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London, 14. Mai 1602 6 страница






»Ja«, sagte ich.»Das ist mir auch schon aufgefallen.«

»Aber da ist sie ja nicht die Einzige«, sagte Nick und warf einen vielsagenden Blick auf Charlotte und Tante Glenda, die immer noch lä chelte.

 

Noch nie hatte ich beim Betreten des Klassenraumes so viel Aufmerksamkeit erhalten wie heute. Das lag daran, dass die Hä lfte meiner Mitschü ler gesehen hatte, wie ich am Nachmittag zuvor von einer schwarzen Limousine abgeholt worden war.

»Noch werden Wetten entgegengenommen«, sagte Gordon Gelderman.»Super Quote fü r Nummer eins: Der lä ssige, schwule Typ von gestern ist ein Fernsehproduzent und hat Charlotte und Gwendolyn fü r eine Show gecastet, aber Gwendolyn hat gewonnen, Mö glichkeit Nummer zwei: Der Typ ist euer schwuler Cousin und betreibt einen Limousinenservice, Mö glichkeit Nummer drei...«

»Ach, halt die Klappe Gordon«, fauchte Charlotte, warf das Haar zurü ck und setzte sich auf ihren Platz.

»Ich finde, du kö nntest uns schon erklä ren, wieso du mit dem Typ rumgemacht hast, aber Gwendolyn anschließ end mit ihm in die Limousine gestiegen ist«, sagte Cynthia Dale in einschmeichelndem Tonfall.»Leslie wollte uns weismachen, er sei Gwendolyns Nachhilfelehrer! «

»Klar, ein Nachhilfelehrer kommt ja auch mit einer Limousine angefahren und hä lt mit unserer Eiskö nigin Hä ndchen«, sagte Gordon und sah Leslie bö se an.»Hier liegen ganz klar armselige Verschleierungsversuche vor.«

Leslie zuckte mit den Schultern und grinste mich an.»Was Besseres ist mir auf die Schnelle nicht eingefallen.«Sie ließ sich auf ihren Stuhl sinken.

Ich sah mich nach Xemerius um. Das letzte Mal hatte ich ihn auf dem Schuldach hocken sehen, von wo aus er mir frö hlich zugewinkt hatte. Er hatte zwar Anweisung, sich wä hrend des Unterrichts von mir fernzuhalten, aber ich glaubte nicht, dass er sich daran halten wü rde.

»Der grü ne Reiter scheint eine echte Sackgasse zu sein«, sagte Leslie in gedä mpftem Tonfall. Im Gegensatz zu mir hatte sie in der Nacht nicht viel geschlafen, sondern wieder Stunden im Internet verbracht.»Eine berü hmte kleine Jadefigur aus der Ming-Dynastie heiß t so, aber die steht in einem Museum in Peking, dann gibt es noch ein Standbild auf einem Marktplatz in einer deutschen Stadt namens Cloppenburg und zwei Bü cher mit diesem Titel, einen Roman von 1926 und ein Kinderbuch, das aber erst nach dem Tod deines Groß vaters erschienen ist. Das war alles, bisher.«

»Ich hatte gedacht, es kö nnte vielleicht ein Gemä lde sein«, sagte ich. In Filmen waren die Geheimnisse auch immer hinter oder in Gemä lden versteckt.

»Fehlanzeige«, sagte Leslie.»Wenn es ein blauer Reiter wä re, sä he die Sache schon ganz anders aus... Ich habe DER GRUENE REITER auch mehrmals durch einen Anagrammgenerator gejagt. Aber - na ja, falls ERDIGER EUTER REN etwas bedeuten sollte, erschließ t es sich mir nicht. Ich habe mal ein paar ausgedruckt, vielleicht klingelt es ja bei dir da irgendwo? «Sie reichte mir ein Blatt.

»ERREGEND IRE RUTE«, las ich.»DEGEN IRRE ER TREU. Hm, hm, lass mich ü berlegen...«

Leslie kicherte.»Mein Liebling ist: ENDE EIER ER GURRT. Oh, Mr Eichhö rnchen ist im Anmarsch! «

Sie meinte Mr Whitman, der den Klassenraum wie ü blich mit dynamischen Schritten betrat. Seinen Spitznamen hatte er von uns wegen seiner riesigen braunen Augen verpasst bekommen. Damals hatten wir allerdings noch keine Ahnung gehabt, wer er wirklich war.

