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London, 14. Mai 1602 14 страница






Dort suchten wir in den Regalen bestimmt eine Stunde nach neuen Hinweisen. Das einundfü nfzigste Buch in der dritten Reihe... Einundfü nfzigste Reihe, dreiß igstes Buch, Seite vier, Zeile sieben, achtes Wort... aber egal, in welcher Ecke wir anfingen zu zä hlen - nichts machte Sinn. Schließ lich zogen wir wahllos Bü cher heraus und schü ttelten sie, in der Hoffnung, weitere Zettel zu finden. Fehlanzeige. Aber Leslie war trotzdem zuversichtlich. Sie hatte sich den Code auf einen Zettel geschrieben, den sie andauernd aus ihrer Hosentasche nahm und anschaute.»Das bedeutet irgendetwas«, murmelte sie unaufhö rlich vor sich hin.»Und ich werde auch herausfinden, was.«

Danach waren wir endlich ins Bett gegangen. Mein Wecker hatte mich morgens unsanft aus meinem traumlosen Schlaf gerü ttelt - und von dem Zeitpunkt an hatte ich fast nur noch an die Soiree gedacht.

»Da kommt Monsieur George, um dich abzuholen«, riss mich Madame Rossini aus meinen Gedanken. Sie reichte mir ein Tä schchen, mein Retikü l, und ich ü berlegte, ob ich nicht noch in letzter Sekunde das Gemü semesser dort hineinschmuggeln sollte. Entgegen Leslies Rat hatte ich nä mlich davon Abstand genommen, es mir mit Tape an den Oberschenkel zu kleben. Bei meinem Glü ck hä tte ich mich nur selber verletzt, und wie ich im Ernstfall unter meinem Rock das Tape vom Bein friemeln sollte, war mir ohnehin ein Rä tsel. Als Mr George den Raum betrat, drapierte Madame Rossini einen breiten, aufwendig bestickten Schal um meine Schultern und kü sste mich auf beide Wangen.»Viel Glü ck, mein Schwanenhä lschen«, sagte sie.»Bringen Sie sie nur heil wieder zurü ck, Monsieur George.«

Mr George lä chelte ein bisschen gequä lt. Er kam mir nicht ganz so rundlich und gemü tlich vor wie sonst.»Das liegt leider nicht in meiner Hand, Madame. Komm, mein Mä dchen, es gibt da ein paar Leute, die dich kennenlernen wollen.«

Es war bereits frü her Nachmittag, als wir eine Etage weiter nach oben in den Drachensaal gingen. Das Anziehen und Frisieren hatte ü ber zwei Stunden gedauert. Mr George war ungewö hnlich schweigsam und ich konzentrierte mich darauf, auf der Treppe nicht auf den Saum des Kleides zu treten. Ich musste an unseren letzten Besuch im 18. Jahrhundert denken und daran, wie schwierig es werden wü rde, in dieser sperrigen Garderobe Mä nnern mit einem Degen zu entkommen.

»Mr George, kö nnen Sie mir bitte das mit der florentinischen Allianz erklä ren? «, fragte ich, einer plö tzlichen Eingebung folgend.

Mr George blieb stehen.»Die florentinische Allianz? Wer hat dir denn davon erzä hlt? «

»Im Grunde niemand«, sagte ich mit einem Seufzer.»Aber ab und zu bekomme ich schon etwas mit. Ich frage auch nur, weil ich... Angst habe. Es waren die Typen der Allianz, die uns im Hyde Park ü berfallen haben, richtig? «

Mr George sah mich ernst an.»Vielleicht, ja. Wahrscheinlich sogar. Aber du musst keine Angst haben. Ich glaube nicht, dass ihr heute mit einem Angriff rechnen mü sst. Wir haben zusammen mit dem Grafen und Rakcozy alle nur erdenklichen Vorsichtsmaß nahmen ergriffen.«

Ich ö ffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Mr George fiel mir ins Wort:»Also gut, weil du sonst keine Ruhe gibst: Tatsä chlich mü ssen wir davon ausgehen, dass es im Jahr 1782 einen Verrä ter bei den Wä chtern gibt, vielleicht derselbe Mann, der auch schon in den Jahren vorher Informationen preisgegeben hat, die zu den Anschlä gen auf das Leben des Grafen von Saint Germain in Paris, in Dover, in Amsterdam und in Deutschland gefü hrt haben.«Er rieb sich ü ber seine Glatze.»In den Annalen ist dieser Mann aber nicht namentlich erwä hnt. Obwohl es dem Grafen gelungen ist, die florentinische Allianz zu zerschlagen, wurde der Verrä ter in den Reihen der Wä chter niemals entlarvt. Eure Besuche im Jahr 1782 sollen das nun ä ndern.«

