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Homo Faber






Max Frisch

 

Ein Bericht

 

(1955/57)

 

Текст для мультиязыкого проекта www.franklang.ru сканировал и проверил Илья Франк

 

Erste Station

 

Wir starteten in La Guardia, New York, mit dreistü ndiger Verspä tung infolge Schneestü rmen. Unsere Maschine war, wie ü blich auf dieser Strecke, eine Super-Constellation. Ich richtete mich sofort zum Schlafen, es war Nacht. Wir warteten noch weitere vierzig Minuten drauß en auf der Piste, Schnee vor den Scheinwerfern, Pulverschnee, Wirbel ü ber der Piste, und was mich nervö s machte, so daß ich nicht sogleich schlief, war nicht die Zeitung, die unsere Stewardeß verteilte, First Pictures Of World's Greatest Air Crash In Nevada, eine Neuigkeit, die ich schon am Mittag gelesen hatte, sondern einzig und allein diese Vibration in der stehenden Maschine mit laufenden Motoren — dazu der junge Deutsche neben mir, der mir sogleich auffiel, ich weiß nicht wieso, er fiel auf, wenn er den Mantel auszog, wenn er sich setzte und sich die Bü gelfalten zog, wenn er ü berhaupt nichts tat, sondern auf den Start wartete wie wir alle und einfach im Sessel saß, ein Blonder mit rosiger Haut, der sich sofort vorstellte, noch bevor man die Gü rtel geschnallt hatte. Seinen Namen hatte ich ü berhö rt, die Motoren drö hnten, einer nach dem andern auf Vollgasprobe —

Ich war todmü de.

Ivy hatte drei Stunden lang, wä hrend wir auf die verspä tete Maschine warteten, auf mich eingeschwatzt, obschon sie wuß te, daß ich grundsä tzlich nicht heirate.

Ich war froh, allein zu sein.

Endlich ging's los —

Ich habe einen Start bei solchem Schneetreiben noch nie erlebt, kaum hatte sich unser Fahrgestell von der weiß en Piste gehoben, war von den gelben Bodenlichtern nichts mehr zu sehen, kein Schimmer, spä ter nicht einmal ein Schimmer von Manhattan, so schneite es. Ich sah nur das grü ne Blinklicht an unsrer Tragflä che, die heftig schwankte, zeitweise wippte; fü r Sekunden verschwand sogar dieses grü ne Blinklicht im Nebel, man kam sich wie ein Blinder vor.

Rauchen gestattet.

Er kam aus Dü sseldorf, mein Nachbar, und so jung war er auch wieder nicht, anfangs Dreiß ig, immerhin jü nger als ich; er reiste, wie er mich sofort unterrichtete, nach Guatemala, geschä ftlich, soviel ich verstand —

Wir hatten ziemliche Bö en.

Er bot mir Zigaretten an, mein Nachbar, aber ich bediente mich von meinen eignen, obschon ich nicht rauchen wollte, und dankte, nahm nochmals die Zeitung, meinerseits keinerlei Bedü rfnis nach Bekanntschaft. Ich war unhö flich, mag sein. Ich hatte eine strenge Woche hinter mir, kein Tag ohne Konferenz, ich wollte Ruhe haben, Menschen sind anstrengend. Spä ter nahm ich meine Akten aus der Mappe, um zu arbeiten; leider gab es gerade eine heiß e Bouillon, und der Deutsche (er hatte, als ich seinem schwachen Englisch entgegenkam mit Deutsch, sofort gemerkt, daß ich Schweizer bin) war nicht mehr zu stoppen. Er redete ü ber Wetter, beziehungsweise ü ber Radar, wovon er wenig verstand; dann machte er, wie ü blich nach dem zweiten Weltkrieg; sofort auf europä ische Brü derschaft. Ich sagte wenig. Als man die Bouillon gelö ffelt hatte, blickte ich zum Fenster hinaus, obschon nichts andres zu sehen war als das grü ne Blinklicht drauß en an unsrer nassen Tragflä che, ab und zu Funkenregen wie ü blich, das rote Glü hen in der Motor-Haube. Wir stiegen noch immer —

Spä ter schlief ich ein.

Die Bö en ließ en nach.

Ich weiß nicht, warum er mir auf die Nerven ging, irgendwie kannte ich sein Gesicht, ein sehr deutsches Gesicht. Ich ü berlegte mit geschlossenen Augen, aber vergeblich. Ich versuchte, sein rosiges Gesicht zu vergessen, was mir gelang, und schlief etwa sechs Stunden, ü berarbeitet wie ich war — kaum war ich erwacht, ging er mir wieder auf die Nerven.

Er frü hstü ckte bereits.

Ich tat, als schliefe ich noch.

Wir befanden uns (ich sah es mit meinem rechten Auge) irgendwo ü ber dem Mississippi, flogen in groß er Hö he und vollkommen ruhig, unsere Propeller blinkten in der Morgensonne, die ü blichen Scheiben, man sieht sie und sieht hindurch, ebenso glä nzten die Tragflä chen, starr im leeren Raum, nichts von Schwingungen, wir lagen reglos in einem wolkenlosen Himmel, ein Flug wie hundert andere zuvor, die Motoren liefen in Ordnung.

» Guten Tag! «sagte er —

Ich grü ß te zurü ck.

»Gut geschlafen? «fragte er —

Man erkannte die Wasserzweige des Mississippi, wenn auch unter Dunst, Sonnenglanz drauf, Geriesel wie aus Messing oder Bronze; es war noch frü her Morgen, ich kenne die Strecke, ich schloß die Augen, um weiterzuschlafen.

Er las ein Heftlein, rororo.

Es hatte keinen Zweck, die Augen zu schließ en, ich war einfach wach, und mein Nachbar beschä ftigte mich ja doch, ich sah ihn sozusagen mit geschlossenen Augen. Ich bestellte mein Frü hstü ck... Er war zum ersten Mal in den Staaten, wie vermutet, dabei mit seinem Urteil schon fix und fertig, wobei er das eine und andere (im ganzen fand er die Amerikaner kulturlos) trotzdem anerkennen muß te, beispielsweise die Deutschfreundlichkeit der meisten Amerikaner.

Ich widersprach nicht.

Kein Deutscher wü nsche Wiederbewaffnung, aber der Russe zwinge Amerika dazu, Tragik, ich als Schweizer (Schwyzzer, wie er mit Vorliebe sagte) kö nne alldies nicht beurteilen, weil nie im Kaukasus gewesen, er sei im Kaukasus gewesen, er kenne den Iwan, der nur durch Waffen zu belehren sei. Er kenne den Iwan! Das sagte er mehrmals. Nur durch Waffen zu belehren! sagte er, denn alles andere mache ihm keinen Eindruck, dem Iwan —

Ich schä lte meinen Apfel.

Unterscheidung nach Herrenmenschen und Untermenschen, wie's der gute Hitler meinte, sei natü rlich Unsinn; aber Asiaten bleiben Asiaten —

Ich aß meinen Apfel.

Ich nahm meinen elektrischen Rasierapparat aus der Mappe, um mich zu rasieren, beziehungsweise um eine Viertelstunde allein zu sein, ich mag die Deutschen nicht, obschon Joachim, mein Freund, auch Deutscher gewesen ist... In der Toilette ü berlegte ich mir, ob ich mich nicht anderswohin setzen kö nnte, ich hatte einfach kein Bedü rfnis, diesen Herrn nä her kennenzulernen, und bis Mexico-City, wo mein Nachbar umsteigen muß te, dauerte es noch mindestens vier Stunden. Ich war entschlossen, mich anderswohin zu setzen; es gab noch freie Sitze. Als ich in die Kabine zurü ckkehrte, rasiert, so daß ich mich freier fü hlte, sicherer — ich vertrage es nicht, unrasiert zu sein — hatte er sich gestattet, meine Akten vom Boden aufzuheben, damit niemand drauf tritt, und ü berreichte sie mir, seinerseits die Hö flichkeit in Person. Ich bedankte mich, indem ich die Akten in meine Mappe versorgte, etwas zu herzlich, scheint es, denn er benutzte meinen Dank sofort, um weitere Fragen zu stellen.

Ob ich fü r die Unesco arbeite?

Ich spü rte den Magen — wie ö fter in der letzten Zeit, nicht schlimm, nicht schmerzhaft, ich spü rte nur, daß man einen Magen hat, ein blö des Gefü hl. Vielleicht war ich drum so unausstehlich. Ich setzte mich an meinen Platz und berichtete, um nicht unausstehlich zu sein, von meiner Tä tigkeit, technische Hilfe fü r unterentwickelte Vö lker, ich kann darü ber sprechen, wä hrend ich ganz andres denke. Ich weiß nicht, was ich dachte. Die Unesco, scheint es, machte ihm Eindruck, wie alles Internationale, er behandelte mich nicht mehr als Schwyzzer, sondern hö rte zu, als sei man eine Autoritä t, geradezu ehrfü rchtig, interessiert bis zur Unterwü rfigkeit, was nicht hinderte, daß er mir auf die Nerven ging.