»Ich warte immer noch darauf, dass wir wegen gestern einen Disziplinarverweis bekommen«, sagte ich, aber Leslie schü ttelte den Kopf.

»Geht nicht«, gab sie knapp zurü ck.»Oder soll Direktor Gilles etwa erfahren, dass sein Englischlehrer ein wichtiges Mitglied in einer unheimlich geheimen Geheimgesellschaft ist? Denn genau das wü rde ich sagen, wenn er uns verpetzt. Oh, Shit, er kommt hierher. Und er guckt schon wieder so - ü berheblich! «

Mr Whitman kam tatsä chlich auf uns zu. Er legte den dicken Ordner, den er gestern im Mä dchenklo konfisziert hatte, vor Leslie auf den Tisch.»Ich dachte mir, du hä ttest diese... hochinteressante Blä ttersammlung gern zurü ck«, sagte er spö ttisch.

»Ja, danke«, erwiderte Leslie und wurde ein bisschen rot. Bei der Blä ttersammlung handelte es sich um ihren groß en Zeitreisephä nomen-Erforschungsordner, in dem einfach alles stand, was wir beide (vor allem natü rlich Leslie) bisher ü ber die Wä chter und den Grafen von Saint Germain herausgefunden hatten. Auf Seite 34, gleich hinter den gesammelten Einträ gen zum Thema Telekinese, fand sich auch eine Notiz, die Mr Whitman persö nlich betraf. Eichhö rnchen ebenfalls Mitglied der Loge? Ring. Bedeutung? Wir konnten nur hoffen, dass Mr Whitman speziell diese Notiz nicht auf sich bezogen hatte.

»Leslie, ich sage es nur ungern, aber ich denke, du kö nntest deine Energie besser in einige Schulfä cher investieren.«Mr Whitman hatte ein Lä cheln aufgesetzt, aber in seinem Tonfall schwang noch etwas anderes mit als purer Spott. Er senkte seine Stimme.»Nicht alles, was einem interessant erscheint, ist auch gut fü r einen.«

War das etwa eine Drohung? Leslie nahm den Ordner schweigend entgegen und verstaute ihn in ihrer Schultasche.

Die anderen schauten neugierig zu uns hinü ber. Offensichtlich fragten sie sich, wovon Mr Whitman redete. Charlotte saß nahe genug, um ihn zu verstehen, und sie hatte einen unverkennbar schadenfrohen Blick aufgesetzt. Als Mr Whitman sagte:»Und du, Gwendolyn, solltest allmä hlich begreifen, dass Diskretion eine der Eigenschaften ist, die von dir nicht nur gewü nscht, sondern sogar gefordert wird«, nickte sie zustimmend.»Es ist wirklich schade, dass du dich als so unwü rdig erweist.«

Wie ungerecht! Ich beschloss, Leslies Beispiel zu folgen, und Mr Whitman und ich starrten uns ein paar Sekunden lang stumm an. Dann wurde sein Lä cheln breiter und er tä tschelte unversehens meine Wange.»Na, aber Kopf hoch! Ich bin sicher, dass du noch eine Menge lernen kannst«, sagte er im Weitergehen.»Und Gordon, wie sieht es aus? Ist dein Aufsatz wieder mal komplett aus dem Internet abgeschrieben? «

»Sie sagen doch immer, wir dü rften alle Quellen nutzen, die wir finden«, verteidigte sich Gordon, wobei er es schaffte, seine Stimmhö he in diesem einen Satz ü ber zwei Oktaven zu variieren.

»Was wollte Whitman von euch? «Cynthia Dale beugte sich zu uns nach hinten.»Was war das fü r ein Ordner? Und warum hat er dich gestreichelt, Gwendolyn? «

»Kein Grund zu Eifersucht, Cyn«, sagte Leslie.»Er hat uns kein Stü ck lieber als dich.«

»Ach«, sagte Cynthia.»Ich bin gar nicht eifersü chtig. Ich meine, hallo? Warum denken immer alle, ich sei in den Mann verliebt? «

»Vielleicht weil du die Vorsitzende des William-Whitman-Fanclubs bist? «, schlug ich vor.

»Oder weil du zwanzigmal Cynthia Whitman auf einen Zettel geschrieben hast, mit der Begrü ndung, du wolltest wissen, wie sich das anfü hlt? «, sagte Leslie.

»Oder weil du...«

»Schon gut«, zischte Cynthia.»Das war einmal. Das ist lä ngst vorbei.«

»Das war vorgestern«, sagte Leslie.