»Gideon meint, Lucy und Paul hä tten etwas damit zu tun.«

»Tatsä chlich gibt es einige Hinweise, die diese Vermutung nahelegen.«Mr George zeigte auf die Tü r zum Drachensaal.»Wir haben aber jetzt keine Zeit, noch mehr ins Detail zu gehen. Egal, was auch passiert: Halt dich an Gideon. Solltet ihr getrennt werden, versteck dich irgendwo, wo du sicher auf den Rü cksprung warten kannst.«

Ich nickte. Aus irgendeinem Grund bekam ich einen ganz trockenen Mund.

Mr George ö ffnete die Tü r und ließ mir den Vortritt. Mit meinem weiten Rock kam ich gerade so an ihm vorbei. Der Raum war voller Menschen, die mich anstarrten, und prompt schoss mir vor Verlegenheit das Blut ins Gesicht. Auß er Dr. White, Falk de Villiers, Mr Whitman, Mr Marley, Gideon und dem unsä glichen Giordano standen fü nf weitere Mä nner mit dunklen Anzü gen und ernsten Gesichtern unter dem riesigen Drachen. Ich wü nschte, Xemerius wä re hier gewesen, um mir zu sagen, wer von ihnen der Innenminister und wer der Nobelpreisträ ger war, aber Xemerius hatte einen anderen Auftrag erhalten. (Nicht von mir - von Leslie. Aber dazu spä ter.)

»Meine Herren? Darf ich Ihnen Gwendolyn Shepherd vorstellen? «Das war wohl eher eine rhetorische Frage, von Falk de Villiers in feierlichem Ton vorgetragen.»Sie ist unser Rubin. Die letzte Zeitreisende im Kreis der Zwö lf.«

»Heute Abend unterwegs als Penelope Gray, Mü ndel des vierten Viscount of Batten«, ergä nzte Mr George und Giordano murmelte:»Die wahrscheinlich ab dem heutigen Abend als die Dame ohne Fä cher in die Geschichte eingehen wird.«

Ich warf einen schnellen Blick zu Gideon hinü ber, dessen weinroter, bestickter Gehrock tatsä chlich wunderbar zu meinem Kleid passte. Zu meiner groß en Erleichterung trug er keine Perü cke, sonst wä re ich vermutlich vor lauter Anspannung in hysterisches Gelä chter ausgebrochen. Aber an seinem Anblick war gar nichts Lä cherliches. Er sah einfach perfekt aus. Seine braunen Haare waren im Nacken zu einem Zopf gebunden, eine Locke fiel wie aus Versehen in seine Stirn und kaschierte geschickt die Wunde. Wie so oft konnte ich den Ausdruck in seinem Gesicht nicht wirklich deuten.

Nacheinander musste ich den unbekannten Herren die Hand schü tteln, jeder nannte mir seinen Namen (ging zum einen Ohr herein und zum anderen wieder hinaus, Charlotte hatte ja so recht, was meine Gehirnkapazitä t anging) und ich murmelte jeweils etwas wie»Freut mich sehr«oder»Guten Abend, Sir«. Alles in allem handelte es sich um recht ernste Zeitgenossen. Nur ein einziger von ihnen lä chelte, die anderen guckten, als stü nde ihnen eine Beinamputation unmittelbar bevor. Der, der lä chelte, war bestimmt der Innenminister, Politiker waren einfach freigiebiger mit ihrem Lä cheln, das brachte der Beruf so mit sich.

Giordano musterte mich von Kopf bis Fuß und ich wartete auf einen Kommentar, aber stattdessen seufzte er nur ü bertrieben laut. Falk de Villiers lä chelte auch nicht, aber wenigstens sagte er:»Das Kleid steht dir wirklich ganz hervorragend, Gwendolyn. Die echte Penelope Gray wä re sicher glü cklich, wenn sie so gut ausgesehen hä tte. Madame Rossini hat groß artige Arbeit geleistet.«

»Das stimmt! Ich habe ein Porträ t von der echten Penelope Gray gesehen. Kein Wunder, dass sie ihr Lebtag unverheiratet im hintersten Winkel von Derbyshire verbrachte«, entfuhr es Mr Marley. Gleich darauf wurde er feuerrot und starrte peinlich berü hrt auf den Boden.