Ich war froh um die Zwischenlandung.

Im Augenblick, als wir die Maschine verließ en und vor dem Zoll uns trennten, wuß te ich, was ich vorher gedacht hatte: Sein Gesicht (rosig und dicklich, wie Joachim nie gewesen ist) erinnerte mich doch an Joachim. —

Ich vergaß es wieder.

Das war in Houston, Texas.

Nach dem Zoll, nach der ü blichen Schererei mit meiner Kamera, die mich schon um die halbe Welt begleitet hat, ging ich in die Bar, um einen Drink zu haben, bemerkte aber, daß mein Dü sseldorfer bereits in der Bar saß, sogar einen Hocker freihielt — vermutlich fü r mich! — und ging gradaus in die Toilette hinunter, wo ich mir, da ich nichts anderes zu tun hatte, die Hä nde wusch.

Aufenthalt: 20 Minuten.

Mein Gesicht im Spiegel, wä hrend ich Minuten lang die Hä nde wasche, dann trockne: weiß wie Wachs, mein Gesicht, beziehungsweise grau und gelblich mit violetten Adern darin, scheuß lich wie eine Leiche. Ich vermutete, es kommt vom Neon-Licht, und trocknete meine Hä nde, die ebenso gelblich-violett sind, dann der ü bliche Lautsprecher, der alle Rä ume bedient, somit auch das Untergeschoß: Your attention please, your attention please! Ich wuß te nicht, was los ist. Meine Hä nde schwitzten, obschon es in dieser Toilette geradezu kalt ist, drauß en ist es heiß. Ich weiß nur soviel: — Als ich wieder zu mir kam, kniete die dicke Negerin neben mir, Putzerin, die ich vorher nicht bemerkt hatte, jetzt in nä chster Nä he, ich sah ihr Riesenmaul mit den schwarzen Lippen, das Rosa ihres Zahnfleisches, ich hö rte den hallenden Lautsprecher, wä hrend ich noch auf allen vieren war —

Plane is ready for departure.

Zweimal:

Plane is ready for departure.

Ich kenne diese Lautsprecherei.

All passengers for Mexico-Guatemala-Panama, dazwischen Motorenlä rm, kindly requested, Motorenlä rm, gate number five, thank you.

Ich erhob mich.

Die Negerin kniete noch immer —

Ich schwor mir, nie wieder zu rauchen, und versuchte, mein Gesicht unter die Rö hre zu halten, was nicht zu machen war wegen der Schü ssel, es war ein Schweiß anfall, nichts weiter, Schweiß anfall mit Schwindel.

Your attention please

Ich fü hlte mich sofort wohler.

Passenger Faber, passenger Faber!

Das war ich.

Please to the information-desk.

Ich hö rte es, ich tauchte mein Gesicht in die ö ffentliche Schü ssel, ich hoffte, daß sie ohne mich weiterfliegen, das Wasser war kaum kä lter als mein Schweiß, ich begriff nicht, wieso die Negerin plö tzlich lachte — es schü ttelte ihre Brust wie einen Pudding, so muß te sie lachen, ihr Riesenmaul, ihr Kruselhaar, ihre weiß en und schwarzen Augen, Groß aufnahme aus Afrika, dann neuerdings: Plane is ready for departure. Ich trocknete mein Gesicht mit dem Taschentuch, wä hrend die Negerin an meinen Hosen herumwischte. Ich kä mmte mich sogar, bloß um Zeit zu verlieren, der Lautsprecher gab Meldung um Meldung, Ankü nfte, Abflü ge, dann nochmals:

Passenger Faber, passenger Faber

Sie weigerte sich, Geld anzunehmen, es wä re ein Vergnü gen (pleasure) fü r sie, daß ich lebe, daß der Lord ihr Gebet erhö rt habe, ich hatte ihr die Note einfach hingelegt, aber sie folgte mir noch auf die Treppe, wo sie als Negerin nicht weitergehen durfte, und zwang mir die Note in die Hand.

In der Bar war es leer —

Ich rutschte mich auf einen Hocker, zü ndete mir eine Zigarette an, schaute zu, wie der Barmann die ü bliche Olive ins kalte Glas wirft, dann aufgieß t, die ü bliche Geste: mit dem Daumen hä lt er das Sieb vor dem silbernen Mischbecher, damit kein Eis ins Glas plumpst, und ich legte meine Note hin, drauß en rollte eine Super-Constellation vorbei und auf die Piste hinaus, um zu starten. Ohne mich! Ich trank meinen Martini-Dry, als wieder der Lautsprecher mit seinem Knarren einsetzte: Your attention please! Eine Weile hö rte man nichts, drauß en brü llten gerade die Motoren der startenden Super-Constellation, die mit dem ü blichen Drö hnen ü ber uns hinwegflog — dann neuerdings:

Passenger Faber, passenger Faber

Niemand konnte wissen, daß ich gemeint war, und ich sagte mir, lange kö nnen sie nicht mehr warten — ich ging aufs Observation-Dach, um unsere Maschine zu sehen. Sie stand, wie es schien, zum Start bereit; die Shell-Tanker waren weg, aber die Propeller liefen nicht. Ich atmete auf, als ich das Rudel unsrer Passagiere ü ber das leere Feld gehen sah, um einzusteigen, mein Dü sseldorfer ziemlich voran. Ich wartete auf das Anspringen der Propeller, der Lautsprecher hallte und schepperte auch hier:

Please to the information-desk!

Aber es geht mich nicht an.

Miß Sherbon, Mr. and Mrs. Rosenthal

Ich wartete und wartete, die vier Propellerkreuze blieben einfach starr, ich hielt sie nicht aus, diese Warterei auf meine Person, und begab mich neuerdings ins Untergeschoß, wo ich mich hinter der geriegelten Tü r eines Cabinets versteckte, als es nochmals kam:

Passenger Faber, passenger Faber.

Es war eine Frauenstimme, ich schwitzte wieder und muß te mich setzen, damit mir nicht schwindlig wurde, man konnte meine Fü ß e sehen.

This is our last call.

Zweimal: This is our last call.

Ich weiß nicht, wieso ich mich eigentlich versteckte. Ich schä mte mich; es ist sonst nicht meine Art, der letzte zu sein. Ich blieb in meinem Versteck, bis ich festgestellt hatte, daß der Lautsprecher mich aufgab, mindestens zehn Minuten. Ich hatte einfach keine Lust weiterzufliegen. Ich wartete hinter der geriegelten Tü r, bis man das Donnern einer startenden Maschine gehö rt hatte — eine Super-Constellation, ich kenne ihren Ton! — dann rieb ich mein Gesicht, um nicht durch Blä sse aufzufallen, und verließ das Cabinet wie irgendeiner, ich pfiff vor mich hin, ich stand in der Halle und kaufte irgendeine Zeitung, ich hatte keine Ahnung, was ich in diesem Houston, Texas, anfangen sollte. Es war merkwü rdig; plö tzlich ging es ohne mich! Ich horchte jedes Mal, wenn der Lautsprecher ertö nte — dann ging ich, um etwas zu tun, zur Western Union: um eine Depesche aufzugeben, betreffend mein Gepä ck, das ohne mich nach Mexico flog, ferner eine Depesche nach Caracas, daß unsere Montage um vierundzwanzig Stunden verschoben werden sollte, ferner eine Depesche nach New York, ich steckte gerade meinen Kugelschreiber zurü ck, als unsere Stewardeß, die ü bliche Liste in der andern Hand, mich am Ellbogen faß te:

»There you are! «

Ich war sprachlos —

»We're late, Mister Faber, we're late! «

Ich folgte ihr, meine ü berflü ssigen Depeschen in der Hand, mit allerlei Ausreden, die nicht interessierten, hinaus zu unsrer Super-Constellation; ich ging wie einer, der vom Gefä ngnis ins Gericht gefü hrt wird — Blick auf den Boden beziehungsweise auf die Treppe, die sofort, kaum war ich in der Kabine, ausgeklinkt und weggefahren wurde.

»I’m sorry! «sagte ich,»I’m sorry.«

Die Passagiere, alle schon angeschnallt, drehten ihre Kö pfe, ohne ein Wort zu sagen, und mein Dü sseldorfer, den ich vergessen hatte, gab mir sofort den Fensterplatz wieder, geradezu besorgt: Was denn geschehen wä re? Ich sagte, meine Uhr sei stehengeblieben, und zog meine Uhr auf.

Start wie ü blich —

Das Nä chste, was mein Nachbar erzä hlte, war interessant — ü berhaupt fand ich ihn jetzt, da ich keine Magenbeschwerden mehr hatte, etwas sympathischer; er gab zu, daß die deutsche Zigarre noch nicht zur Weltklasse gehö rt, Voraussetzung einer guten Zigarre, sagte er, sei ein guter Tabak.