»Mittlerweile bin ich reifer und erwachsener geworden.«Cynthia seufzte und sah sich in der Klasse um.»Daran sind nur alle diese Kindskö pfe schuld. Hä tten wir halbwegs vernü nftige Jungs in der Klasse, brauchte sich niemand in einen Lehrer vergucken. Apropos. Was ist jetzt eigentlich mit diesem Typen, der dich gestern in der Limousine abgeholt hat, Gwenny? Lä uft da was zwischen euch? «

Charlotte ließ ein amü siertes Schnauben hö ren und hatte damit sogleich wieder Cynthias Aufmerksamkeit.»Jetzt mach es doch nicht immer so spannend, Charlotte. Hat eine von euch beiden was mit dem? «

Mr Whitman hatte sich inzwischen hinter sein Pult postiert und forderte uns auf, uns mit Shakespeare und seinen Sonetten zu beschä ftigen.

Ausnahmsweise war ich ihm ganz dankbar dafü r. Besser Shakespeare als Gideon! Das Geschwä tz ringsherum verstummte und machte Seufzern und Papiergeraschel Platz. Ich bekam aber noch mit, dass Charlotte sagte:»Also Gwenny ganz sicher nicht.«

Leslie sah mich mitleidig an.»Sie hat ja keine Ahnung«, flü sterte sie.»Eigentlich kann sie einem nur leidtun.«

»Ja«, flü sterte ich zurü ck, aber in Wirklichkeit hatte ich nur Mitleid mit mir selbst. Der Nachmittag in Charlottes Gesellschaft wü rde bestimmt ein riesengroß es Vergnü gen werden.

 

Die Limousine wartete nach Schulschluss diesmal nicht direkt vor dem Tor auf uns, sondern diskret ein Stü ck weit die Straß e hinunter. Der rothaarige Mr Marley ging davor nervö s auf und ab und wurde noch nervö ser, als er uns auf sich zukommen sah.

»Ach, Sie sind's«, sagte Charlotte auffallend unerfreut und Mr Marley errö tete. Charlotte warf durch die geö ffnete Tü r einen Blick ins Innere der Limousine. Sie war leer, bis auf den Fahrer und - Xemerius. Charlotte sah enttä uscht aus, was mir wiederum Auftrieb gab.

»Du hast mich wohl vermisst? «Xemerius lü mmelte sich zufrieden in die Sitze, als der Wagen losschnurrte. Mr Marley war vorne eingestiegen und Charlotte neben mir starrte stumm aus dem Fenster.

»Das ist gut«, sagte Xemerius, ohne meine Antwort abzuwarten.»Aber du verstehst sicher, dass ich auch noch andere Verpflichtungen habe, als immer nur auf dich aufzupassen.«

Ich verdrehte meine Augen und Xemerius kicherte.

Ich hatte ihn wirklich vermisst. Der Unterricht hatte sich gezogen wie Kaugummi, und spä testens als Mrs Counter endlos ü ber die Bodenschä tze des Baltikums referierte, hatte ich mich nach Xemerius und seinen Bemerkungen gesehnt. Auß erdem hä tte ich ihn gern Leslie vorgestellt, so gut das eben mö glich gewesen wä re. Leslie war nä mlich ganz entzü ckt von meinen Schilderungen, auch wenn meine Zeichenversuche eher weniger schmeichelhaft fü r den armen Wasserspeierdä mon ausgefallen waren. (»Was sind denn das fü r Wä scheklammern? «, hatte Leslie wissen wollen und auf die Hö rner gezeigt, die ich gemalt hatte.)

»Endlich mal ein unsichtbarer Freund, der dir nü tzlich sein kann! «, hatte sie begeistert gesagt.»Ü berleg doch mal: Anders als James, der doch nur sinnfrei in seiner Nische herumsteht und ü ber deine schlechten Manieren meckert, kann dieser Wasserspeier fü r dich spionieren und nachsehen, was sich hinter verschlossenen Tü ren abspielt.«

Den Gedanken hatte ich noch gar nicht gehabt. Aber tatsä chlich - heute Morgen bei dieser Geschichte mit dem Re-ti... Revi... mit dem veralteten Begriff fü r Handtasche hatte sich Xemerius wirklich sehr nü tzlich gemacht.