Mr Whitman zitierte Shakespeare - jedenfalls nahm ich stark an, dass es Shakespeare war, Mr Whitman war geradezu besessen von Shakespeare. »Nun denn, wofü r sind Reize wohl zu achten, die einen Himmel mir zur Hö lle machten? - Oh, das ist doch kein Grund zu errö ten, Gwendolyn.«

Ich sah ihn ä rgerlich an. Blö des Eichhö rnchen! Wenn, dann war ich vorher schon rot gewesen, sicher nicht seinetwegen. Abgesehen davon hatte ich das Zitat gar nicht verstanden -es konnte genauso gut ein Kompliment wie eine Beleidigung sein.

Unerwarteterweise erhielt ich Unterstü tzung von Gideon. »Der Eingebildete ü berschä tzt sich im Verhä ltnis zu seinem eigenen Wert«, sagte er freundlich zu Mr Whitman.»Aristoteles.«

Mr Whitmans Lä cheln wurde ein wenig schmallippiger.

»Mr Whitman wollte eigentlich nur ausdrü cken, wie toll du aussiehst«, sagte Gideon zu mir und prompt schoss mir wieder das Blut wieder in die Wangen.

Gideon tat so, als wü rde er das nicht bemerken. Aber als ich ein paar Sekunden spä ter wieder zu ihm hinü berblickte, lä chelte er zufrieden vor sich hin. Mr Whitman dagegen schien sich ein weiteres Shakespeare-Zitat nur schwer verkneifen zu kö nnen.

Dr. White, hinter dessen Anzugbeinen sich Robert versteckt hatte und mich mit groß en Augen anschaute, blickte auf seine Uhr.»Wir sollten jetzt allmä hlich aufbrechen. Der Pfarrer hat um sechzehn Uhr eine Taufe.«

Der Pfarrer?

»Ihr werdet heute nicht aus dem Keller in die Vergangenheit springen, sondern aus einer Kirche in der North Audley Street«, erklä rte mir Mr George.»Damit ihr nicht so viel Zeit damit verliert, zu Lord Bromptons Haus zu gelangen.«

»Auf diese Weise minimieren wir auch die Gefahr eines Angriffs auf dem Hin- oder Rü ckweg«, sagte einer der fremden Mä nner, wofü r er einen ä rgerlichen Blick von Falk de Villiers einfing.

»Der Chronograf ist schon vorbereitet«, sagte er. Er zeigte auf eine Truhe mit silbernen Tragegriffen, die auf dem Tisch stand.»Drauß en warten zwei Limousinen. Meine Herren...«

»Viel Erfolg«, sagte der, den ich fü r den Innenminister hielt. Giordano seufzte noch einmal schwer.

Dr. White, einen Medizinkoffer (wofü r?) in der Hand, hielt die Tü r auf. Mr Marley und Mr Whitman ergriffen jeweils einen Griff der Truhe und trugen sie hinaus, so feierlich, als handle es sich um die Bundeslade.

Gideon war mit ein paar Schritten an meiner Seite und reichte mir seinen Arm.»Na, kleine Penelope, dann wollen wir dich mal der feinen Londoner Gesellschaft vorstellen«, sagte er.»Bereit? «

Nein. Ich war kein bisschen bereit. Und Penelope war wirklich ein fü rchterlicher Name. Aber mir blieb wohl keine andere Wahl. Ich blickte so gelassen wie mö glich zu Gideon auf.»Bereit, wenn du es bist.«

… gelobe ich Ehrenhaftigkeit und Hö flichkeit,

Anstä ndigkeit und Mitleid,

Widerstand gegen das Unrecht,

Hilfe fü r Schwache,

Treue gegenü ber dem Gesetz,

Bewahren der Geheimnisse,

Einhalten der Goldenen Regeln,

von jetzt an bis zu meinem Tode.

 

(Text aus der Vereidigung der Adepten)

 

Chroniken der Wä chter, Band 1,

Die Bewahrer des Geheimnisses.