Er entfaltete eine Landkarte.

Die Plantage, die seine Firma auszubauen hoffte, lag allerdings, wie mir schien, am Ende der Welt, Staatsgebiet von Guatemala, von Flores nur mit Pferd zu erreichen, wä hrend man von Palenque (Staatsgebiet von Mexico) mit einem Jeep ohne weiteres hinkommt; sogar ein Nash, behauptete er, wä re schon durch diesen Dschungel gefahren.

Er selbst flog zum ersten Mal dahin.

Bevö lkerung: Indios.

Es interessierte mich, insofern ich ja auch mit der Nutzbarmachung unterentwickelter Gebiete beschä ftigt bin; wir waren uns einig, daß Straß en erstellt werden mü ssen, vielleicht sogar ein kleiner Flugplatz, alles nur eine Frage der Verbindungen, Einschiffungen in Puerto Barrios — Ein kü hnes Unternehmen, schien mir, jedoch nicht unvernü nftig, vielleicht wirklich die Zukunft der deutschen Zigarre.

Er faltete die Karte zusammen —

Ich wü nschte Glü ck.

Auf seiner Karte (1: 500000) war sowieso nichts zu erkennen, Niemandsland, weiß, zwei blaue Linien zwischen grü nen Staatsgrenzen, Flü sse, die einzigen Namen (rot, nur mit der Lupe zu lesen) bezeichneten Maya-Ruinen —

Ich wü nschte Glü ck.

Ein Bruder von ihm, der schon seit Monaten da unten lebte, hatte offenbar Mü he mit dem Klima, ich konnte es mir vorstellen, Flachland, tropisch, Feuchte der Regenzeit, die senkrechte Sonne.

Damit war dieses Gesprä ch zu Ende.

Ich rauchte, Blick zum Fenster hinaus: unter uns der blaue Golf von Mexico, lauter kleine Wolken, und ihre violetten Schatten auf dem grü nlichen Meer, Farbspiel wie ü blich, ich habe es schon oft genug gefilmt — ich schloß die Augen, um wieder etwas Schlaf nachzuholen, den Ivy mir gestohlen hatte; unser Flug war nun vollkommen ruhig, mein Nachbar ebenso.

Er las seinen Roman.

Ich mache mir nichts aus Romanen — sowenig wie aus Trä umen, ich trä umte von Ivy, glaube ich, jedenfalls fü hlte ich mich bedrä ngt, es war in einer Spielbar in Las Vegas (wo ich in Wirklichkeit nie gewesen bin), Klimbim, dazu Lautsprecher, die immer meinen Namen riefen, ein Chaos von blauen und roten und gelben Automaten, wo man Geld gewinnen kann, Lotterie, ich wartete mit lauter Splitternackten, um mich scheiden zu lassen (dabei bin ich in Wirklichkeit gar nicht verheiratet), irgendwie kam auch Professor O. vor, mein geschä tzter Lehrer an der Eidgenö ssischen Technischen Hochschule, aber vollkommen sentimental, er weinte immerfort, obschon er Mathematiker ist, beziehungsweise Professor fü r Elektrodynamik, es war peinlich, aber das Blö dsinnigste von allem: — Ich bin mit dem Dü sseldorfer verheiratet!... Ich wollte protestieren, aber konnte meinen Mund nicht aufmachen, ohne die Hand davor zu halten, da mir soeben, wie ich spü rte, sä mtliche Zä hne ausgefallen sind, alle wie Kieselsteine im Mund —

Ich war, kaum erwacht, sofort im Bild:

Unter uns das offene Meer —

Es war der Motor links, der die Panne hatte; ein Propeller als starres Kreuz im wolkenlosen Himmel — das war alles.

Unter uns, wie gesagt, der Golf von Mexico.

Unsere Stewardeß, ein Mä dchen von zwanzig Jahren, ein Kind mindestens ihrem Aussehen nach, hatte mich an der linken Schulter gefaß t, um mich zu wecken, ich wuß te aber alles, bevor sie's erklä rte, indem sie mir eine grü ne Schwimmweste reichte; mein Nachbar war eben dabei, seine Schwimmweste anzuschnallen, humorig wie bei Alarm-Ü bungen dieser Art —

Wir flogen mindestens auf zweitausend Meter Hö he.

Natü rlich sind mir keine Zä hne ausgefallen, nicht einmal mein Stiftzahn, der Vierer oben rechts; ich war erleichtert, geradezu vergnü gt.

Im Korridor, vorn, der Captain:

There is no danger at all

Alles nur eine Maß nahme der Vorsicht, unsere Maschine ist sogar imstande mit zwei Motoren zu fliegen, wir befinden uns 8, 5 Meilen von der mexikanischen Kü ste entfernt, Kurs auf Tampico, alle Passagiere freundlich gebeten, Ruhe zu bewahren und vorlä ufig nicht zu rauchen.

Thank you.

Alle saß en wie in einer Kirche, alle mit grü nen Schwimmwesten um die Brust, ich kontrollierte mit meiner Zunge, ob mir wirklich keine Zä hne wackelten, alles andere regte mich nicht auf.

Zeit 10.25 Uhr.

Ohne unsere Verspä tung wegen Schneesturin in den nö rdlichen Staaten wä ren wir jetzt in Mexico-City gelandet, ich sagte es meinem Dü sseldorfer — bloß um zu reden. Ich hasse Feierlichkeit.

Keine Antwort.

Ich fragte nach seiner genauen Zeit —

Keine Antwort.

Die Motoren, die drei anderen, liefen in Ordnung, von Ausfall nichts zu spü ren, ich sah, daß wir die Hö he hielten, dann Kü ste im Dunst, eine Art von Lagune, dahinter Sü mpfe. Aber von Tampico noch nichts zu sehen. Ich kannte Tampico von frü her, von einer Fischvergiftung, die ich nicht vergessen werde bis ans Ende meiner Tage.

»Tampico«, sagte ich,»das ist die dreckigste Stadt der Welt. Ö lhafen, Sie werden sehen, entweder stinkt's nach Ö l oder nach Fisch —«

Er fingerte an seiner Schwimmweste.

»Ich rate Ihnen wirklich«, sagte ich,»essen Sie keinen Fisch, mein Herr, unter keinen Umstä nden —«

Er versuchte zu lä cheln.

»Die Einheimischen sind natü rlich immun«, sagte ich,»aber unsereiner —«

Er nickte, ohne zu hö ren. Ich hielt ganze Vorträ ge, scheint es, ü ber Amö ben, beziehungsweise ü ber Hotels in Tampico. Sobald ich merkte, daß er gar nicht zuhö rte, mein Dü sseldorfer, griff ich ihn am Ä rmel, was sonst nicht meine Art ist, im Gegenteil, ich hasse diese Manie, einander am Ä rmel zu greifen. Aber anders hö rte er einfach nicht zu. Ich erzä hlte ihm die ganze Geschichte meiner langweiligen Fischvergiftung in Tampico, 1951, also vor sechs Jahren — Wir flogen indessen, wie sich zeigte, gar nicht der Kü ste entlang, sondern plö tzlich landeinwä rts. Also doch nicht Tampico! Ich war sprachlos, ich wollte mich bei der Stewardeß erkundigen.

Rauchen wieder gestattet!

Vielleicht war der Flughafen von Tampico zu klein fü r unsere Super-Constellation (damals ist es eine DC-4 gewesen) oder sie hatten Weisung bekommen, trotz der Motorpanne nach Mexico-City durchzufliegen, was ich allerdings angesichts der Sierra Madre Oriental, die uns noch bevorstand, nicht begriff. Unsere Stewardeß — ich griff sie am Ellenbogen, was sonst, wie gesagt, nicht meine Art ist — hatte keine Zeit fü r Auskü nfte, sie wurde zum Captain gerufen.

Tatsä chlich stiegen wir.

Ich versuchte an Ivy zu denken —

Wir stiegen.

Unter uns immer noch Sü mpfe, seicht und trü be, dazwischen Zungen von Land, Sand, die Sü mpfe teilweise grü n und dann wieder rö tlich, Lippenstiftrot, was ich mir nicht erklä ren konnte, eigentlich keine Sü mpfe, sondern Lagunen, und wo die Sonne spiegelt, glitzert es wie Lametta beziehungsweise wie Stanniol, jedenfalls metallisch, dann wieder himmelblau und wä sserig (wie die Augen von Ivy) mit gelben Untiefen, Flecken wie violette Tinte, finster, vermutlich ein Unterwassergewä chs, einmal eine Einmü ndung, braun wie amerikanischer Milchkaffee, widerlich, Quadratmeilen nichts als Lagunen. Auch der Dü sseldorfer hatte das Gefü hl, wir steigen.

Die Leute redeten wieder.