»Xemerius kö nnte dein Trumpf im Ä rmel sein«, hatte Leslie gemeint.»Nicht nur ein beleidigter Nichtsnutz wie James.«

Leider hatte sie recht, was James betraf. James war - ja, was war er eigentlich? Hä tte er mit Ketten rasseln oder Kronleuchter zum Beben bringen kö nnen, hä tte man ihn wohl offiziell als unser Schulgespenst bezeichnen kö nnen. James August Peregrin Pimplebottom war ein ungefä hr zwanzig Jahre alter hü bscher Junge mit weiß gepuderter Perü cke und einem geblü mten Gehrock und er war seit zweihundertneunundzwanzig Jahren tot. Die Schule war einst sein Elternhaus gewesen und wie die meisten Geister wollte er nicht wahrhaben, dass er gestorben war. Fü r ihn waren die Jahrhunderte seines Geisterlebens wie ein einziger seltsamer Traum, aus dem er immer noch zu erwachen hoffte. Leslie vermutete, er habe den entscheidenden Part mit dem Tunnel, an dessen Ende ein gleiß endes Licht lockte, wohl einfach verpennt.

»James ist ja auch nicht ganz nutzlos«, hatte ich widersprochen. Schließ lich hatte ich erst am Tag zuvor beschlossen, dass James mir - als Kind des 18. Jahrhunderts - sehr wohl behilflich sein konnte, zum Beispiel als Fechtlehrer. Ich hatte mich fü r ein paar Stunden an der grandiosen Vorstellung gefreut, dank James auch so geschickt mit dem Degen umgehen zu kö nnen wie Gideon. Leider hatte sich das als riesengroß er Irrtum herausgestellt.

Bei unserer ersten (und wie es aussah auch letzten) Fechtstunde vorhin in der Mittagspause im leeren Klassenraum hatte Leslie vor Lachen auf dem Boden gelegen. Natü rlich hatte sie James und seine in meinen Augen wirklich sehr professionell wirkenden Bewegungen nicht sehen und seine Kommandos -»Nur parieren, Miss Gwendolyn, nur parieren! Terz! Prime! Terz! Quinte! «- nicht hö ren kö nnen. Sie hatte nur mich gesehen, wie ich mit Mrs Counters Zeigestock verzweifelt in der Luft herumfuchtelte - gegen einen unsichtbaren Degen, der sich wie Luft durchschneiden ließ. Nutzlos. Und lä cherlich.

Als Leslie genug gelacht hatte, meinte sie, James solle mir lieber etwas anderes beibringen, und James war ausnahmsweise ihrer Meinung gewesen. Degengefechte und ü berhaupt Kä mpfe aller Art seien Mä nnersache, sagte er, das Gefä hrlichste, das Mä dchen seiner Ansicht nach in die Hand nehmen dü rften, seien Sticknadeln.

»Ohne Zweifel wä re die Welt ein besserer Ort, wenn auch Mä nner sich an diese Regel hielten«, hatte Leslie gesagt.»Aber solange sie das nicht tun, sollten Frauen vorbereitet sein.«Und James war beinahe in Ohnmacht gefallen, als Leslie ein zwanzig Zentimeter langes Messer aus ihrer Schultasche gezogen hatte.»Damit kannst du dich besser zur Wehr setzen, wenn dir noch mal ein fieser Kerl in der Vergangenheit ans Leder mö chte.«

»Das sieht aus wie ein...«

»...japanisches Kochmesser. Schneidet durch Gemü se und rohen Fisch wie Butter. «

Mir war ein Schauder den Rü cken hinuntergelaufen.

»Es ist nur fü r den Notfall«, hatte Leslie hinzugefü gt.»Nur, damit du dich ein bisschen sicherer fü hlen kannst. Es war die beste Waffe, die ich so auf die Schnelle ohne Waffenschein kriegen konnte.«

Das Messer steckte mittlerweile in einem zur Messerscheide umfunktionierten Brillenetui von Leslies Mum in meiner Schultasche, zusammen mit einer Rolle Tape, die mir, wenn man Leslie Glauben schenken wollte, noch gute Dienste leisten wü rde.

Der Fahrer fuhr schwungvoll in eine Kurve und Xemerius, der sich nicht rechtzeitig festgehalten hatte, schlitterte ü ber das glatte Lederpolster und prallte gegen Charlotte. Hastig rappelte er sich wieder auf.

»Steif wie eine Kirchensä ule«, kommentierte er und schü ttelte seine Flü gel. Er musterte sie von der Seite.»Haben wir die jetzt den ganzen Tag an der Backe? «

»Ja - leider«, sagte ich.