 

 


Am meisten fü rchtete ich mich vor einer neuerlichen Begegnung mit dem Grafen von Saint Germain. Bei unserem letzten Treffen hatte ich seine Stimme in meinem Kopf gehö rt und seine Hand hatte meine Kehle umfasst und zusammengedrü ckt, obwohl er mehr als vier Meter von mir entfernt gestanden hatte. Ich weiß nicht genau, welche Rolle du spielst, Mä dchen oder ob du ü berhaupt wichtig bist. Aber ich dulde nicht, dass man gegen meine Regeln verstö ß t.

Es war anzunehmen, dass ich in der Zwischenzeit gegen einige seiner Regeln verstoß en hatte - man musste mir allerdings zugestehen, dass ich mich damit auch nicht auskannte. Das erfü llte mich mit einem gewissen Trotz: Da sich niemand die Mü he gemacht hatte, mir irgendwelche Regeln zu erklä ren oder gar zu begrü nden, mussten sie sich auch nicht wundern, wenn ich mich nicht daran hielt.

Ich fü rchtete mich aber auch vor allem anderen - insgeheim war ich nä mlich ü berzeugt davon, dass Giordano und Charlotte recht hatten: Ich blamierte mich sicher ganz fü rchterlich in der Rolle der Penelope Gray und jeder wü rde merken, dass mit mir etwas nicht stimmte. Fü r einen Moment fiel mir nicht mal mehr der Ort in Derbyshire ein, aus dem sie stammte. Irgendwas mit B. Oder P. Oder D. Oder...

»Hast du die Gä steliste auswendig gelernt? «Mr Whitman neben mir trug auch nicht dazu bei, meine Aufregung zu mindern. Warum zur Hö lle sollte ich die Gä steliste auswendig lernen? Mein Kopfschü tteln quittierte Mr Whitman mit einem leisen Seufzer.

»Ich kann sie auch nicht auswendig«, sagte Gideon. Er saß mir in der Limousine gegenü ber.»Es verdirbt einem doch den ganzen Spaß, wenn man immer schon vorher weiß, wem man begegnen wird.«

Ich hä tte gern gewusst, ob er auch so aufgeregt war. Ob seine Hä nde schwitzten und sein Herz so schnell klopfte wie meins. Oder war er so oft ins 18. Jahrhundert gereist, dass das schon nichts Besonderes mehr fü r ihn war?

»Du beiß t dir noch die Lippe blutig«, sagte er.

»Ich bin ein bisschen... nervö s.«

»Das merkt man. Wü rde es helfen, wenn ich deine Hand hielte? «

Ich schü ttelte vehement den Kopf.

Nein, das wü rde alles nur noch schlimmer machen, du Idiot! Abgesehen davon, dass ich, was dein Verhalten mir gegenü ber betrifft, inzwischen sowieso vö llig auf dem Schlauch stehe! Nicht zu reden von unserer Beziehung im Allgemeinen! Auß erdem guckt Mr Whitman jetzt schon wie ein besserwisserisches Eichhö rnchen!

Fast hä tte ich aufgestö hnt. Ob es mir besser gehen wü rde, wenn ich ihm ein paar von meinen Ausrufezeichengedanken laut an den Kopf werfen wü rde? Ich ü berlegte einen Moment, ließ es dann aber bleiben.

Endlich waren wir da. Als Gideon mir vor der Kirche aus dem Wagen half (in einem solchen Kleid benö tigte man fü r solche Manö ver in jedem Fall eine helfende Hand, wenn nicht sogar zwei), fiel mir auf, dass er dieses Mal keinen Degen bei sich hatte. Wie leichtsinnig!

Passanten musterten uns neugierig und Mr Whitman hielt uns das Kirchenportal auf.»Ein bisschen schneller, bitte! «, sagte er»Wir wollen doch kein Aufsehen erregen.«Nee, klar, das war ja auch kein bisschen aufsehenerregend, dass zwei schwarze Limousinen am helllichten Nachmittag in der North Audley Street parkten und Mä nner in Anzü gen die Bundeslade aus dem Kofferraum zogen und ü ber den Bü rgersteig in die Kirche trugen. Obwohl - von Weitem konnte die Truhe auch als ein kleiner Sarg durchgehen... Ich bekam eine Gä nsehaut.

