte nicht zu fragen: Was machen Sie denn heute abend? Ich wuß te immer weniger, was fü r ein Mä dchen sie eigentlich war. Unbekü mmert in welchem Sinn? Vielleicht ließ sie sich wirklich von jedem Mann einladen, eine Vorstellung, die mich nicht entrü stete, aber eifersü chtig machte, geradezu sentimental.

»Ob wir uns nochmals sehen«? fragte ich und fü gte sofort hinzu:»Wenn nicht, dann wü nsche ich Ihnen alles Gute —«

Ich muß te wirklich gehen.

»Sie bleiben noch hier? «

»Ja«, sagte sie,»ich habe ja Zeit —«

Ich stand bereits.

»Wenn Sie Zeit haben«, sagte ich,»mir einen Gefallen zu erweisen —«

Ich suchte meinen verlorenen Hut.

»Ich wollte in die Opé ra«, sagte ich,»aber ich habe noch keine Karten —«

Ich staunte selbst ü ber meine Geistesgegenwart, ich war noch nie in der Opé ra gewesen, versteht sich, aber Sabeth mit ihrer Menschenkenntnis zweifelte nicht eine Sekunde, obschon ich nicht wuß te, was in der Opé ra gegeben wurde, und nahm das Geld fü r die Karten, bereit, mir einen Gefallen zu erweisen.

»Wenn Sie auch Lust haben«, sagte ich,»nehmen Sie zwei, und wir treffen uns um sieben Uhr — hier.«

»Zwei? «

»Es soll groß artig sein! «

Das hatte ich von Mrs. Williams gehö rt.

»Mister Faber«, sagte sie,»das kann ich aber nicht annehmen —«

Zur Konferenz kam ich verspä tet.

Ich hatte Professor O. wirklich nicht erkannt, wie er da plö tzlich vor mir steht: Wohin denn so eilig, Faber, wohin denn? Sein Gesicht ist nicht einmal bleich, aber vollkommen verä ndert; ich weiß nur: Dieses Gesicht kenne ich. Sein Lachen kenne ich, aber woher? Er muß es gemerkt haben. Kennen Sie mich denn nicht mehr? Sein Lachen ist grä ß lich geworden. Jaja, lacht er, ich habe etwas durchgemacht! Sein Gesicht ist kein Gesicht mehr, sondern ein Schä del mit Haut drü ber, sogar mit Muskeln, die eine Mimik machen, und die Mimik erinnert mich an Professor O., aber es ist ein Schä del, sein Lachen viel zu groß, es entstellt sein Gesicht, viel zu groß im Verhä ltnis zu den Augen, die weit hinten liegen. Herr Professor! sage ich und muß aufpassen, daß ich nicht sage: Ich weiß, man sagte es mir, daß Sie gestorben sind. Statt dessen: Wie geht's denn immer? Er ist nie so herzlich gewesen, ich habe ihn geschä tzt, aber so herzlich wie jetzt, da ich die Taxi-Tü re halte, ist er nie gewesen. Frü hling in Paris! lacht er, und es ist nicht einzusehen, warum er immer lacht, ich kenne ihn als Professor der ETH und nicht als Clown, aber sobald er den Mund aufmacht, sieht es aus wie Lachen. Jaja, lacht er, jetzt geht's wieder besser! Dabei lacht er nä mlich gar nicht, sowenig wie ein Totenschä del lacht, es wirkt nur so, und ich entschuldige mich, daß ich ihn in der Eile nicht sofort erkannt habe. Er hat einen Bauch, was er nie gehabt hat, einen Ballon von Bauch, der unter den Rippen hervorquillt, alles andere ist mager, seine Haut wie Leder oder wie Lehm, seine Augen lebhaft, aber weit hinten. Ich erzä hle irgend etwas. Seine Ohren stehen ab. Wohin denn so eilig? lacht er und fragt mich, ob ich nicht zu einem Apé ro komme. Auch seine Herzlichkeit, wie gesagt, ist viel zu groß; er ist mein Professor gewesen damals in Zü rich, ich habe ihn geschä tzt, aber ich habe wirklich keine Zeit fü r einen Apé ro. Lieber Herr Professor! Das habe ich sonst nie gesagt. Lieber Herr Professor! sage ich, weil er mich am Arm faß t, und weiß, was jedermann weiß; aber er, scheint es, weiß es nicht. Er lacht. Dann halt ein andermal! sagt er, und ich weiß genau, daß dieser Mann eigentlich schon gestorben ist, und sage: Gerne! und steige in meinen Taxi —

Die Konferenz ging mich nichts an.