Eine anstä ndige Landkarte, wie bei der Swissair immer zur Hand, gab es hier nicht, und was mich nervö s machte, war lediglich diese idiotische Information: Kurs nach Tampico, wä hrend die Maschine landeinwä rts fliegt — steigend, wie gesagt, mit drei Motoren, ich beobachtete die drei glitzernden Scheiben, die manchmal zu stocken scheinen, was auf optischer Tä uschung beruht, ein schwarzes Zucken wie ü blich. Es war kein Grund, sich aufzuregen, komisch nur der Anblick: das starre Kreuz eines stehenden Propellers bei voller Fahrt.

Unsere Stewardeß tat mir leid.

Sie muß te von Reihe zu Reihe gehen, lä chelnd wie Reklame, und fragen, ob jedermann sich wohlfü hle in seiner Schwimmweste; sobald man ein Witzchen machte, verlor sie ihr Lä cheln. Ob man im Gebirge schwimmen kö nne? fragte ich —

Order war Order.

Ich hielt sie am Arm, die junge Person, die meine Tochter hä tte sein kö nnen, beziehungsweise am Handgelenk; ich sagte ihr (natü rlich zum Spaß!) mit erhobenem Finger, sie habe mich zu diesem Flug gezwungen, jawohl, niemand anders als sie — sie sagte:

»There is no danger, Sir, no danger at all. We're going to land in Mexico-City in about one hour and twenty minutes.«

Das sagte sie jedem.

Ich ließ sie los, damit sie wieder lä cheln und ihre Pflicht erfü llen konnte, schauen, ob jedermann angeschnallt war. Kurz darauf hatte sie Order, Lunch zu bringen, obschon es noch nicht Lunchtime war... Zum Glü ck hatten wir schö nes Wetter auch ü ber Land, fast keine Wolken, jedoch Bö en wie ü blich vor Gebirgen, die normale Thermik, so daß unsere Maschine sackte, schaukelte, bis sie sich wieder im Gleichgewicht hatte und stieg, um neuerdings zu sacken mit schwingenden Tragflä chen; Minuten lang flog man vollkommen ruhig, dann wieder ein Stoß, so daß die Tragflä chen wippten, und wieder das Schlenkern, bis die Maschine sich fing und stieg, als wä re es fü r immer in Ordnung, und wieder sackte — wie ü blich bei Bö en.

In der Ferne die blauen Gebirge.

Sierra Madre Oriental.

Unter uns die rote Wü ste.

Als kurz darauf — wir erhielten gerade unsren Lunch, mein Dü sseldorfer und ich, das Ü bliche: Juice, ein schneeweiß es Sandwich mit grü nem Salat — plö tzlich ein zweiter Motor aussetzte, war die Panik natü rlich da, unvermeidlich, trotz Lunch auf dem Knie. Jemand schrie.

Von diesem Augenblick an ging alles sehr rasch —

Offenbar befü rchtete man noch den Ausfall der anderen Motoren, so daß man sich zur Notlandung entschloß. Jedenfalls sanken wir, der Lautsprecher knackte und knarrte, so daß man von den Anweisungen, die gegeben werden, kaum ein Wort versteht.

Meine erste Sorge: wohin mit dem Lunch?

Wir sanken, obschon zwei Motoren, wie gesagt, genü gen sollten, das reglose Pneu-Paar in der Luft, wie ü blich vor einer Landung, und ich stellte meinen Lunch einfach auf den Boden des Korridors, dabei befanden wir uns noch mindestens fü nfhundert Meter ü ber dem Boden.

Jetzt ohne Bö en.

No smoking.

Die Gefahr, daß unsere Maschine bei der Notlandung zerschellt oder in Flammen aufgeht, war mir bewuß t — ich staunte ü ber meine Ruhe.

Ich dachte an niemand.

Alles ging sehr geschwind, wie schon gesagt, unter uns Sand, ein flaches Tal zwischen Hü geln, die felsig zu sein schienen, alles vollkommen kahl, Wü ste —

Eigentlich war man nur gespannt.

Wir sanken, als lä ge eine Piste unter uns, ich preß te mein Gesicht ans Fenster, man sieht ja diese Pisten immer erst im letzten Augenblick, wenn schon die Bremsklappen drauß en sind. Ich wunderte mich, daß die Bremsklappen nicht kommen. Unsere Maschine vermied offensichtlich jede Kurve, um nicht abzusacken, und wir flogen ü ber die gü nstige Ebene hinaus, unser Schatten flog immer nä her, er sauste schneller als wir, so schien es, ein grauer Fetzen auf dem rö tlichen Sand, er flatterte.

Dann Felsen —

Jetzt stiegen wir wieder.

Dann, zum Glü ck, neuerdings Sand, aber Sand mit Agaven, beide Motoren auf Vollgas, so flogen wir Minuten lang auf Haushö he, das Fahrgestell wurde wieder eingezogen. Also Bauchlandung! Wir flogen, wie man sonst in groß en Hö hen fliegt, ziemlich ruhig und ohne Fahrgestell —aber auf Haushö he, wie gesagt, und ich wuß te, es wird keine Piste kommen, trotzdem preß te ich das Gesicht ans Fenster.

Plö tzlich war unser Fahrgestell neuerdings ausgeschwenkt, ohne daß eine Piste kam, dazu die Bremsklappen, man spü rte es wie eine Faust gegen den Magen, Bremsen, Sinken wie im Lift, im letzten Augenblick verlor ich die Nerven, so daß die Notlandung — ich sah nur noch die flitzenden Agaven zu beiden Seiten, dann beide Hä nde vors Gesicht! — nichts als ein blinder Schlag war, Sturz vornü ber in die Bewuß tlosigkeit.

Dann Stille.

Wir hatten ein Affenschwein, kann ich nur sagen, niemand hatte auch nur eine Nottü re aufgetan, ich auch nicht, niemand rü hrte sich, wir hingen vornü ber in unseren Gurten.

»Go on«, sagte der Captain,»go on! «

Niemand rü hrte sich.

»Go on! «

Zum Glü ck kein Feuer, man muß te den Leuten sagen, sie dü rften sich abschnallen, die Tü re war offen, aber es kam natü rlich keine Treppe angerollt, wie man's gewohnt ist, bloß Hitze, wie wenn man einen Ofen aufmacht, Glutluft.

Ich war unverletzt.

Endlich die Strickleiter!

Man versammelte sich, ohne daß es eine Order brauchte, im Schatten unter der Tragflä che, alle stumm, als wä re Sprechen in der Wü ste strengstens verboten. Unsere Super-Constellation stand etwas vornü ber gekippt, nicht schlimm, nur das vordere Fahrgestell war gestaucht, weil eingesunken im Sand, nicht einmal gebrochen. Die vier Propeller-Kreuze glä nzten im knallblauen Himmel, ebenso die drei Schwanzsteuer. Niemand rü hrte sich, wie gesagt, offenbar warteten alle, daß der Captain etwas sagte.

»Well«, sagte er,»there we are! «

Er lachte.

Ringsum nichts als Agaven, Sand, die rö tlichen Gebirge in der Ferne, ferner als man vorher geschä tzt hat, vor allem Sand und nochmals Sand, gelblich, das Flimmern der heiß en Luft darü ber, Luft wie flü ssiges Glas. —

Zeit: 11.05 Uhr.

Ich zog meine Uhr auf —

Die Besatzung holte Wolldecken heraus, um die Pneus vor der Sonne zu schü tzen, wä hrend wir in unseren grü nen Schwimmwesten umherstanden, untä tig. Ich weiß nicht, warum niemand die Schwimmweste auszog.

 

Ich glaube nicht an Fü gung und Schicksal, als Techniker bin ich gewohnt mit den Formeln der Wahrscheinlichkeit zu rechnen. Wieso Fü gung? Ich gebe zu: Ohne die Notlandung in Tamaulipas (2, 6. III.) wä re alles anders gekommen; ich hä tte diesen jungen Hencke nicht kennengelernt, ich hä tte vielleicht nie wieder von Hanna gehö rt, ich wü ß te heute noch nicht, daß ich Vater bin. Es ist nicht auszudenken, wie anders alles gekommen wä re ohne diese Notlandung in Tamaulipas. Vielleicht wü rde Sabeth noch leben. Ich bestreite nicht: Es war mehr als ein Zufall, daß alles so gekommen ist, es war eine ganze Kette von Zufä llen. Aber wieso Fü gung? Ich brauche, um das Unwahrscheinliche als Erfahrungstatsache gelten zu lassen, keinerlei Mystik; Mathematik genü gt mir.