»Ich hoffe, du hast wenigstens an die Pistole gedacht«, flü sterte ich Gideon zu.

»Du hast ja eine komische Vorstellung von dieser Soiree«, gab er in normaler Lautstä rke zurü ck und legte mir den Schal um die Schultern.»Hat eigentlich schon jemand den Inhalt deiner Handtasche kontrolliert? Nicht, dass mitten wä hrend eines Vortrags dein Handy klingelt.«

Bei der Vorstellung musste ich kurz lä cheln, denn mein Handyton war zurzeit ein laut quakender Frosch.»Auß er dir ist ja niemand da, der mich anrufen kö nnte«, sagte ich.

»Und ich hab nicht mal deine Nummer. Kann ich bitte trotzdem mal einen Blick in die Tasche werfen? «

»Es heiß t Retikü l«, sagte ich und hielt ihm mit einem Achselzucken den Beutel hin.

»Riechsalz, Taschentuch, Parfü m, Puder... vorbildlich«, sagte Gideon.»Wie es sich gehö rt. Komm.«Er gab mir das Retikü l zurü ck, griff nach meiner Hand und fü hrte mich durch das Kirchenportal, das Mr Whitman direkt hinter uns verriegelte. Drinnen vergaß Gideon, meine Hand loszulassen, und das war jetzt doch ganz gut so, denn sonst hä tte ich in letzter Minute Panik bekommen und wä re davongelaufen.

Auf dem freien Platz vor dem Altar waren Falk de Villiers und Mr Marley dabei, unter den skeptischen Blicken des Pfarrers (im vollen Messornat) den Chronografen aus der Bundesla- ä h... der Truhe zu befreien. Dr. White durchmaß den Raum mit groß en Schritten und sagte:»Von der vierten Sä ule elf Schritte nach links, dann geht ihr auf Nummer sicher.«

»Ich weiß nicht, ob ich dafü r garantieren kann, dass die Kirche um 18: 30 Uhr wirklich menschenleer ist«, sagte der Pfarrer nervö s.»Der Organist bleibt gern noch lä nger und es gibt einige Gemeindemitglieder, die mich an der Tü r in Gesprä che verwickeln, die ich nur schwer...«

»Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Falk de Villiers. Der Chronograf stand nun direkt auf dem Altar. Das Licht der Nachmittagssonne brach sich in den bunten Kirchenfenstern und ließ die Edelsteine unendlich riesig erscheinen.»Wir werden hier sein und Ihnen nach dem Gottesdienst helfen, Ihre Schä fchen loszuwerden.«Er blickte zu uns hinü ber.»Seid ihr so weit? «

Gideon ließ endlich meine Hand los.»Ich springe als Erster«, sagte er. Dem Pfarrer stand der Mund weit offen, als er sah, wie Gideon in einem Strudel gleiß end hellen Lichts einfach verschwand.

»Gwendolyn.«Wä hrend Falk meine Hand nahm und meinen Finger in den Chronografen schob, lä chelte er mir ermutigend zu.»Wir sehen uns in genau vier Stunden wieder.«

»Hoffentlich«, murmelte ich, da bohrte sich die Nadel auch schon in mein Fleisch, der Raum fü llte sich mit rotem Licht und ich schloss die Augen.

Als ich sie wieder ö ffnete, taumelte ich leicht und jemand hielt mich an der Schulter fest.»Alles in Ordnung«, flü sterte Gideons Stimme an meinem Ohr.

Viel konnte man nicht sehen. Nur eine einzelne Kerze erhellte den Altarraum, der Rest der Kirche lag in gespenstischem Dunkel.

»Bienvenue«, sagte eine raue Stimme aus ebendiesem Dunkel, und obwohl ich damit gerechnet hatte, zuckte ich zusammen. Eine Mä nnergestalt lö ste sich aus dem Schatten einer Sä ule und im Licht der Kerze erkannte ich das bleiche Gesicht von Rakoczy, dem Freund des Grafen. Wie bei unserer ersten Begegnung erinnerte er mich an einen Vampir, die schwarzen Augen waren ohne jeden Glanz, im spä rlichen Licht wirkten sie einmal mehr wie unheimliche schwarze Lö cher.