Professor O. ist fü r mich immer eine Art Vorbild gewesen, obschon kein Nobelpreisträ ger, keiner von den Professoren der ETH Zü rich, die Weltruhm genieß en, immerhin ein seriö ser Fachmann — Ich werde nie vergessen, wie wir in weiß en Zeichenmä nteln, Studenten, um ihn herumstehen und lachen ü ber seine Offenbarung: Eine Hochzeitsreise (so sagte er immer) genü gt vollkommen, nachher finden Sie alles Wichtige in Publikationen, lernen Sie fremde Sprachen, meine Herren, aber Reisen, meine Herren, ist mittelalterlich, wir haben heute schon Mittel der Kommunikation, geschweige denn morgen und ü bermorgen, Mittel der Kommunikation, die uns die Welt ins Haus liefern, es ist ein Atavismus, von einem Ort zum andern zu fahren. Sie lachen, meine Herren, aber es ist so, Reisen ist ein Atavismus, es wird kommen der Tag, da es ü berhaupt keinen Verkehr mehr gibt, und nur noch die Hochzeitspaare werden mit einer Droschke durch die Welt fahren, sonst kein Mensch — Sie lachen, meine Herren, aber Sie werden es noch erleben!

Plö tzlich stand er in Paris.

Vielleicht hat er darum immerzu gelacht. Vielleicht stimmt's gar nicht, daß er (wie es hieß) Magenkrebs hat, und er lacht, weil seit zwei Jahren jedermann sagt, daß die Ä rzte ihm keine zwei Monate mehr geben, er lacht ü ber uns; er ist so sicher, daß wir uns ein andermal sehen —

Die Konferenz dauerte knapp zwei Stunden.

»Williams«, sagte ich,»I changed my mind.«

»What's the matter? «

»Well, I changed my mind —«

Williams fuhr mich zu meinem Hotel, wä hrend ich darlegte, daß ich doch daran denke, ein biß chen auszusetzen, ein biß chen Ferien zu machen, frü hlingshalber, zwei Wochen oder so, eine kleine Reise (trip) nach Avignon und Pisa, Florenz, Rom, war er keineswegs merkwü rdig, im Gegenteil, Williams war groß artig wie je: sofort bot er seinen Citroë n an, da er anderntags nach New York flog.

»Walter«, sagte er,»have a nice time! «

Ich rasierte mich und kleidete mich um. Fü r den Fall, daß es mit der Opé ra klappen sollte. Ich war viel zu frü h, obschon ich zu Fuß in die Champs Elysees ging. Ich setzte mich ü brigens in ein Café nebenan. Glasveranda mit Infra-Heizung, und hatte noch kaum meinen Pernod bekommen, als das fremde Mä dchen mit dem Roß schwanz vorbeiging, ohne mich zu sehen, ebenfalls viel zu frü h, ich hä tte sie rufen kö nnen —

Sie setzte sich ins Café.

Ich war glü cklich und trank meinen Pernod, ohne zu eilen, ich beobachtete sie durchs Glas der Veranda, wie sie bestellte, wie sie wartete, wie sie rauchte und einmal auf die Uhr blickte. Sie trug den schwarzen Kapuzenmantel mit den Hö lzchen und Schnü ren, darunter ihr blaues Abendkleidchen, bereit fü r die Opé ra, eine junge Dame, die ihr Rouge prü ft. Sie trank Citron-pressé. Ich war glü cklich wie noch nie in diesem Paris und wartete auf den Kellner, um zu zahlen, um gehen zu kö nnen — hinü ber zu dem Mä dchen, das auf mich wartet! — dabei war ich fast froh, daß der Kellner mich immer wieder warten ließ, obschon ich protestierte; ich konnte nie glü cklicher sein als jetzt.

 