Mathematisch gesprochen:

Das Wahrscheinliche (daß bei 6 000 000 000 Wü rfen mit einem regelmä ß igen Sechserwü rfel annä hernd 1 000 000 000 Einser vorkommen) und das Unwahrscheinliche (daß bei 6 Wü rfen mit demselben Wü rfel einmal 6 Einser vorkommen) unterscheiden sich nicht dem Wesen nach, sondern nur der Hä ufigkeit nach, wobei das Hä ufigere von vornherein als glaubwü rdiger erscheint. Es ist aber, wenn einmal das Unwahrscheinliche eintritt, nichts Hö heres dabei, keinerlei Wunder oder Derartiges, wie es der Laie so gerne haben mö chte. Indem wir vom Wahrscheinlichen sprechen, ist ja das Unwahrscheinliche immer schon inbegriffen und zwar als Grenzfall des Mö glichen, und wenn es einmal eintritt, das Unwahrscheinliche, so besteht fü r unsereinen keinerlei Grund zur Verwunderung, zur Erschü tterung, zur Mystifikation.

Vergleiche hierzu:

Ernst Mally Wahrscheinlichkeit und Gesetz, ferner Hans Reichenbach Wahrscheinlichkeitslehre, ferner Whitehead und Russell Principia Mathematica, ferner v. Mises Wahrscheinlichkeit, Statistik und Wahrheit.

 

Unser Aufenthalt in der Wü ste von Tamaulipas, Mexico, dauerte vier Tage und drei Nä chte, total 85 Stunden, worü ber es wenig zu berichten gibt — ein grandioses Erlebnis (wie jedermann zu erwarten scheint, wenn ich davon spreche) war es nicht. Dazu viel zu heiß! Natü rlich dachte ich auch sofort an den Disney-Film, der ja grandios war, und nahm sofort meine Kamera; aber von Sensation nicht die Spur, ab und zu eine Eidechse, die mich erschreckte, eine Art von Sandspinnen, das war alles.

Es blieb uns nichts als Warten.

Das erste, was ich in der Wü ste von Tamaulipas tat: ich stellte mich dem Dü sseldorfer vor, denn er interessierte sich fü r meine Kamera, ich erlä uterte ihm meine Optik.

Andere lasen.

Zum Glü ck, wie sich bald herausstellte, spielte er auch Schach, und da ich stets mit meinem Steck-Schach reise, waren wir gerettet; er organisierte sofort zwei leere Coca-Cola-Kistchen, wir setzten uns abseits, um das allgemeine Gerede nicht hö ren zu mü ssen, in den Schatten unter dem Schwanzsteuer — kleiderlos, bloß in Schuhen (wegen der Hitze des Sandes) und in Jockey-Unterhosen.

Unser Nachmittag verging im Nu.

Kurz vor Einbruch der Dä mmerung erschien ein Flugzeug, Militä r, es kreiste lange ü ber uns, ohne etwas abzuwerfen, und verschwand (was ich gefilmt habe) gegen Norden, Richtung Monterrey.

Abendessen: ein Kä se-Sandwich, eine halbe Banane.

Ich schä tze das Schach, weil man Stunden lang nichts zu reden braucht. Man braucht nicht einmal zu hö ren, wenn der andere redet. Man blickt auf das Brett, und es ist keineswegs unhö flich, wenn man kein Bedü rfnis nach persö nlicher Bekanntschaft zeigt, sondern mit ganzem Ernst bei der Sache ist —

»Sie sind am Zug! «sagte er —

Die Entdeckung, daß er Joachim, meinen Freund, der seit mindestens zwanzig Jahren einfach verstummt war, nicht nur kennt, sondern daß er geradezu sein Bruder ist, ergab sich durch Zufall... Als der Mond aufging (was ich ebenfalls gefilmt habe) zwischen schwarzen Agaven am Horizont, hä tte man noch immer Schach spielen kö nnen, so hell war es, aber plö tzlich zu kalt; wir waren hinausgestapft, um eine Zigarette zu rauchen, hinaus in den Sand, wo ich gestand, daß ich mir aus Landschaften nichts mache, geschweige denn aus einer Wü ste.

»Das ist nicht Ihr Ernst! «sagte er.

Er fand es ein Erlebnis.

»Gehen wir schlafen! «sagte ich,»— Hotel Super-Constellation, Holiday In Desert With All Accommodations! «

Ich fand es kalt.

Ich habe mich schon oft gefragt, was die Leute eigentlich meinen, wenn sie von Erlebnis reden. Ich bin Techniker und gewohnt, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Ich sehe alles, wovon sie reden, sehr genau; ich bin ja nicht blind. Ich sehe den Mond ü ber der Wü ste von Tamaulipas — klarer als je, mag sein, aber eine errechenbare Masse, die um unseren Planeten kreist, eine Sache der Gravitation, interessant, aber wieso ein Erlebnis? Ich sehe die gezackten Felsen, schwarz vor dem Schein des Mondes; sie sehen aus, mag sein, wie die gezackten Rü cken von urweltlichen Tieren, aber ich weiß: Es sind Felsen, Gestein, wahrscheinlich vulkanisch, das mü ß te man nachsehen und feststellen. Wozu soll ich mich fü rchten? Es gibt keine urweltlichen Tiere mehr. Wozu sollte ich sie mir einbilden? Ich sehe auch keine versteinerten Engel, es tut mir leid; auch keine Dä monen, ich sehe, was ich sehe: die ü blichen Formen der Erosion, dazu meinen langen Schatten auf dem Sand, aber keine Gespenster. Wozu weibisch werden? Ich sehe auch keine Sintflut, sondern Sand, vom Mond beschienen, vom Wind gewellt wie Wasser, was mich nicht ü berrascht; ich finde es nicht fantastisch, sondern erklä rlich. Ich weiß nicht, wie verdammte Seelen aussehen; vielleicht wie schwarze Agaven in der nä chtlichen Wü ste. Was ich sehe, das sind Agaven, eine Pflanze, die ein einziges Mal blü ht und dann abstirbt. Ferner weiß ich, daß ich nicht (wenn es im Augenblick auch so aussieht) der erste oder letzte Mensch auf der Erde bin; und ich kann mich von der bloß en Vorstellung, der letzte Mensch zu sein, nicht erschü ttern lassen, denn es ist nicht so. Wozu hysterisch sein? Gebirge sind Gebirge, auch wenn sie in gewisser Beleuchtung, mag sein, wie irgend etwas anderes aussehen, es ist aber die Sierra Madre Oriental, und wir stehen nicht in einem Totenreich, sondern in der Wü ste von Tamaulipas, Mexico, ungefä hr sechzig Meilen von der nä chsten Straß e entfernt, was peinlich ist, aber wieso ein Erlebnis? Ein Flugzeug ist fü r mich ein Flugzeug, ich sehe keinen ausgestorbenen Vogel dabei, sondern eine Super-Constellation mit Motor-Defekt, nichts weiter, und da kann der Mond sie bescheinen, wie er will. Warum soll ich erleben, was gar nicht ist? Ich kann mich auch nicht entschließ en, etwas wie die Ewigkeit zu hö ren; ich hö re gar nichts, ausgenommen das Rieseln von Sand nach jedem Schritt. Ich schlottere, aber ich weiß: in sieben bis acht Stunden kommt wieder die Sonne. Ende der Welt, wieso? Ich kann mir keinen Unsinn einbilden, bloß um etwas zu erleben. Ich sehe den Sand-Horizont, weiß lich in der grü nen Nacht, schä tzungsweise zwanzig Meilen von hier, und ich sehe nicht ein, wieso dort, Richtung Tampico, das Jenseits beginnen soll. Ich kenne Tampico. Ich weigere mich, Angst zu haben aus bloß er Fantasie, beziehungsweise fantastisch zu werden aus bloß er Angst, geradezu mystisch.

»Kommen Sie! «sagte ich.

Herbert stand und erlebte noch immer.

»Ü brigens«, sagte ich,»sind Sie irgendwie verwandt mit einem Joachim Hencke, der einmal in Zü rich studiert hat? «Es kam mir ganz plö tzlich, als wir so standen, die Hä nde in den Hosentaschen, den Rockkragen heraufgestü lpt; wir wollten gerade in die Kabine steigen.

»Joachim? «sagte er,»das ist mein Bruder.«

»Nein! «sagte ich —

»Ja«, sagte er,»natü rlich — ich erzä hlte Ihnen doch, daß ich meinen Bruder in Guatemala besuche.«

Wir muß ten lachen.

»Wie klein die Welt ist! «

Die Nä chte verbrachte man in der Kabine, schlotternd in Mantel und Wolldecken; die Besatzung kochte Tee, solange Wasser vorhanden.

»Wie geht's ihm denn? «fragte ich.»Seit zwanzig Jahren habe ich nichts mehr von ihm gehö rt. «

»Danke«, sagte er,»danke —«

»Damals«, sagte ich,»waren wir sehr befreundet —«

Was ich erfuhr, war so das Ü bliche: Heirat, ein Kind (was ich offenbar ü berhö rt habe; sonst hä tte ich mich nicht spä ter danach erkundigt), dann Krieg, Gefangenschaft, Heimkehr nach Dü sseldorf und so fort, ich staunte, wie die Zeit vergeht, wie man ä lter wird.