»Monsieur Rakoczy«, sagte Gideon auf Franzö sisch und verbeugte sich hö flich.»Ich freue mich, Euch zu sehen. Meine Begleiterin kennt Ihr ja bereits.«

»Sicher. Mademoiselle Gray, fü r heute Abend. Es ist mir eine Freude.«Rakoczy deutete eine Verbeugung an.

»Ä h, tres...«, murmelte ich.»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, wechselte ich dann ins Englische. Man konnte ja nie wissen, was man in einer fremden Sprache so mir nichts, dir nichts sagte, noch dazu, wenn man mit ihr auf Kriegsfuß stand.

»Meine Mä nner und ich werden Euch zu Lord Bromptons Haus geleiten«, sagte Rakoczy.

Gruseligerweise war von diesen Mä nnern nichts zu sehen, aber ich hö rte sie in der Dunkelheit atmen und sich bewegen, als wir hinter Rakoczy her durch das Kirchenschiff hinü ber zur Tü r gingen. Auch drauß en auf der Straß e konnte ich niemanden entdecken, obwohl ich mich mehrmals umschaute. Es war kü hl und es fiel leichter Sprü hregen, und wenn es schon Straß enlaternen gab, dann waren sie in dieser Straß e heute Abend alle kaputt. Es war so dunkel, dass ich nicht mal Gideons Gesicht neben mir richtig erkennen konnte, und ü berall schienen die Schatten lebendig zu werden, zu atmen und leise zu klirren. Ich klammerte meine Hand fest um Gideons. Wehe, er ließ mich jetzt los!

»Das sind alles meine Leute«, raunte Rakoczy.»Gute, kampferprobte Mä nner aus den Kuruzzen. Wir werden Euch auch auf dem Rü ckweg sicher geleiten.«

Wie beruhigend.

Es war nicht weit zu Lord Bromptons Haus, und je nä her wir kamen, desto weniger dü ster wurde es. Das Herrenhaus in der Wigmore Street schließ lich war hell erleuchtet und sah richtig anheimelnd aus. Rakoczys Mä nner blieben im Schatten zurü ck, er allein geleitete uns bis ins Haus, wo in der groß en Eingangshalle, von der eine pompö se Treppe mit geschwungenem Gelä nder in den ersten Stock fü hrte, Lord Brompton hö chstpersö nlich auf uns wartete. Er war noch genauso dick, wie ich ihn in Erinnerung hatte, und im Licht der vielen Kerzen glä nzte sein Gesicht fettig.

Die Halle war bis auf den Lord und vier Lakaien leer. Die Diener warteten, ordentlich neben einer Tü r aufgereiht, auf weitere Anweisungen. Von der angekü ndigten Gesellschaft war nichts zu sehen, doch Stimmengewirr und einige Takte einer geklimperten Melodie drangen gedä mpft an mein Ohr.

Wä hrend Rakoczy sich mit einer Verbeugung zurü ckzog, wurde mir klar, warum Lord Brompton uns gleich hier persö nlich in Empfang nahm, bevor uns jemand zu Gesicht bekommen konnte. Er versicherte, wie ü beraus erfreut er sei und wie sehr er unser erstes Treffen genossen habe, aber dass es -»ä hem, ä hem«- klü ger sei, ebendieses Treffen seiner Frau gegenü ber nicht zu erwä hnen.

»Nur um Missverstä ndnissen vorzubeugen«, sagte er. Dabei zwinkerte er ununterbrochen, als hä tte er etwas ins Auge bekommen, und kü sste mindestens dreimal meine Hand.»Der Graf hat mir versichert, dass Ihr aus einer der besten Familien Englands stammt, ich hoffe, Ihr verzeiht mir meine Unverschä mtheiten bei unserem amü santen Gesprä ch ü ber das 21. Jahrhundert und meine absurde Idee, Ihr kö nntet Schauspieler sein.«Wieder zwinkerte er ü bertrieben.