Seit ich weiß, wie alles gekommen ist, vor allem angesichts der Tatsache, daß das junge Mä dchen, das mich in die Pariser Opé ra begleitete, dasselbe Kind gewesen ist, das wir beide (Hanna auch) mit Rü cksicht auf unsere persö nlichen Umstä nde, ganz abgesehen von der politischen Weltlage damals, nicht hatten haben wollen, habe ich mit mehreren und verschiedenartigen Leuten darü ber gesprochen, wie sie sich zur Schwangerschaftsunterbrechung stellen, und dabei festgestellt, daß sie (wenn man es grundsä tzlich betrachtet) meine Ansicht teilen. Schwangerschaftsunterbrechung ist heutzutage eine Selbstverstä ndlichkeit. Grundsä tzlich betrachtet: Wo kä men wir hin ohne Schwangerschaftsunterbrechungen? Fortschritt in Medizin und Technik nö tigen gerade den verantwortungsbewuß ten Menschen zu neuen Maß nahmen. Verdreifachung der Menschheit in einem Jahrhundert. Frü her keine Hygiene. Zeugen und gebä ren und im ersten Jahr sterben lassen, wie es der Natur gefä llt, das ist primitiver, aber nicht ethischer. Kampf gegen das Kindbettfieber. Kaiserschnitt. Brutkasten fü r Frü hgeburten. Wir nehmen das Leben ernster als frü her. Johann Sebastian Bach hatte dreizehn Kinder (oder so etwas) in die Welt gestellt, und davon lebten nicht 50%. Menschen sind keine Kaninchen, Konsequenz des Fortschritts: wir haben die Sache selbst zu regeln. Die drohende Ü berbevö lkerung unserer Erde. Mein Oberarzt war in Nordafrika, er sagt wö rtlich: Wenn die Araber eines Tages dazu kommen, ihre Notdurft nicht rings um ihr Haus zu verrichten, so ist mit einer Verdoppelung der arabischen Bevö lkerung innerhalb von zwanzig Jahren zu rechnen. Wie die Natur es ü berall macht: Ü berproduktion, um die Erhaltung der Art sicherzustellen. Wir haben andere Mittel, um die Erhaltung der Art sicherzustellen. Heiligkeit des Lebens! Die natü rliche Ü berproduktion (wenn wir drauflosgebä ren wie die Tiere) wird zur Katastrophe; nicht Erhaltung der Art, sondern Vernichtung der Art. Wieviel Menschen ernä hrt die Erde? Steigerung ist mö glich, Aufgabe der Unesco: Industrialisierung der unterentwickelten Gebiete, aber die Steigerung ist nicht unbegrenzt. Politik vor ganz neuen Problemen. Ein Blick auf die Statistik: Rü ckgang der Tuberkulose beispielsweise, Erfolg der Prophylaxe, Rü ckgang von 30% auf 8%. Der liebe Gott! Er machte es mit Seuchen; wir haben ihm die Seuchen aus der Hand genommen. Folge davon: wir mü ssen ihm auch die Fortpflanzung aus der Hand nehmen. Kein Anlaß zu Gewissensbissen, im Gegenteil: Wü rde des Menschen, vernü nftig zu handeln und selbst zu entscheiden. Wenn nicht, so ersetzen wir die Seuchen durch Krieg. Schluß mit Romantik. Wer die Schwangerschaftsunterbrechung grundsä tzlich ablehnt, ist romantisch und unverantwortlich. Es sollte nicht aus Leichtsinn geschehen, das ist klar, aber grundsä tzlich: wir mü ssen den Tatsachen ins Auge sehen, beispielsweise der Tatsache, daß die Existenz der Menschheit nicht zuletzt eine Rohstoff-Frage ist. Unfug der staatlichen Geburtenfö rderung in faschistischen Lä ndern, aber auch in Frankreich. Frage des Lebensraumes. Nicht zu vergessen die Automation: wir brauchen gar nicht mehr so viele Leute. Es wä re gescheiter, Lebensstandard zu heben. Alles andere fü hrt zum Krieg und zur totalen Vernichtung. Unwissenheit, Unsachlichkeit noch immer sehr verbreitet. Es sind immer die Moralisten, die das meiste Unheil anrichten. Schwangerschaftsunterbrechung: eine Konsequenz der Kultur, nur der Dschungel gebä rt und verwest, wie die Natur will. Der Mensch plant. Viel Unglü ck aus Romantik, die Unmenge katastrophaler Ehen, die aus bloß er Angst vor Schwangerschaftsunterbrechung geschlossen werden heute noch. Unterschied zwischen Verhü tung und Eingriff? In jedem Fall ist es ein menschlicher Wille, kein Kind zu haben. Wieviele Kinder sind wirklich gewollt? Etwas anderes ist es, daß die Frau eher will, wenn es einmal da ist, Automatismus der Instinkte, sie vergiß t, daß sie es hat vermeiden wollen, dazu das Gefü hl der Macht gegenü ber dem Mann, Mutterschaft als wirtschaftliches Kampfmittel der Frau. Was heiß t Schicksal? Es ist lä cherlich, Schicksal abzuleiten aus mechanisch-physiologischen Zufä llen, es ist eines modernen Menschen nicht wü rdig. Kinder sind etwas, was wir wollen, beziehungsweise nicht wollen. Schä digung der Frau? Physiologisch jedenfalls nicht, wenn nicht Eingriff durch Pfuscher; psychisch nur insofern, als die betroffene Person von moralischen oder religiö sen Vorstellungen beherrscht wird. Was wir ablehnen: Natur als Gö tze! Dann mü ß te man schon konsequent sein: dann auch kein Penicillin, keine Blitzableiter, keine Brille, kein DDT, kein Radar und so weiter. Wir leben technisch, der Mensch als Beherrscher der Natur, der Mensch als Ingenieur, und wer dagegen redet, der soll auch keine Brü cke benutzen, die nicht die Natur gebaut hat. Dann mü ß te man schon konsequent sein und jeden Eingriff ablehnen, das heiß t: sterben an jeder Blinddarmentzü ndung. Weil Schicksal! Dann auch keine Glü hbirne, keinen Motor, keine Atom-Energie, keine Rechenmaschine, keine Narkose — dann los in den Dschungel!

 

Unsere Reise durch Italien — ich kann nur sagen, daß ich glü cklich gewesen bin, weil auch das Mä dchen, glaube ich, glü cklich gewesen ist trotz Altersunterschied.

Ihr Spott ü ber die jungen Herren:

»Buben! «sagte sie.»Das kannst du dir ja nicht vorstellen — man kommt sich wie ihre Mutter vor, und das ist furchtbar! «

Wir hatten fantastisches Wetter.






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