»Ja leider was? «, fragte Charlotte.

»Leider habe ich schon wieder kein Mittagessen gehabt«, sagte ich.

»Selber schuld«, erwiderte Charlotte.»Aber ehrlich gesagt schadet es dir nicht, ein paar Pfund abzuspecken. Schließ lich musst du ja in die Kleider passen, die Madame Rossini fü r mich angefertigt hat.«Sie presste kurz ihre Lippen aufeinander und ich spü rte so etwas wie Mitleid in mir aufkeimen. Wahrscheinlich hatte sie sich ehrlich darauf gefreut, die Kostü me von Madame Rossini tragen zu kö nnen, und dann war ich gekommen und hatte alles kaputt gemacht. Natü rlich nicht mit Absicht, aber trotzdem.

»Ich habe das Kleid, das ich fü r meinen Besuch beim Grafen von Saint Germain anziehen musste, zu Hause im Schrank«, sagte ich.»Wenn du willst, gebe ich es dir. Du kö nntest es bei Cynthias nä chster Kostü mparty anziehen - ich wette, alle wü rden bei deinem Anblick umfallen! «

»Das Kleid gehö rt dir nicht«, sagte Charlotte schroff.»Es ist Eigentum der Wä chter, du kannst nicht darü ber bestimmen. Bei dir zu Hause im Kleiderschrank hat es nichts verloren.«Sie sah wieder aus dem Fenster.

»Mecker, mecker, mecker«, sagte Xemerius.

Charlotte machte es einem wirklich nicht leicht, sie zu mö gen, das hatte sie noch nie gekonnt. Trotzdem fand ich diese frostige Atmosphä re bedrü ckend. Ich startete einen erneuten Versuch.»Charlotte...? «

»Wir sind gleich da«, unterbrach sie mich.»Ich bin so gespannt, ob wir irgendwen vom Inneren Kreis zu Gesicht bekommen.«Ihre mü rrische Miene hellte sich urplö tzlich auf.»Also, ich meine, auß er denen, die wir schon kennen. Das ist ungeheuer aufregend. In den nä chsten Tagen wird es in Temple nur so von lebenden Legenden wimmeln. Berü hmte Politiker, Nobelpreisträ ger und hochdekorierte Wissenschaftler werden sich in diesen heiligen Hallen aufhalten, ohne dass die Welt etwas davon mitbekommt. Koppe Jö tland wird hier sein, oh, und Jonathan Reeves-Haviland... - ich wü rde ihm zu gern mal die Hand schü tteln.«Fü r ihre Verhä ltnisse klang Charlotte richtig begeistert.

Ich hingegen hatte keine Ahnung, von wem sie da sprach. Ich sah Xemerius fragend an, aber er zuckte nur mit den Schultern.»Von den Pappnasen habe ich noch nie etwas gehö rt, sorry«, sagte er.

»Man kann ja auch nicht alles wissen«, erwiderte ich mit einem verstä ndnisvollen Lä cheln.

Charlotte seufzte.»Nein, aber es schadet nichts, ab und an eine seriö se Tageszeitung zu lesen oder ein Nachrichtenmagazin anzuschauen, um sich ü ber die aktuelle Weltpolitik zu informieren. Klar, dazu mü sste man auch mal das Gehirn einschalten... oder ü berhaupt eins haben.«

Wie gesagt, sie machte es einem nicht leicht.

Die Limousine hatte angehalten und Mr Marley ö ffnete die Wagentü r. Auf Charlottes Seite, wie mir auffiel.

»Mr Giordano erwartet Sie im Alten Refektorium«, sagte Mr Marley und ich hatte das Gefü hl, dass er nur mit Mü he das Wort»Sir«unterdrü cken konnte.»Ich soll Sie hingeleiten.«

»Ich kenne den Weg«, sagte Charlotte und drehte sich zu mir um.»Komm! «

»Irgendwas hast du an dir, dass alle Leute dich rumkommandieren wollen«, sagte Xemerius.»Soll ich mitgehen? «

»Ja, bitte«, sagte ich, wä hrend wir in die engen Gassen von Temple eintauchten.»Ich fü hle mich besser, wenn du dabei bist.«

»Kaufst du mir einen Hund? «»Nein! «

»Aber du hast mich lieb, stimmt's? Ich glaube, ich muss mich ö fters mal rarmachen! «»Oder nü tzlich«, sagte ich und dachte an Leslies Worte. Xemerius kö nnte dein Ass im Ä rmel sein. Sie hatte recht. Wann hatte man schon einmal einen Freund, der durch Wä nde gehen konnte?