»Wir sind besorgt«, sagte er —

»Wieso? «

»Er ist der einzige Weiß e da unten«, sagte er,»seit zwei Monaten keinerlei Nachrichten —«

Er berichtete.

Die meisten Passagiere schliefen schon, man muß te flü stern, das groß e Licht in der Kabine war lange schon gelö scht, um die Batterie zu schonen, war man gebeten, auch das kleine Lä mpchen ü ber dem Sitz auszuknipsen; es war dunkel, nur drauß en die Helligkeit des Sandes, die Tragflä chen im Mondlicht, glä nzend, kalt.

»Wieso Revolte? «fragte ich.

Ich beruhigte ihn.

»Wieso Revolte? «sagte ich,»vielleicht sind seine Briefe einfach verlorengegangen —«

Jemand bat uns, endlich zu schweigen.

Zweiundvierzig Passagiere in einer Super-Constellation, die nicht fliegt, sondern in der Wü ste steht, ein Flugzeug mit Wolldecken um die Motoren (um sie vor Sand zu schü tzen) und mit Wolldecken um jeden Pneu, die Passagiere genau so, wie wenn man fliegt, in ihren Sesseln schlafend mit schrä gen Kö pfen und meistens offenen Mü ndern, aber dazu Totenstille, drauß en die vier blanken Propeller-Kreuze, der weiß liche Mondglanz auch auf den Tragflä chen, alles reglos — es war ein komischer Anblick.

Jemand redete im Traum —

Beim Erwachen am Morgen, als ich zum Fensterchen hinausschaute und den Sand sah, die Nä he des Sandes, erschrak ich eine Sekunde lang, unnö tigerweise.

Herbert las wieder ein rororo.

Ich nahm mein Kalenderchen:

27. III. Montage in Caracas!

Zum Frü hstü ck gab es Juice, dazu zwei Biscuits, dazu Versicherungen, daß Lebensmittel unterwegs sind, Geträ nke auch, kein Grund zu Besorgnis — sie hä tten besser nichts gesagt; denn so wartete man natü rlich den ganzen Tag auf Motorengerä usch.

Wieder eine Irrsinnshitze!

In der Kabine war's noch heiß er —

Was man hö rte: Wind, dann und wann Pfiffe von Sandmä usen, die man allerdings nicht sah, das Rascheln einer Eidechse, vor allem ein steter Wind, der den Sand nicht aufwirbelte, wie gesagt, aber rieseln ließ, so daß unsere Trittspuren immer wieder gelö scht waren; immer wieder sah es aus, als wä re niemand hier gewesen, keine Gesellschaft von zweiundvierzig Passagieren und fü nf Leuten der Besatzung.

Ich wollte mich rasieren —

Zu filmen gab es ü berhaupt nichts.

Ich fü hle mich nicht wohl, wenn unrasiert; nicht wegen der Leute, sondern meinetwegen. Ich habe dann das Gefü hl, ich werde etwas wie eine Pflanze, wenn ich nicht rasiert bin, und ich greife unwillkü rlich an mein Kinn. Ich holte meinen Apparat und versuchte alles mö gliche, beziehungsweise unmö gliche, denn ohne elektrischen Strom ist mit diesem Apparat ja nichts zu machen, das weiß ich — das war es ja, was mich nervö s machte: daß es in der Wü ste keinen Strom gibt, kein Telefon, keinen Stecker, nichts. Einmal, mittags, hö rte man Motoren.

Alle, auß er Herbert und mir, standen drauß en in der brü tenden Sonne, um Ausschau zu halten in dem violetten Himmel ü ber dem gelblichen Sand und den grauen Disteln und den rö tlichen Gebirgen, es war nur ein dü nnes Summen, eine gewö hnliche DC-7, die da in groß er Hö he glä nzte, im Widerschein weiß wie Schnee, Kurs auf Mexico-City, wo wir gestern um diese Zeit hä tten landen sollen.

Die Stimmung war miserabler als je.

Wir hatten unser Schach, zum Glü ck.

Viele Passagiere folgten unserem Vorbild, indem sie sich mit Schuhen und Unterhosen begnü gten; die Damen hatten es schwieriger, einige saß en in aufgekrempelten Rö cken und in Bü stenhaltern, blau oder weiß oder rosa, ihre Bluse um den Kopf gewickelt wie einen Turban.

Viele klagten ü ber Kopfschmerz.

Jemand muß te sich erbrechen —

Wir hockten wieder abseits, Herbert und ich, im Schatten unter dem Schwanzsteuer, das, wie die Tragflä chen auch, im Widerschein des besonnten Sandes blendete, so daß man sogar im Schatten wie unter einem Scheinwerfer saß, und wir redeten wie ü blich wenig beim Schach. Einmal fragte ich:

»Ist Joachim denn nicht mehr verheiratet? «

»Nein«, sagte er.

»Geschieden? «

»Ja«, sagte er.

»Wir haben viel Schach gespielt — damals.«

»So«, sagte er.

Seine Einsilbigkeit reizte mich.

»Wen hat er denn geheiratet? «

Ich fragte zum Zeitvertreib, es machte mich nervö s, daß man nicht rauchen durfte, ich hatte eine Zigarette im Mund, feuerlos, weil Herbert sich so lange besann, obschon er sehen muß te, daß es nichts mehr zu retten gibt; ich lag mit einem Pferdchen-Gewinn im sicheren Vorteil, als er nach langem Schweigen, dann so beilä ufig, wie ich meinerseits gefragt hatte, den Namen von Hanna erwä hnte.

»— Hanna Landsberg, Mü nchnerin, Halbjü din.«

Ich sagte nichts.

»Sie sind am Zug! «sagte er.

Ich ließ nichts merken, glaube ich. Ich zü ndete versehentlich meine Zigarette an, was strengstens verboten war, und lö schte sofort aus. Ich tat, als ü berlegte ich meine Zü ge, und verlor Figur um Figur —

»Was ist los? «lachte er,»was ist los? «

Wir spielten die Partie nicht zu Ende, ich gab auf und drehte das Brettchen, um die Figuren neuerdings aufzustellen. Ich wagte nicht einmal zu fragen, ob Hanna noch am Leben sei. Stundenlang spielten wir ohne ein Wort, von Zeit zu Zeit genö tigt, unsere Coca-Cola-Kiste zu verrutschen, um im Schatten zu bleiben, das heiß t: genö tigt, immer wieder auf Sand zu sitzen, der gerade noch in der Sonne geglü ht hatte. Wir schwitzten wie in der Sauna, wortlos ü ber mein ledernes Steckschach gebeugt, das sich von unseren Schweiß tropfen leider verfä rbte.

Zu trinken gab es nichts mehr.

Warum ich nicht fragte, ob Hanna noch lebt, weiß ich nicht — vielleicht aus Angst, er wü rde mir sagen, Hanna sei nach Theresienstadt gekommen.

Ich errechnete ihr heutiges Alter.

Ich konnte sie mir nicht vorstellen.

Gegen Abend, kurz vor Dä mmerung, kam endlich das versprochene Flugzeug, eine Sportmaschine, die lange kreiste, bis sie endlich den Fallschirmabwurf wagte: drei Sä cke, zwei Kisten, die es im Umkreis von dreihundert Metern zu holen galt — wir waren gerettet: Carta blanca, Cerveza Mexicana, ein gutes Bier, das sogar Herbert, der Deutsche, anerkennen muß te, als man mit Bierdosen in der Wü ste stand, Gesellschaft in Bü stenhaltern und Unterhosen, dazu wieder Sonnenuntergang, den ich auf Farbfilm nahm.

Ich trä umte von Hanna.

Hanna als Krankenschwester zu Pferd!

Am dritten Tag endlich ein erster Helikopter, um wenigstens die argentinische Mama mit ihren zwei Kindern zu holen, Gott sei Dank, und um Post mitzunehmen; er wartete eine Stunde auf Post.

Herbert schrieb sofort nach Dü sseldorf.

Jedermann saß und schrieb.

Man muß te fast schreiben, bloß damit die lieben Leute nicht fragten, ob man denn keine Frau habe, keine Mutter, keine Kinder, — ich holte meine Hermes-Baby (sie ist heute noch voll Sand) und spannte einen Bogen ein, Bogen mit Durchschlag, da ich annahm, ich wü rde an Williams schreiben, tippte das Datum und schob — Platz fü r Anrede:

»My Dear! «

Ich schrieb also an Ivy. Lange schon hatte ich das Bedü rfnis, einmal sauberen Tisch zu machen. Endlich einmal hatte ich die Ruhe und Zeit, die Ruhe einer ganzen Wü ste.