»Das ist sicher auch unsere Schuld«, sagte Gideon glatt.»Der Graf hat ja alles versucht, um Euch auf diese falsche Fä hrte zu setzen. Wo wir gerade unter uns sind: Er ist ein wunderlicher alter Herr, nicht wahr? Meine Ziehschwester und ich sind schon an seine Scherze gewö hnt, aber wenn man ihn nicht so gut kennt, ist der Umgang mit ihm oft ein wenig befremdlich.«Er nahm mir den Schal ab und reichte ihn einem der Lakaien.»Nun - wie dem auch sei. Wir hö rten, dass Euer Salon ü ber ein ausgezeichnetes Pianoforte und eine wunderbare Akustik verfü gt. Wir haben uns jedenfalls sehr ü ber Lady Bromptons Einladung gefreut.«

Lord Brompton verlor sich ein paar Sekunden lang im Anblick meines Dekolletes, dann sagte er:»Und sie wird ebenfalls entzü ckt sein, Eure Bekanntschaft zu machen. Kommt, die anderen Gä ste sind alle schon da.«Er reichte mir seinen Arm.»Miss Gray? «

»Mylord.«Ich warf Gideon einen Blick zu und er lä chelte ermutigend, wä hrend er uns in den Salon folgte, den man durch eine geschwungene Flü geltü r direkt von der Eingangshalle erreichte.

Unter Salon hatte ich mir so etwas wie ein Wohnzimmer vorgestellt, aber der Raum, den wir jetzt betraten, konnte es fast mit unserem Ballsaal zu Hause aufnehmen. In einem groß en Kamin an einer der Lä ngsseiten loderte ein Feuer und vor den Fenstern mit den schweren Vorhä ngen stand ein Spinett. Mein Blick glitt ü ber zierliche Tischchen mit ausladenden Beinen, Sofas mit bunten Mustern und Stü hlen mit goldenen Armlehnen. Das Ganze wurde durch Hunderte von Kerzen angestrahlt, die ü berall hingen und standen und dem Raum ein so wunderbar magisches Glitzern verliehen, dass ich fü r einen Moment ganz sprachlos vor Entzü cken war. Leider strahlten sie aber auch viele fremde Menschen an und in mein Staunen (ich presste, Giordanos Ermahnungen im Kopf, meine Lippen fest zusammen, damit mein Mund nicht aus Versehen offen stehen blieb) mischte sich jetzt wieder die Angst. Das sollte eine kleine, intime Abendgesellschaft sein? Wie sah dann bloß erst der Ball aus?

Ich kam nicht dazu, mir einen genaueren Ü berblick zu verschaffen, denn Gideon zog mich schon unerbittlich in die Menge. Viele Augenpaare musterten uns neugierig und einen Augenblick spä ter eilte eine kleine, rundliche Frau auf uns zu, die sich als Lady Brompton entpuppte.

Sie trug ein samtbesetztes hellbraunes Kleid und ihr Haar war unter einer voluminö sen Perü cke verborgen, die, wenn man die vielen Kerzen hier bedachte, ungeheuer brandgefä hrlich aussah. Unsere Gastgeberin hatte ein nettes Lä cheln und sie begrü ß te uns herzlich. Ganz automatisch versank ich in eine Reverenz, wä hrend Gideon die Gelegenheit nutzte, mich allein zu lassen, beziehungsweise ließ er sich von Lord Brompton weiterziehen. Ehe ich noch entscheiden konnte, ob ich nun darü ber sauer sein sollte, hatte mich Lady Brompton schon in ein Gesprä ch verwickelt. Glü cklicherweise fiel mir genau im richtigen Moment der Name des Ortes wieder ein, in dem ich - beziehungsweise Penelope Gray - lebte. Durch ihr begeistertes Nicken ermutigt, versicherte ich Lady Brompton, dass es dort zwar friedlich und ruhig sei, es aber an gesellschaftlicher Zerstreuung fehle, die mich hier in London schier ü berwä ltigen wü rde.

»Das werdet Ihr sicher nicht mehr denken, wenn Genoveva Fairfax auch heute wieder ihr gesamtes Repertoire auf dem Pianoforte zum Besten geben darf.«Eine Dame in einem primelfarbenen Kleid trat zu uns.»Im Gegenteil, ich bin mir ziemlich sicher, dann werdet Ihr Euch nach den Zerstreuungen des Landlebens zurü cksehen.«

»Pssst«, machte Lady Brompton, aber sie kicherte dabei.»Das ist ungezogen, Georgiana! «Wie sie mich so verschwö rerisch anstrahlte, kam sie mir plö tzlich ziemlich jung vor. Wie war sie nur an diesen fetten alten Sack geraten?

»Ungezogen vielleicht, aber wahr! «Die Dame in Gelb (selbst im Kerzenlicht eine so unvorteilhafte Farbe!) teilte mir mit gesenkter Stimme mit, dass ihr Gatte bei der letzten Soiree eingeschlafen sei und laut zu schnarchen angefangen habe.