»Trö dle nicht so«, sagte Charlotte. Sie und Mr Marley gingen ein paar Meter vor uns nebeneinanderher und erst jetzt fiel mir auf, wie ä hnlich sie sich waren.

»Jawohl, Frä ulein Rottenmeier«, sagte ich.

Meet the time as it seeks us.

(Begegnen wir der Zeit, wie sie uns sucht.)

 

(The Tragedy of Cymbeline, William Shakespeare)

 

 


Um es kurz zu machen: Der Unterricht mit Charlotte und Mr Giordano war noch viel schrecklicher, als ich es mir hatte trä umen lassen. Das lag vor allem daran, dass man versuchte, mir alles gleichzeitig beizubringen: Wä hrend ich (angetan mit einem kirschrot gestreiften Reifrock, der sehr apart zu der kartoffelpü reefarbenen Bluse meiner Schuluniform aussah) mit den Tanzschritten des Menuetts kä mpfte, sollte ich gleichzeitig begreifen, inwieweit sich die politischen Ansichten der Whigs von denen der Tories unterschieden, wie man einen Fä cher hielt und was der Unterschied zwischen»Hoheit«,»Durchlaucht«und»Erlaucht«war. Nach nur einer Stunde und siebzehn verschiedenen Art und Weisen, einen Fä cher zu ö ffnen, hatte ich stechende Kopfschmerzen und wusste nicht mehr, wo rechts und links war. Mein Versuch, das Ganze mit einem Witz aufzulockern -»Kö nnen wir nicht mal eine kleine Pause machen, ich bin total durchlaucht«-, kam auch nicht gut an.

»Das ist nicht komisch«, nä selte Giordano.»Dummes Ding.«

Das Alte Refektorium war ein grö ß erer Raum im Erdgeschoss mit hohen Fenstern, die auf einen Innenhof hinausgingen. Bis auf einen Flü gel und ein paar an der Wand stehende Stü hle gab es kein Mobiliar. Xemerius hä ngte sich daher wie so oft kopfü ber an einen Kronleuchter und faltete seine Flü gel ordentlich auf dem Rü cken zusammen.

Mr Giordano hatte sich mit den Worten»Giordano, nur Giordano bitte«vorgestellt.»Promovierter Historiker, berü hmter Modeschö pfer, Reikimeister, kreativer Schmuckdesigner, bekannter Choreograf, Adept dritten Grades, Fachmann fü r das 18. und 19. Jahrhundert.«

»Ach du Scheiß e«, sagte Xemerius.»Da hat aber jemand als Kind zu heiß gebadet.«

Ich konnte ihm im Stillen leider nur recht geben. Mr Giordano, pardon nur Giordano, erinnerte fatal an einen dieser durchgedrehten Verkä ufer auf einem Home-Order-TV-Kanal, die immer sprachen, als hä tten sie eine Wä scheklammer auf der Nase und als wü rde ihnen unter dem Tisch gerade ein Rehpinscher in die Wade beiß en. Ich wartete nur darauf, dass er seine (aufgespritzten?) Lippen zu einem Lä cheln verzog und sagte:»Und nun, liebe Zuschauer, kommen wir zu unserem Modell Brigitte, das ist ein Zimmerbrunnen der absoluten Extraklasse, eine kleine Oase des Glü cks, und das fü r nur siebenundzwanzig Pfund, absolutes Schnä ppchen, da mü ssen Sie einfach zugreifen, ich habe selber zwei Stü ck davon zu Hause...«

Stattdessen sagte er - ohne zu lä cheln -»Meine liebe Charlotte, hallohallohallö chen«und kü sste die Luft links und rechts neben ihren Ohren.»Ich habe gehö rt, was passiert ist und finde es un-glaub-lich! All diese Jahre des Trainings und so viel Talent vergeudet! Es ist ein Jammer, ein himmelschreiender Skandal und so ungerecht... Und das ist sie nun, ja? Deine Zweitbesetzung.« Wä hrend er mich von Kopf bis Fuß musterte, spitzte er seine wulstigen Lippen. Ich konnte nicht anders, ich starrte ganz fasziniert zurü ck. Er hatte eine eigenartige Sturmfrisur, die mit Unmengen von Gel und Haarspray auf seinem Kopf festzementiert worden sein musste. Schmale schwarze Barte durchzogen die untere Gesichtshä lfte wie Flü sse eine Landkarte. Seine Augenbrauen waren in Form gezupft und mit einer Art schwarzem Edding nachgezeichnet, und wenn mich nicht alles tä uschte, war seine Nase gepudert.