»My Dear —«

Daß ich in der Wü ste hocke, sechzig Meilen von der befahrbaren Welt entfernt, war bald gesagt. Daß es heiß ist, schö nes Wetter, keine Spur von Verletzung und so weiter, dazu ein paar Details zwecks Anschaulichkeit: Coca-Cola-Kiste, Unterhosen, Helikopter, Bekanntschaft mit einem Schachspieler, all dies fü llte noch keinen Brief. Was weiter? Die blä ulichen Gebirge in der Ferne. Was weiter? Gestern Bier. Was weiter? Ich konnte sie nicht einmal um Zustellung von Filmen bitten und war mir bewuß t, daß Ivy, wie jede Frau, eigentlich nur wissen mö chte, was ich fü hle, beziehungsweise denke, wenn ich schon nichts fü hle, und das wuß te ich zwar genau: Ich habe Hanna nicht geheiratet, die ich liebte, und wieso soll ich Ivy heiraten? — aber das zu formulieren, ohne daß es verletzte, war verdammt nicht leicht, denn sie wuß te ja nichts von Hanna und war ein lieber Kerl, aber eine Art von Amerikanerin, die jeden Mann, der sie ins Bett nimmt, glaubt heiraten zu mü ssen. Dabei war Ivy durchaus verheiratet, ich weiß nicht zum wievielten Mal, und ihr Mann, Beamter in Washington, dachte ja nicht dran, sich scheiden zu lassen; denn er liebte Ivy. Ob er ahnte, warum Ivy regelmä ß ig nach New York flog, weiß ich nicht. Sie sagte, sie ginge zum Psychiater, und das ging sie nä mlich auch. Jedenfalls klopfte es nie an meiner Tü re, und ich sah nicht ein, wieso Ivy, sonst in ihren Ansichten modern, eine Ehe daraus machen wollte; sowieso hatten wir in letzter Zeit nur noch Krach, schien mir, Krach um jede Kleinigkeit. Krach wegen Studebaker-oder-Nash! Ich brauchte nur daran zu denken — und es tippte plö tzlich wie von selbst, im Gegenteil, ich muß te auf die Uhr sehen, damit mein Brief noch fertig wird, bis der Helikopter startet.

Sein Motor lief bereits —

Nicht ich, sondern Ivy hatte den Studebaker gewollt; vor allem die Farbe (Tomatenrot nach ihrer Meinung, Himbeerrot nach meiner Meinung) war ihr Geschmack, nicht meiner, denn das Technische kü mmerte sie wenig. Ivy war Mannequin, sie wä hlte ihre Kleider nach der Wagenfarbe, glaube ich, die Wagenfarbe nach ihrem Lippenstift oder umgekehrt, ich weiß es nicht. Ich kannte nur ihren ewigen Vorwurf: daß ich ü berhaupt keinen Geschmack habe und daß ich sie nicht heirate. Dabei war sie, wie gesagt, ein lieber Kerl. Aber daß ich daran dachte, ihren Studebaker zu verkaufen, das fand sie unmö glich, beziehungsweise typisch fü r mich, daß ich nicht eine Sekunde lang an ihre Garderobe dä chte, die mit dem Himbeer-Studebaker stand und fiel, typisch fü r mich, denn ich sei ein Egoist, ein Rohling, ein Barbar in bezug auf Geschmack, ein Unmensch in bezug auf die Frau. Ich kannte ihre Vorwü rfe und hatte sie satt. Daß ich grundsä tzlich nicht heirate, das hatte ich oft genug gesagt, zumindest durchblicken lassen, zuletzt aber auch gesagt, und zwar auf dem Flugplatz, als wir drei Stunden lang auf diese Super-Constellation hatten warten mü ssen. Ivy hatte sogar geweint, somit gehö rt, was ich sagte. Aber vielleicht brauchte Ivy es schwarz auf weiß. Wä ren wir bei dieser Notlandung verbrannt, kö nnte sie auch ohne mich leben! — schrieb ich ihr (zum Glü ck mit Durchschlag) deutlich genug, so meinte ich, um uns ein Wiedersehen zu ersparen.

Der Helikopter war startbereit —

Ich konnte meinen Brief nicht mehr durchlesen, nur in den Umschlag stecken, zukleben und geben — schauen, wie der Helikopter startete.

Langsam hatte man Bä rte.

Ich sehnte mich nach elektrischem Strom —

Langsam wurde die Sache doch langweilig, eigentlich ein Skandal, daß die zweiundvierzig Passagiere und fü nf Leute der Besatzung nicht lä ngst aus dieser Wü ste befreit waren, schließ lich reisten die meisten von uns in dringenden Geschä ften.

Einmal fragte ich doch:

»Lebt sie eigentlich noch? «

»Wer? «fragte er.

»Hanna — seine Frau.«

»Ach so«, sagte er und ü berlegte nur, wie er meine Gambit-Erö ffnung abwehren solle, dazu sein Pfeifen, das mir sowieso auf die Nerven ging, ein halblautes Pfeifen ohne jede Melodie, Gezisch wie bei einem Ventil, unwillkü rlich — ich muß te nochmals fragen:

»Wo lebt sie denn heute? «

»Weiß ich nicht«, sagte er.

»Aber sie lebt noch? «

»Ich nehme an.«

»Du weiß t es nicht? «

»Nein«, sagte er,»aber ich nehme an —«Er wiederholte alles wie sein eigenes Echo:»— ich nehme an.«

Unser Schach war ihm wichtiger.

»Vielleicht ist alles zu spä t«, sagte er spä ter,»vielleicht ist alles zu spä t.«

Damit meinte er das Schach.

»Hat sie denn noch emigrieren kö nnen? «

»Ja«, sagte er,»das hat sie —«

»Wann? «

»1938«, sagte er,»in letzter Stunde —«

»Wohin? «

»Paris«, sagte er,»dann vermutlich weiter, denn ein paar Jahre spä ter waren wir ja auch in Paris. — Ü brigens meine schö nste Zeit! Bevor ich in den Kaukasus kam. Sous les toits de Paris! «

Mehr war nicht zu erfragen.

»Du«, sagte er,»das ist eine beschissene Sache, scheint mir, wenn ich jetzt nicht abtausche.«

Wir spielten immer lustloser.

Wie man spä ter erfuhr, warteten damals acht Helikopter der US-Army an der mexikanischen Grenze auf die behö rdliche Bewilligung, uns zu holen.

Ich putzte meine Hermes-Baby.

Herbert las.

Es blieb uns nichts als Warten.

Was Hanna betrifft:

Ich hä tte Hanna gar nicht heiraten kö nnen, ich war damals, 1933 bis 1935, Assistent an der Eidgenö ssischen Technischen Hochschule, Zü rich, arbeitete an meiner Dissertation (Ü ber die Bedeutung des sogenannten Maxwell'schen Dä mons) und verdiente dreihundert Franken im Monat, eine Heirat kam damals nicht in Frage, wirtschaftlich betrachtet, abgesehen von allem anderen. Hanna hat mir auch nie einen Vorwurf gemacht, daß es damals nicht zur Heirat kam. Ich war bereit dazu. Im Grunde war es Hanna selbst, die damals nicht heiraten wollte.

 

Mein Entschluß, eine Dienstreise einfach zu ä ndern und einen privaten Umweg ü ber Guatemala zu machen, bloß um einen alten Jugendfreund wiederzusehen, fiel auf dem neuen Flugplatz in Mexico-City, und zwar im letzten Augenblick; ich stand schon an der Schranke, nochmals Hä ndeschü tteln, ich bat Herbert, seinen Bruder zu grü ß en von mir, sofern Joachim sich ü berhaupt noch an mich erinnerte — dazu wieder der ü bliche Lautsprecher: Your attention please, your attention please, es war wieder eine Super-Constellation, all passengers for Panama — Caracas — Pernambuco, es ö dete mich einfach an, schon wieder in ein Flugzeug zu steigen, schon wieder Gü rtel zu schnallen, Herbert sagte:

»Mensch, du muß t gehen! «

Ich gelte in beruflichen Dingen als ä uß erst gewissenhaft, geradezu pedantisch, jedenfalls ist es noch nicht vorgekommen, daß ich eine Dienstreise aus purer Laune verzö gerte, geschweige denn ä nderte — eine Stunde spä ter flog ich mit Herbert.

»Du«, sagte er,»das ist flott von dir! «

Ich weiß nicht, was es wirklich war.

»Nun warten die Turbinen einmal auf mich«, sagte ich,»ich habe auch schon auf Turbinen gewartet — nun warten sie einmal auf mich! «

Natü rlich ist das kein Standpunkt.

Schon in Campeche empfing uns die Hitze mit schleimiger Sonne und klebriger Luft, Gestank von Schlamm, der an der Sonne verwest, und wenn man sich den Schweiß aus dem Gesicht wischt, so ist es, als stinke man selbst nach Fisch. Ich sagte nichts. Schließ lich wischt man sich den Schweiß nicht mehr ab, sondern sitzt mit geschlossenen Augen und atmet mit geschlossenem Mund, Kopf an eine Mauer gelehnt, die Beine von sich gestreckt. Herbert war ganz sicher, daß der Zug jeden Dienstag fä hrt, laut Reisefü hrer von Dü sseldorf, er hatte es sogar schwarz auf weiß —aber es war, wie sich nach fü nfstü ndigem Warten plö tzlich herausstellte, nicht Dienstag, sondern Montag.