»Das kann heute nicht passieren«, versicherte mir Lady Brompton.»Wir haben doch den wunderbaren, mysteriö sen Grafen von Saint Germain zu Besuch, der uns nachher noch auf seiner Violine beglü cken wird. Und Lavinia kann es gar nicht erwarten zu singen, im Duett mit unserem Mr Merchant.«

»Dazu musst du ihm aber erst noch ordentlich Wein einflö ß en«, sagte die Dame in Gelb, lä chelte mich breit an und zeigte dabei ganz offen ihre Zä hne. Ich lä chelte automatisch genauso breit zurü ck. Ha! Ich hatte es ja gewusst. Giordano war nichts als ein mieser Wichtigtuer!

Irgendwie waren die sowieso viel lockerer drauf, als ich gedacht hatte.

»Das ist ein reiner Balanceakt«, seufzte Lady Brompton und ihre Perü cke zitterte ein wenig.»Zu wenig Wein und er wird nicht singen, zu viel und er singt unanstä ndige Seemannslieder. Kennt Ihr den Grafen von Saint Germain, meine Liebe? «

Sofort wurde ich wieder ernst und schaute mich unwillkü rlich um.»Ich wurde ihm bereits vor ein paar Tagen vorgestellt«, sagte ich und unterdrü ckte ein Zä hneklappern.»Mein Ziehbruder... ist mit ihm bekannt.«Mein Blick fiel auf Gideon, der in der Nä he des Kamins stand und gerade mit einer zierlichen jungen Frau in einem umwerfend schö nen grü nen Kleid sprach. Sie sahen aus, als ob sie sich schon lä nger kennen wü rden. Auch sie lachte so, dass man ihre Zä hne sehen konnte. Es waren schö ne Zä hne, keine verfaulten lü ckenhaften Stumpen, wie Giordano es mir hatte weismachen wollen.

»Ist der Graf nicht einfach unglaublich? Ich kö nnte ihm stundenlang zuhö ren, wenn er erzä hlt«, sagte die Dame in Gelb, nachdem sie mir erklä rt hatte, dass sie Lady Bromptons Cousine war.»Vor allem die Geschichten aus Frankreich liebe ich! «

»Ja, die pikanten Geschichten«, sagte Lady Brompton.»Die sind natü rlich nichts fü r die unschuldigen Ohren einer Debü tantin.«

Ich suchte mit den Augen den Raum nach dem Grafen ab und fand ihn in einer Ecke sitzend, im Gesprä ch mit zwei weiteren Mä nnern. Von Weitem wirkte er elegant und alterslos, und als ob er meine Blicke gespü rt hä tte, richtete er seine dunklen Augen auf mich.

Der Graf war ä hnlich wie alle Mä nner im Saal gekleidet - er trug eine Perü cke und einen Gehrock, dazu etwas alberne Kniebundhosen und merkwü rdige Schuhe mit Schnallen. Aber im Gegensatz zu den anderen kam er mir nicht so vor, als sei er geradewegs aus einem Kostü mfilm entsprungen, und zum ersten Mal wurde mir so richtig bewusst, wo ich hier eigentlich gelandet war.

Seine Lippen krä uselten sich zu einem Lä cheln und ich neigte hö flich den Kopf, wä hrend mein ganzer Kö rper sich mit einer Gä nsehaut ü berzog. Nur mit Mü he unterdrü ckte ich den Reflex, an meine Kehle zu greifen. Ich wollte ihn lieber gar nicht erst auf dumme Gedanken bringen.

»Euer Ziehbruder ist ü brigens ein wirklich gut aussehender Mann, meine Liebe«, sagte Lady Brompton.»Ganz entgegen den Gerü chten, die an uns herangetragen wurden.«

Ich lö ste meinen Blick vom Grafen von Saint Germain und schaute wieder zu Gideon hinü ber.»Das stimmt. Er ist wirklich sehr... gut aussehend.«Das schien die Dame in Grü n auch zu finden. Sie zupfte gerade mit einem koketten Lä cheln sein Halstuch zurecht. Giordano hä tte mich fü r ein solches Verhalten vermutlich getö tet.»Wer ist denn die Dame, die ihn da befu... ä h, mit der er spricht? «






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