»Und das soll sich bis ü bermorgen Abend organisch in eine Soiree des Jahres 1782 einfü gen? «, sagte er. Mit»das«war offensichtlich ich gemeint. Mit Soiree etwas anderes. Die Frage war nur, was.

»Hey, hey, ich glaube, Plusterlippe hat dich beleidigt«, sagte Xemerius.»Wenn du ein Schimpfwort suchst, das du ihm an den Kopf knallen kannst: Ich stehe als Souffleur zur Verfü gung.«

Plusterlippe war schon mal nicht schlecht.

»Eine Soiree ist eine schnarchige Abendveranstaltung«, fuhr Xemerius fort.»Nur, falls du es nicht weiß t. Man hockt nach dem Souper zusammen, spielt sich gegenseitig ein bisschen was auf dem Pianoforte vor und versucht, nicht einzuschlafen.«

»Ah, danke! «, sagte ich.

»Ich kann noch immer nicht glauben, dass sie das wirklich riskieren wollen«, sagte Charlotte, wä hrend sie ihren Mantel ü ber einen Stuhl hä ngte.»Es widerspricht doch allen Regeln der Geheimhaltung, Gwendolyn unter Leute gehen zu lassen. Man muss sie nur ansehen und schon merkt man, dass mit ihr etwas nicht stimmt.«

»Ja, mein Gedanke! «, rief Plusterlippe.»Aber der Graf ist ja bekannt fü r seine exzentrischen Launen. Dort vorne liegt ihre Legende. Haarsträ ubend - lies sie dir bitte mal durch.«

Meine was, bitte schö n? Legenden hatte ich bislang ins Reich der Mä rchen verbannt. Oder auf Landkarten.

Charlotte blä tterte in einer Mappe, die auf dem Flü gel lag.»Sie soll das Mü ndel Viscount Battens darstellen? Und Gideon ist sein Sohn? Ist das nicht ein wenig riskant? Es kö nnte doch jemand anwesend sein, der den Viscount und seine Familie kennt. Warum hat man sich nicht fü r einen franzö sischen Vicomte im Exil entschieden? «

Giordano seufzte.»Das ging ja nicht wegen ihrer mangelnden Sprachkenntnisse. Wahrscheinlich mö chte der Graf uns einfach auf die Probe stellen. Wir werden ihm beweisen mü ssen, dass es uns gelingt, aus diesem Mä dchen eine Dame des 18. Jahrhunderts zu zaubern. Wir mü ssen einfach! «Er rang die Hä nde.

»Ich finde, wenn sie das mit Keira Knightley geschafft haben, dann kriegt man das auch mit mir hin«, sagte ich zuversichtlich. Keira Knightley war ja wohl so ziemlich das modernste Mä dchen der Welt und trotzdem immer ganz wunderbar in Kostü mfilmen, sogar mit den beklopptesten Perü cken.

»Keira Knightley? «Die schwarzen Augenbrauen berü hrten nun beinahe den toupierten Haaransatz.»Fü r einen Film mag das ja angehen, aber Keira Knightley wä re keine zehn Minuten im 18. Jahrhundert, da hä tte man sie schon als moderne Frau entlarvt. Schon, wie sie beim Lä cheln immer ihre Zä hne zeigt, beim Lachen den Kopf nach hinten wirft und den Mund aufreiß t! Das hä tte im 18. Jahrhundert keine Frau getan! «

»So genau kö nnen Sie das doch auch nicht wissen«, sagte ich.

»Wie war das, bitte? «

»Ich sagte, so genau kö nnen...«

Plusterlippes Augen funkelten mich an.»Wir sollten gleich einmal die erste Regel festlegen, die da wä re: Was der Meister sagt, wird nicht infrage gestellt.«

»Und wer ist der Meister - oh, verstehe, Sie sind das«, sagte ich und wurde ein bisschen rot, wä hrend Xemerius losgackerte.»Okay. Also beim Lachen nicht die Zä hne zeigen. Habe ich mir gemerkt.«Das wü rde ich wohl leicht hinkriegen. Schwer vorstellbar, dass ich bei der/die/das Soiree irgendeinen Grund zum Lachen finden wü rde.