Ich sagte kein Wort.

Im Hotel gibt es wenigstens eine Dusche, ein Handtuch, das nach Campfer riecht wie ü blich in diesen Gegenden, und wenn man sich duschen will, fallen die fingerlangen Kä fer aus dem schimmligen Vorhang — ich ersä ufte sie, doch kletterten sie nach einer Weile immer wieder aus dem Ablauf hervor, bis ich sie mit der Ferse zertrat, um mich endlich duschen zu kö nnen.

Ich trä umte von diesen Kä fern.

Ich war entschlossen, Herbert zu verlassen und am andern Mittag zurü ckzufliegen, Kameradschaft hin oder her —

Ich spü rte wieder meinen Magen.

Ich lag splitternackt — Es stank die ganze Nacht. Auch Herbert lag splitternackt —Campeche ist immerhin noch eine Stadt, eine Siedlung mit elektrischem Strom, so daß man sich rasieren konnte, und mit Telefon; aber auf allen Drä hten hockten schon Zopilote, die reihenweise warten, bis ein Hund verhungert, ein Esel verreckt, ein Pferd geschlachtet wird, dann flattern sie herab... Wir kamen gerade hinzu, wie sie hin und her zerrten an einem solchen Geschlamp von Eingeweide, eine ganze Meute von schwarzvioletten Vö geln mit blutigen Dä rmen in ihren Schnä beln, nicht zu vertreiben, auch wenn ein Wagen kommt; sie zerren das Aas anderswohin, ohne aufzufliegen, nur hü pfend, nur huschend, alles mitten auf dem Markt. Herbert kaufte eine Ananas.

Ich war entschlossen, wie gesagt, nach Mexico-City zurü ckzufliegen. Ich war verzweifelt. Warum ich es nicht tat, weiß ich nicht.

Plö tzlich war's Mittag —

Wir standen drauß en auf einem Damm, wo es weniger stank, aber um so heiß er war, weil schattenlos, und aß en unsere Ananas, wir bü ckten uns vornü ber, so tropfte es, dann ü ber die Steine hinunter, um die zuckerigen Finger zu spü len; das warme Wasser war ebenfalls klebrig, nicht zuckerig, aber salzig, und die Finger stanken nach Tang, nach Motorö l, nach Muscheln, nach Fä ulnis unbestimmbarer Art, so daß man sie sofort am Taschentuch abwischte. Plö tzlich das Motorengerä usch! Ich stand gelä hmt. Meine DC-4 nach Mexico-City, sie flog gerade ü ber uns hinweg, dann Kurve aufs offene Meer hinaus, wo sie im heiß en Himmel sich sozusagen auflö ste wie in einer blauen Sä ure —Ich sagte nichts.

Ich weiß nicht, wie jener Tag verging.

Er verging —

Unser Zug (Campeche-Palenque-Coatzacoalcos) war besser als erwartet: Eine Dieselmaschine und vier Wagen mit air-condition, so daß wir die Hitze vergaß en, mit der Hitze auch den Unsinn dieser ganzen Reise.

»Ob Joachim mich noch kennt? «

Ab und zu hielt unser Zug auf offener Strecke in der Nacht, man hatte keine Ahnung wieso, nirgends ein Licht, nur dank eines fernen Gewitters erkannte man, daß es durch Dschungel geht, teilweise Sumpf, Wetterleuchten hinter einem Geflecht von schwarzen Bä umen, unsere Lokomotive tutete und tutete in die Nacht hinaus, man konnte das Fenster nicht ö ffnen, um zu sehen, was los ist... Plö tzlich fuhr er wieder: dreiß ig Stundenkilometer, obschon es topfeben ist, eine schnurgerade Strecke. Immerhin war man zufrieden, daß es weiterging.

Einmal fragte ich:

»Warum sind sie eigentlich geschieden? «

»Weiß ich nicht«, sagte er,»sie wurde Kommunistin, glaube ich —«

»Drum? «

Er gä hnte.

»Ich weiß es nicht«, sagte er,»es ging nicht. Ich habe nie danach gefragt.«

Einmal, als unser Zug neuerdings hielt, ging ich zur Wagentü r, um hinauszuschauen. Drauß en die Hitze, die man vergessen hatte, eine feuchte Finsternis und Stille. Ich ging aufs Trittbrett hinunter, Stille mit Wetterleuchten, ein Bü ffel stand auf dem schnurgeraden Geleise vor uns, nichts weiter. Er stand wie ausgestopft, weil vom Scheinwerfer unserer Lokomotive geblendet, stur. Sofort hatte man wieder Schweiß auf der Stirne und am Hals. Es tutete und tutete. Ringsum nichts als Dickicht. Nach einigen Minuten ging der Bü ffel (oder was es war) langsam aus dem Scheinwerfer, dann hö rte ich Rauschen im Dickicht, das Knicken von Ä sten, dann ein Klatschen, sein Platschen im Wasser, das man nicht sah —

Dann fuhren wir wieder.

»Haben sie denn Kinder? «fragte ich.

»Eine Tochter —«

Wir richteten uns zum Schlafen, die Jacke unter den Nacken, die Beine gestreckt auf die leeren Sitze gegenü ber.

»Hast du sie gekannt? «

»Ja«, sagte ich,»warum? «

Kurz darauf schlief er —

Beim Morgengrauen noch immer Dickicht, die erste Sonne ü ber dem flachen Dschungel-Horizont, viel Reiher, die in weiß en Scharen aufflatterten vor unserem langsamen Zug, Dickicht ohne Ende, unabsehbar, dann und wann eine Gruppe indianischer Hü tten, verborgen unter Bä umen mit Luftwurzeln, manchmal eine einzelne Palme, sonst meistens Laubhö lzer, Akazien und Unbekanntes, vor allem Bü sche, ein vorsintflutliches Farnkraut, es wimmelte von schwefelgelben Vö geln, die Sonne wieder wie hinter Milchglas, Dunst, man sah die Hitze.

Ich hatte geträ umt — (Nicht von Hanna!)

Als wir neuerdings auf offener Strecke hielten, war es Palenque, ein Bahnhö flein irgendwo, wo niemand einsteigt und niemand aussteigt auß er uns, ein kleiner Schopf neben dem Geleise, ein Signal, nichts weiter, nicht einmal Verdopplung des Geleises (wenn ich mich richtig erinnere), wir erkundigten uns dreimal, ob das Palenque ist.

Sofort rann wieder der Schweiß —

Wir standen mit unserem Gepä ck, als der Zug weiterfuhr, wie am Ende der Welt, mindestens am Ende der Zivilisation, und von einem Jeep, der hier hä tte warten sollen, um den Herrn aus Dü sseldorf sofort zur Plantage hinü berzufahren, war natü rlich keine Spur.

»There we are! «

Ich lachte.

Immerhin gab es ein Strä ß lein, und nach einer halben Stunde, die uns ziemlich erschö pft hatte, kamen Kinder aus den Bü schen, spä ter ein Eseltreiber, der unser Gepä ck nahm, ein Indio natü rlich, ich behielt nur meine gelbe Aktenmappe mit Reiß verschluß.

Fü nf Tage hingen wir in Palenque.

Wir hingen in Hä ngematten, allzeit ein Bier in greifbarer Nä he, schwitzend, als wä re Schwitzen unser Lebenszweck, unfä hig zu irgendeinem Entschluß, eigentlich ganz zufrieden, denn das Bier ist ausgezeichnet, Yucateca, besser als das Bier im Hochland, wir hingen in unseren Hä ngematten und tranken, um weiter schwitzen zu kö nnen, und ich wuß te nicht, was wir eigentlich wollten.

Wir wollten einen Jeep!

Wenn man es sich nicht immer wieder sagte, so vergaß man es, und sonst sagten wir wenig den ganzen Tag, ein sonderbarer Zustand.

Ein Jeep, ja, aber woher?

Sprechen machte nur durstig.

Der Wirt unsres winzigen Hotels (Lacroix) hatte einen Landrover, offensichtlich das einzige Fahrzeug in Palenque, das er aber selber brauchte, um Bier und Gä ste von der Bahn zu holen, Leute, die sich etwas aus indianischen Ruinen machen, Liebhaber von Pyramiden; zur Zeit war nur ein einziger da, ein junger Amerikaner, der zuviel redete, aber zum Glü ck war er tagsü ber immer weg — drauß en auf den Ruinen, die auch wir, meinte er, besichtigen sollten.

Ich dachte ja nicht daran!

Jeder Schritt lö ste Schweiß aus, der sofort mit Bier ersetzt werden muß te, und es ging nur, indem man in der Hä ngematte hing mit bloß en Fü ß en und sich nicht rü hrte, rauchend, Apathie als einzi






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