Meister Plusterlippe fuhr einigermaß en beschwichtigt seine Augenbrauen wieder ein, und da er Xemerius ja nicht hö ren konnte, der von der Decke laut»Knallkopf! «brü llte, begann er nun mit der traurigen Bestandsaufnahme. Er wollte wissen, was ich in Sachen Politik, Literatur, Sitten und Gebrä uche ü ber das Jahr 1782 wusste und meine Antwort (»Ich weiß, was es da alles nicht gab - zum Beispiel automatische Wasserspü lungen auf dem Klo und das Wahlrecht fü r Frauen«) ließ ihn fü r ein paar Sekunden sein Gesicht in den Hä nden vergraben.

»Ich bepiss mich hier oben gleich vor Lachen«, sagte Xemerius und leider, leider steckte er mich allmä hlich an. Nur mit Mü he konnte ich das Gelä chter unterdrü cken, das sich aus der Tiefe meines Zwerchfelles nach oben drä ngte.

Charlotte sagte sanft:»Ich dachte, sie hä tten dir erklä rt, dass sie wirklich absolut unvorbereitet ist, Giordano.«

»Aber ich... wenigstens die Grundlagen...«Das Gesicht des Meisters tauchte aus seinen Hä nden empor. Ich wagte nicht hinzuschauen, denn wenn das Make-up jetzt verwischt war, wü rde es um mich geschehen sein.

»Wie steht es um deine musikalischen Fertigkeiten? Klavier? Gesang? Harfe? Und wie sieht es mit Gesellschaftstanz aus? Ein simples Menuett ä deux wirst du wohl beherrschen, aber was ist mit den anderen Tä nzen? «

Harfe? Menuett ä deux? Klar doch! Jetzt war es um meine Selbstbeherrschung geschehen, ich begann, haltlos zu kichern.

»Schö n, dass sich hier wenigstens einer amü siert«, sagte Plusterlippe fassungslos, und das dü rfte wohl der Moment gewesen sein, in dem er beschlossen hatte, mich so lange zu triezen, bis mir das Lachen vergehen wü rde.

Tatsä chlich dauerte es nicht lange, bis es so weit war. Schon eine Viertelstunde spä ter kam ich mir wie der allerletzte Oberblö dmann und Versager vor. Und das, obwohl Xemerius unter der Decke sein Bestes gab, um mich aufzumuntern.»Komm schon, Gwendolyn, zeig den beiden Sadisten, dass du's draufhast! «

Nichts hä tte ich lieber getan. Aber leider hatte ich es nicht drauf.

»Tour de Main, linke Hand, dummes Ding, aber rechts herum, Cornwallis kapitulierte, und Lord North trat im Mä rz 1782 zurü ck, was dazu fü hrte, dass... Rechts herum - nein rechts! Lieber Himmel! Charlotte, bitte, zeig es ihr noch einmal! «

Und Charlotte zeigte es mir. Das musste man ihr lassen, sie tanzte ganz wunderbar, bei ihr sah es leicht wie ein Kinderspiel aus.

Und das war es ja im Grunde genommen auch. Man ging hin, man ging her, man ging rundherum und lä chelte dabei unablä ssig, ohne die Zä hne zu zeigen. Die Musik dazu kam aus in der Wandtä felung verborgenen Lautsprechern und ich muss sagen, es war nicht gerade die Art Musik, bei der es einen sofort in den Beinen juckte.

Vielleicht hä tte ich mir die Schrittfolgen besser merken kö nnen, wenn Plusterlippe nicht zusä tzlich noch unablä ssig auf mich eingequatscht hä tte.»Seit 1779 also auch Krieg mit Spanien... nun die Mouline, bitte, den vierten Mann mü ssen wir uns einfach vorstellen, und Reverenz, jawohl, mit etwas mehr Anmut bitte. Noch mal von vorne, Lä cheln nicht vergessen, Kopf gerade, Kinn nach oben, gerade eben ist Nordamerika fü r Groß britannien verloren gegangen, liebe Gü te, nein, nach rechts, Arm auf Brusthö he und Durchstrecken, das ist ein herber Schlag, und man ist nicht gut auf die Franzosen zu sprechen, es gilt als unpatriotisch... Nicht auf die Fü ß e gucken, die kann man in dieser Kleidung ohnehin nicht sehen.«






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